Herdenverhalten an den Finanzmärkten hat die Krise verstärkt

by Dirk Elsner on 24. Oktober 2008

Hinter uns liegt wieder einmal eine Woche an den Finanzmärkten, die es in sich hatte. Damit sind nicht nur die Bewegungen an den Aktienbörsen gemeint, sondern auch die weltweiten Ausschläge an den Kredit-, Währungs- und Rohstoffmärkten. Natürlich suchen wir in diesen Zeiten nach rationalen Ansätzen um das Geschehen erklären zu können. Das dürfte aber mittlerweile immer schwerer fallen, weil die Ausschläge kaum nach nachvollziehbar erscheinen und die Argumente für Kursbewegungen fast so volatil wie die Märkte selbst sind.

Gleichwohl habe ich heute in einer Arbeit aus dem Jahre 2002 geblättert (siehe Literaturhinweis), die durchaus plausible Ansätze für die Erklärung des aktuellen Verhaltens auf den Finanzmärkten bietet, zumindest was die Gleichförmigkeit des Verhaltens betrifft. Wie viele Erklärungen eignen sie sich gut, um die Ereignisse ex-post zu verstehen. Vorhersagen für die nächste Woche lassen sich daraus nicht ableiten.

Weltweites Herdenverhalten

Das aktuelle Verhalten der Marktteilnehmer erinnert an Schafsherden. Zunächst haben viele Investoren scheinbar gleichzeitig einen Anreiz, in bestimmte riskante Märkte zu investieren, um jetzt gemeinschaftlich ihr Kapital wieder in Sicherheit zu bringen. So verhalten sich nicht nur Schafe sondern auch Lemminge, die dabei bekanntlich in großer Zahl sterben.

Beim Herdenverhalten kommt es zu starken Preisschwankungen, weil die Investoren, gleich einer Herde, einander folgen und dann alle in eine Anlagemöglichkeit hinein oder aus ihr heraus gehen. Aktuell jedenfalls bewegen sich die Preise für die meisten Vermögenswerte sehr stark nach unten. Ob dies fundamental gerechtfertigt ist, sei hier offen gelassen.

Christian Hott nennt das in seiner Dissertation tatsächlich Herdenverhalten (engl. herding) und schreibt: „Hier richten die Anleger ihre Entscheidungen nach den Entscheidungen der anderen Anleger. So könnte der einzige Grund für Verkäufe einer Finanzanlage darin liegen, dass ihr Preis sinkt.“

Interessant an dem, was wir aktuell beobachten ist, dass die Herde weltweit rennt und es zu ständigen Ansteckungseffekten an den Märkten kommt. Durch die finanziellen und realen weltweiten Verpflechtungen ist die Finanzkrise vom amerikanischen Finanzmarkt über gesprungen auf die globalen Finanzmärkte und hat mittlerweile die Realwirtschaft erreicht.

Herdenverhalten kann vernünftig sein

Dabei muss Herdenverhalten nicht irrational sein, wie verschiedene Erklärungsansätze zeigen. So ist die Teilnahme an einem „bank run“ durchaus als vernünftig zu bezeichnen, weil der Sparer, der als letzter kommt, seine Einlage verlieren kann. Eine weitere Erklärung könnte darin liegen, das Investmentmanager, deren Entlohnung davon abhängt, wie erfolgreich sie im Vergleich zu anderen Managern liegen, die Entscheidungen anderer Manager berücksichtigen und ihnen ggf. folgen. Für einen Entscheider kann es rational sein, das Verhalten anderer Manager zu imitieren,  um die eigene Reputation zu erhöhen oder um sich während einer Marktschwäche in der Masse verstecken zu können.

Ein weiterer Grund liegt in der Informationsfunktion von Preisen, an denen sich Investoren orientieren, wenn sie nicht über alle Fundamentaldaten verfügen. Eine vergleichsweise leicht zur Verfügung stehende Information, ist die Entwicklung der Preise bzw. das damit verbundene Verhalten anderer Marktteilnehmer. Für einen Investor, der sich darüber bewusst ist, dass er selber nur unvollkommenen Informationen besitzt und der den Eindruck hat, dass im Markt deutlich mehr Informationen vorhanden sind, kann es rational sein, eigene Kauf- und Verkaufentscheidungen nach anderen Marktteilnehmern auszurichten bzw. Informationen aus den Preisen von Vermögensgütern abzuleiten.

Im Klartext bedeuten dieser Ansatz aber, dass Investoren auf Signale reagieren, die nicht mehr mit der eigentlichen Bewertung zusammen hängen.  Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Fehlbewertungen. Investoren laufen bestimmten Signalen hinterher, weil sie unzureichend über den Markt informiert sind.

Wenn die These vom Herdenverhalten stimmt, dann müsste es bei den derzeitigen Kursrückgängen bei vielen Vermögensgütern zu Fehlbewertungen kommen, die durch informierte Marktteilnehmer ausgenutzt werden. Ein Indiz für Aktivitäten solcher informierter Marktteilnehmer können die umfangreichen Käufe von Insidern sein, die aktuell zu beobachten sind. Für eine Korrektur der Kurse reichen diese Transaktionen aber offenbar noch nicht aus.

Fazit

Wir lernen, durch das Herdenverhalten kann es zu ständigen Über- bzw. Unterbewertung von Vermögenspositionen kommen. Helfen uns diese Erkenntnisse jetzt weiter? Nicht wirklich, wenn man erwartet, daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Dieser Ansatz kann aber vielleicht einen kleinen Beitrag leisten, das zu verstehen, was wir derzeit an den Finanzmärkten erleben. In einigen Jahren werden viele Wissenschaftler diese Krise im Detail analysiert haben und ihre Modelle und Erklärungen weiter verfeinert haben. Diese Modell werden uns dann aber nicht vor der nächsten Krise schützen.

Literaturhinweis

Christian Hott, Finanzkrisen – Eine portfoliotheoretische Betrachtung von Herdenverhalten und Ansteckungseffekten als Ursachen von Finanzkrisen,  Juni 2002

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