Wirtschaftsweise zur Fehleinschätzung der US-Behörden im Fall von Lehman Brothers

by Dirk Elsner on 13. November 2008

R.I.P. Lehman Brothers (1850 - 2008)

Hauptquartier von Lehman Brothers in New York am 15. September

Der Untergang der Investmentbank Lehman Brothers gilt vielfach als Auslöser für die aktuell anhaltende heiße Phase der Finanzkrise. Die Wirtschaftsweisen haben in ihrem gestern veröffentlichten Jahresgutachten auch Stellung genommen zu dem Fall des Instituts genommen (S. 122 f.):

Durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 entstand eine völlig neue Situation, weil damit zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Krise nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Kreditgeber eines Finanzinstituts mit Vermögensverlusten konfrontiert wurden. Die Gründe für die mangelnde Unterstützungsbereitschaft der US-Behörden könnten darin zu sehen sein, dass die Gläubiger des Instituts international weit gestreut waren, sodass möglicherweise nicht mit systemischen Risiken gerechnet wurde. Diese Fehleinschätzung löste eine unerwartet große Kettenreaktion aus, da damit das Signal gesetzt wurde, dass bei einem Bankzusammenbruch nicht mehr automatisch mit einem „Bail-out“ für Kreditgeber gerechnet werden kann. Zudem stieg die Unsicherheit bezüglich der Werthaftigkeit einer großen Reihe von Finanzprodukten extrem an, beispielsweise im Bereich von zur Versicherung gegen Ausfallrisiken gehaltenen Kreditderivaten.

Der damit entstandene Vertrauensverlust brachte in der Folge nahezu das gesamte Kreditgeschäft zwischen den Banken zum Erliegen. Es hatte zwar bereits zu Beginn der Krise im Sommer 2007 in einzelnen Marktsegmenten – vor allem bei Geldmarktgeschäften mit einer Laufzeit von mehreren Monaten – größere Stockungen der Interbankenbeziehungen gegeben, insgesamt gesehen flossen die Kreditströme zwischen den Banken jedoch bis Mitte September 2008 in einigermaßen verlässlichen Bahnen.

Das weitgehende Austrocknen des Interbankenmarkts brachte vor allem jene Institute in große Schwierigkeiten, die wie beispielsweise die Hypo Real Estate gleichsam als Großhandelsbanken über keine eigene Einlegerbasis verfügten. Sie sind deshalb insbesondere auf Kredite von den Finanzinstitutionen angewiesen, die wie Sparkassen und Kreditgenossenschaften über ein ausgeprägtes Einlagengeschäft oder wie Geldmarktfonds über ein breites Netz an Kleinanlegern verfügen. Sind diese nicht mehr bereit, die Refinanzierung der Großhandelsbanken vorzunehmen, bricht das gesamte Geschäftsmodell solcher Institute in sich zusammen.

Dass bei diesem massiven Schock ein völliger Kollaps des globalen Finanzsystems verhindert werden konnte, ist in erster Linie auf die Bereitschaft der wichtigsten Zentralbanken zurückzuführen, die fehlenden Interbankenkredite durch direkte Notenbankkredite zu ersetzen. Die auf diese Weise zur Verfügung gestellten Mittel stiegen sprunghaft an. In den Vereinigten Staaten erhöhte sich die gesamte Refinanzierung durch die Notenbank von 907 Mrd US-Dollar am 10. September auf 1 754 Mrd US-Dollar am 15. Oktober. Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) kam es im selben Zeitraum zu einem Anstieg von 477 Mrd Euro auf 759 Mrd Euro. Die im Oktober 2008 von vielen Regierungen aufgelegten Rettungsprogramme und insbesondere die dabei abgegebenen Garantieerklärungen für Bankverbindlichkeiten haben an dieser außergewöhnlichen Situation bisher nichts Grundlegendes ändern können.

Weitere Specials und Hintergründe zur Finanzkrise gibt es auf der Themenseite Finanzkrise.

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