Die nun mehr als fünf Wochen zurück liegenden Pleite von Lehman Brothers wird langsam aufgearbeitet und wird vielleicht zu eine der vielen Legenden dieser Finanzkrise werden. Mit diesem Beitrag will ich noch einmal auf den Hintergrund der unterlassenen Hilfe für Lehman Brothers eingehen und auf die Konsequenzen schauen, die wohl in diesem Ausmaß nicht erwartet wurden.
Vermeidung von Moral Hazard als Grund für die Rettungsverweigerung?
Wahrscheinlich wird es noch dauern, bis die Geschichte der Finanzkrise geschrieben ist, um zu erfahren, was Hank Paulson wirklich bewogen hat, die Investmentbank ihrem Schicksal zu überlassen. Er selbst betrachtet diese Entscheidung als kalkuliertes Risiko. wie das Handelsblatt in einem „Insider-Report“ schreibt.
Es gibt aber auch gute Gründe, für seine Entscheidung. Ein Grund könnte ein Signal gegen unmoralisches Verhalten gewesen sein. Betriebswirte sprechen hier von Moral Hazard und meinen damit das Phänomen, dass Individuen ihr Verhalten ändern, wenn sie davon ausgehen, dass ihr Risiko entfällt. Ein gern gebrachtes Beispiel sind Autofahrer, die nach Abschluss einer Versicherung risikoreicher fahren, weil sie für einen Schaden nun nicht mehr selbst bezahlen müssen. Der so entstehende Konflikt zwischen Versicherung
und Versicherungsnehmer wird in der Praxis durch eine Selbstbeteiligung gelöst.
Auch bei der gegenwärtigen Krise an den internationalen Finanzmärkten spielt Moral Hazard eine wichtige Rolle, schrieb bereits im Dezember letzten Jahres Georg Stadtmann in Wisu. „So wird oft argumentiert, der Staat werde eine große Bank stets vor der Insolvenz retten, da der Zusammenbruch eines solchen Instituts das gesamte Bankensystem in Gefahr bringen könnte. Man spricht auch davon, dass eine Großbank „too
big to fail“ sei — also zu groß sei, als dass ihre Pleite einfach hingenommen werden könnte.
Kauft der Staat die Bank „raus“ (bailing-out) oder wird dies zumindest für sehr wahrscheinlich gehalten, kann dies zu Moral Hazard führen. Mit anderen Worten: Da die großen Banken davon ausgehen, dass ihnen im Notfall geholfen wird, gehen sie höhere Risiken ein, womit sie sich „unmoralisch“ verhalten. Die Akteure lernen also nicht, sich risikogerechter zu verhalten, sondern ganz im Gegenteil, dass übermäßig risikoreiches Verhalten auch noch belohnt wird — meistens übrigens wie wir jetzt sehen auf Kosten der Allgemeinheit.
Somit könnte ein Grund in der Entscheidung gegen Lehman darin gelegen haben, den anderen Finanzinstituten vor Augen führen, dass sich unmoralisches Verhalten nicht lohnt.
Schock der Finanzwelt, weil das unmoralische Verhalten bestraft wurde
Möglicherweise hatte Paulson den Umfang des Moral Hazard unterschätzt. Aber das Signal kam in den Finanzinstituten an. Am Morgen des 15. September wurden sich viele Häuser ihrer hochriskanten Geschäftsmodelle bewusst. Entsprechend entsetzt reagierten sie, wie das Handelsblatt schildert.
Das Handelsblatt blickt noch einmal zurück in einem „Insider-Report“, in dem unter anderem das Entsetzen geschildert wird, als klar wurde, dass die Bank nicht gerettet wird. Weiter schildert das Blatt:
„Am nächsten Morgen nach der verweigerten Rettung nimmt das Schicksal seinen Lauf. In einer Londoner Investmentbank jagt eine Krisensitzung die andere. Hektisch versuchen die Banker herauszufinden, welche Risiken die Lehman-Pleite für sie birgt. So schnell wie möglich werden die Positionen, bei denen die gestrauchelte US-Bank eine Rolle spielt, isoliert, um wenigstens eine vorläufige Schadensbilanz zu erstellen. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, erzählt ein Manager, der dabei war. Selbst coole Veteranen hätten kurz vor der Panik gestanden. In jedem Gesicht habe man nackte Angst erkennen können.
