Das heute veröffentlichte Gutachten des Sachverständigenrates nimmt auch Stellung zu den Verantwortlichkeiten für die Finanzkrise. Hier fällt das Urteil erwartet differenziert aus. Es wird klar gestellt, dass die Kritik an angeblich ungezügelten Finanzmärkten den Kern des Problems verfehlt. Fehlverhalten attestieren die Sachverständigen indes verschiedenen Gruppen.
Dunkle Wolken über der Finanzbranche
Konkret heißt es im ersten Kapitel des Gutachtens:
Die Krise auf den globalen Finanzmärkten hat vielfach die Diskussion über die Funktionstüchtigkeit des marktwirtschaftlichen Systems neu entfacht. Mit dem populären Schlagwort eines Raubtierkapitalismus, bei dem Gewinne privatisiert, Verluste indessen sozialisiert würden, stellt eine Reihe von Kritikern nicht nur die Bankmanager an den Pranger, sondern darüber hinaus das Prinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung generell in Frage. Stattdessen wird eine weitaus aktivere, wenn nicht sogar eine dominierende Rolle des Staates gefordert, zumindest aber eine wesentlich höhere Regulierungsdichte und eine Schutzwürdigkeit nationaler Unternehmen („nationale Champions“).
Diese Kritik übersieht zunächst, dass regulatorische Eingriffe in die Finanzmärkte bereits gängige Praxis sind. Finanzmärkte zeichnen sich im Vergleich zu zahlreichen Gütermärkten sogar durch eine besonders hohe Regulierungsdichte aus. Für solche Staatseingriffe gibt es gute Gründe. Allgemein sind Staatseingriffe erforderlich, wenn Marktversagen vorliegt und der Staat die betreffenden Sachverhalte besser regeln kann als der Markt, das heißt, es muss stets zwischen der Gefahr eines Marktversagens und der eines Staatsversagens abgewogen werden. Marktversagen kann mehrere Ursachen haben. Bei den Finanzmärkten sind es insbesondere Informationsprobleme zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern (asymmetrische Information), wie sie beispielsweise bei verbrieften und strukturierten Finanzprodukten vorliegen. Informationsprobleme können ebenso auf einigen Gütermärkten vorliegen – der Gebrauchtwagenmarkt ist ein typisches und vielzitiertes Beispiel –, jedoch bleiben die Folgen des Marktversagens meist auf den entsprechenden Markt begrenzt, weshalb es ausreicht, wenn sich der Staat auf die Setzung bestimmter rechtlicher Rahmenbedingungen beschränkt. Bei Finanzmärkten ist das anders, weil der Zusammenbruch eines Instituts im Extremfall zu einem Kollaps des ganzen Finanzsystems führen kann (systemisches Risiko) und die Realwirtschaft dadurch erheblich in Mitleidenschaft zieht. Daher erfordern Finanzmärkte eine höhere Regulierungsdichte.
Die Kritik an angeblich ungezügelten Finanzmärkten verfehlt mithin den Kern des Problems. Es geht nicht um die unbestrittene Notwendigkeit einer Regulierung, sondern um eine intelligentere Regulierung, die systemische Risiken vermindert, indem sie für mehr Transparenz und höhere Risikopuffer sorgt. Es geht zudem nicht darum, jedes individuelle Risiko auszuschalten, denn größere Renditen auf den Finanzmärkten gehen bekanntlich mit höheren Risiken einher. Das ist bei anderen wirtschaftlichen Aktivitäten nicht anders, größere Erfolgschancen bergen ein höheres Risiko eines Scheiterns. Und schon gar nicht geht es darum, vor dem Hintergrund der Finanzkrise die marktwirtschaftliche Ordnung als solche in Frage zu stellen. Zu warnen ist ausdrücklich vor einer Überregulierung und ebenso vor einem Aufleben protektionistischer Tendenzen.
Wenn es darum geht, Verantwortlichkeiten auszumachen, gehen Schuldzuweisungen in diesem Zusammenhang an die Geldpolitik, an die staatliche Aufsicht über das Finanzsystem, an die Rating-Agenturen und an andere Entscheidungsträger auf den Finanzmärkten. In den Vereinigten Staaten hat eine expansive Geldpolitik das Aufblähen einer Immobilienblase gefördert, und die Wirtschaftspolitik hat die Kreditwirtschaft ermuntert, im Interesse höherer Wohneigentumsquoten Hypothekendarlehen selbst an Personen mit unzureichender Bonität zu vergeben. So hat die Aufsicht Forderungen nach Deregulierungen mitunter leichtfertig nachgegeben, zum Beispiel indem sie die Eigenkapitalvorschriften für US-amerikanische Investmentbanken gelockert hat. In nahezu allen Ländern wurden die Gestaltungsspielräume der Banken bei der Bewertung und Absicherung von Risiken erweitert, mit der Folge unzureichender Risikopuffer, die die Prozyklizität des Systems verstärkten. Ebenfalls versagt haben die Rating-Agenturen, weil sie trotz unzureichender Erfahrung mit Finanzinnovationen exzellente Testate ausgestellt haben. Die international, zum Teil aber auch national zersplitterte Bankenaufsicht weist ebenfalls Mängel auf. Auch Bankmanager
sind nicht frei von einer Verantwortung. Sie haben eine der Grundregeln der Finanzmärkte, dass sehr hohe Renditen nur unter Inkaufnahme sehr hoher Risiken zu erzielen sind, zu wenig Beachtung geschenkt und sich zu sehr auf die Bewertungen der Rating-Agenturen verlassen. Sicherlich haben einige Vergütungssysteme das kurzfristig orientierte Handeln der Bankmanager unterstützt, wenn nicht sogar herausgefordert. Insoweit tragen die Aufsichtsräte eine Mitschuld.
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