Die Krisenmanager konzentrieren sich zunächst auf den undurchschaubaren Markt für Derivate. Hier vermuten die Banker die größten Gefahren nach der Pleite. Wenn ein großer Handelspartner wie Lehman Brothers plötzlich ausfällt, platzen Tausende Wetten an den Finanzmärkten. Die wirkliche Gefahr lauerte jedoch woanders.“
Ob wirklich unmoralische Verhalten vorlag, ist sicher umstritten, weil dazu zunächst einmal geklärt werden müsste, was moralisches Verhalten auf Kapitalmärkten genau ist. Vorläufig darf man aber unterstellen, dass solches Verhalten vorlag. Eines von vielen Indizien dafür mag z.B. eine Mail eines Mitarbeiters der Ratingagentur Standard & Poors aus dem Jahre 2006 sein, auf deren Auftauchen Zeitenwende.ch hinweist.
Marktbewertungen führten verstärken den Abschwung
Da die Vermögensbewertung bei Kreditinstituten nach den IFRS erfolgt und die soweit möglich, die Marktbewertung vorschreiben, setzte nun ein sich selbst verstärkender Prozess ein: Bewertungen mit dem laufenden Marktpreis lösen sich selbst verstärkende Verkäufe aus, die zu einer hohen Volatilität der Kapitalmarktpreise beitragen und dabei den kalkulierten Fair Value gegenüber dem fundamentalen Wert verzerren.
Panik erreicht den Geldmarkt und …
Am Dienstag nach dem Schicksalswochenende teilt der älteste amerikanische Geldmarktfonds Reserve Primary Fund mit, dass Schuldtitel von Lehman mit einem Buchwert von fast 800 Millionen Dollar in seinem Depot durch die Pleite praktisch wertlos sind. Damit sank das Fondsvermögen unter den Wert der Einlagen, für Geldmarktfonds ein Novum, wie das Handelsblatt schreibt. Und weiter: „Einlagen in diese Fonds gelten als ebenso sicher wie ein Sparbuch und werden deshalb von Privatanlegern überaus geschätzt. Mit dem Eingeständnis des Reserve Primary Fund erreicht die Krise eine der letzten Trutzburgen der Finanzwelt. In etwa 38 Millionen Konten der US-Geldmarktfonds schlummern Einlagen in Höhe von 3,4 Billionen Dollar. Private und institutionelle Investoren ziehen nach der Hiobsbotschaft innerhalb von wenigen Tagen rund 200 Milliarden Dollar von Geldmarkfonds ab.“
… führt fast bis zum Sturm auf die Banken
den weiteren Dominoeffekt beschreibt das Handelsblatt:
„Bis zum Sturm auf die Banken ist es damit nur noch ein kleiner Schritt. Finanzminister Paulson versucht noch in der gleichen Woche die Panik mit einer staatlichen Garantie für Geldmarkfonds zu stoppen. Zeitgleich bastelt er zusammen mit Notenbankchef Ben Bernanke an einem 700 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket, um den Not leidenden Banken ihren toxischen „Subprime“-Müll abzukaufen. Toxisch, weil diese Immobilienkredite durch steigende Immobilienpreise von den Schuldnern nicht mehr bedient werden können – und die Banken die Risiken der Kredite oft in Form von Wertpapieren an andere Finanzinstitute weltweit weitergegeben haben.“
Hätte Paulson in Kenntnis der Konsequenzen Lehman gerettet.
Hier stoppe ich, weil ich nicht den gesamten Text wiedergegeben, den ja jeder selbst nachlesen kann und schaue auf die Frage, ob es besser gewesen wäre, Lehman zu retten.
Möglicherweise war die US-Administration von den Konsequenzen ihrer Lehman-Entscheidung überrascht und hätte vielleicht anders entschieden, wenn sie die Folgen genau gekannt hätte. Der politische und wirtschaftliche Preis, der jetzt durch den weltweiten Flächenbrand gezahlt wird, ist sehr hoch und in allen Konsequenzen noch keinster Weise abzuschätzen.
Gleichwohl wäre es bei Rettung zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Zusammenbruch gekommen. Lehman zu retten wäre einer Einladung an die Finanzinstitute gleich gekommen, dass Moral-Hazard-Spiel weiterzuführen und weiter hohe Risiken zu Lasten der Allgemeinheit einzugehen. Die US-Administration hätte allerdings auch nach anderen Wegen suchen können, dass amoralische Verhalten auf eine andere Art zu beenden.
Spitzenreiter ist John Paulson mit 3,7 Milliarden Dollar
http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,547771,00.html
John Paulson Acquires an Alan Greenspan
http://nymag.com/daily/intel/2008/01/john_paulson_aquires_an_alan_g.html
und keiner hat etwas gewusst?
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