Horrorvorhersagen: »Es kommt noch schlimmer“ erschreckt, aber erhellt nicht

by Dirk Elsner on 6. Januar 2009

future

Wohin führt der Weg in die Zukunft?

Josef Joffe macht sich in der aktuellen Ausgabe der Zeit Gedanken zu den Horrorvorhersagen der Volkswirte. Ich finde dort einige meiner Gedanken der letzten Wochen wieder, u.a. zu einer Prognose der Deutschen Bank. Joffe schreibt:

„Erinnern Sie sich? Im Sommer sagte Goldman Sachs einen Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel voraus. Am 16. Dezember prophezeite Merrill Lynch 25 Dollar für 2009. … Dies zur Beruhigung, falls Sie sich noch an den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walther, erinnern, der »minus vier Prozent« für die deutsche Wirtschaft 2009 aus dem Computer gefischt hat, derweil sein Kollege von der Dresdner, Michael Heise, im Proph-Poker nur bis minus 0,7 mithielt. Zu dumm für Heise, kann doch das Kassandra-Spiel nur gewinnen, wer katastrophenmäßig alle anderen überbietet. Das wussten schon Jesaja & Jeremia. Deshalb sind die »kleinen Propheten« wie Amos und Hosea fast vergessen.“

Die Prognose der Deutschen Bank war übrigens auch deswegen bedenklich, weil die Medien sie verstärkt haben. Mit dieser und anderer Horrormeldung beeinflussen sie direkt und indirekt die Erwartungsbildung bei Konsumenten und Unternehmen. Dabei helfen Unternehmen und Verbrauchern solche Prognosen und Meldungen nicht. Im Gegenteil. Solche Aussagen von Meinungsbildner wie Walter tragen erheblich dazu bei, dass die Wahrscheinlichkeit für das Eintreffen solcher Prognosen steigt. Da muss sich dann keiner wundern, dass sich die Deutschen vor dem Wirtschaftseinbruch fürchten.

Dabei kann man die Prognosegilde durchaus kritisch betrachten. Die Veränderung in der Erwartungsbildung erfolgt auf Ebene der einzelnen Wirtschaftssubjekte durch die Aufnahme von Informationen. Preisänderungen für Vermögenswerte (wie z.B. Aktienkurse) sind dabei nur ein Parameter. Daneben beeinflussen viele andere Informationen die Erwartungsbildung. Interpretiert ein Wirtschaftssubjekt bestimmte Informationen z.B. so, dass sein künftiges Einkommen niedriger als bisher erwartet ausfällt, dann wird er mit großer Wahrscheinlichkeit sein heutiges  Konsum- und Investitionsverhalten überprüfen  und ggf. anpassen.

Und viele Volkswirte sind dabei nicht besonders originell: Joffe schreibt:

„Sie extrapolieren von heute auf morgen. Die Wirtschaft ist gestern geschrumpft? Dann wird sie morgen weiter schrumpfen. Die Preise fallen? Jetzt dräut die Deflation! Aber welchen Wert haben Weissagungen, die auf dem Gestern fußen?“

Treffend formulierte auch Claus Hulverscheidt vor einigen Wochen zum Wettrennen um die düsterste Prognose in der Süddeutschen:

“Derlei Geschwätz ist unverantwortlich, weil es die Menschen weiter verunsichert und so die Krise verschärft. Es ist zudem ärgerlich, dass ausgerechnet zwei Bank-Volkswirte die Oberpessimisten spielen, Vertreter jener Branche also, die den ganzen Schlamassel mit angerichtet hat. Immerhin, es gibt Hoffnung: Nach einer Analyse der Financial Times Deutschland schwankt nicht nur die Konjunktur, sondern auch Walters Treffgenauigkeit: 2003 war er “Prognostiker des Jahres”, 2005 belegte er nur Platz 54.”

Joffe geht leider nicht darauf ein, wie die Medien die Horrorvorhersagen verstärken. Sie nehmen nämlich die Vorhersagen der Untergangspropheten gern und oft auf und tragen sie meist unkritisch weiter in die Welt. So spielen Medien auch eine Rolle als Beschleuniger der Finanzkrise. Allerdings darf hier zu  seiner Ehrenrettung gesagt werden, dass sich Kerstin Bund in einem bemerkenswerten Artikel in der Zeit über die Berichterstattung über die Finanzkrise kritisch auseinandergesetzt hat.

Sven Januar 6, 2009 um 12:46 Uhr

Nobert Walter ist ein eigenes Kapitel, denn immerhin äußerte er sich als Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Leider kann ich nur spekulieren, aber auch in der Weltwirtschaftskrise sind viele kleine Danken über die Wupper gegangen, fand eine Marktbereinigung im Zeitraffertempo statt. Warum sollte sich die DeuBa nicht stark genug wähnen, eine vergleichbare Strategie zu wählen und das Marktumfeld künstlich zu lähmen? Aber das ist nur Spekulation.

Nicht einverstanden bin ich mit der Medienschelte und der Abqualifizierung als Kassandren. Punkt 1: ob es so kommt, oder noch viel schlimmer, kann heute keiner beurteilen. Das müssen wir uns für nächstes Jahr um die Zeit aufheben. Punkt 2: Die Auswirkungen auf die Wirtschaft kann ja wohl kaum ein Kriterium für die Journalisterei sein, das wäre eine Form der Zensur der leider nur schwach wahrgenommenen Vierten Gewalt im Staat. Punkt 3: Man könnte die -4% auf einordnen, dann wäre die Katastrophenmeldung keine solche mehr, denn das wäre immer noch über Vorjahresniveau. Punkt 4: Eine Bitte: wichtig sind die Ursachen und Verantwortlichkeit für die Krise. Solange Herr Walter und Herr Ackermann nicht dazu mal umfassend und glaubwürdig Stellung nehmen und die daraus abzuleitenden Änderungen in ihrer Arbeitsweise nicht benennen, sollten die Medien auch nicht für den anderen Kleckerkram ein Forum bieten.

Joss Januar 6, 2009 um 09:41 Uhr

Die Rolle der Medien koennte man vielleicht auch so beschreiben: erst waren
sie bei der Herbeifuehrung der ganzen Finanzkrise positiv in der Weise
beteiligt, dass sie den Boom dieser Jahre hochgejubelt haben. Sich oft genug
darin uebertrafen, mit Boersentipps zu uebertreffen. Und ausserdem waren
sie, genauer besehen, offensichtlich recht erfolgreich als Tester von
Finanzprodukten aller Art. Dazu kamen dann noch die „Tagesvorteile“,
zB. welche Bank gerade die hoechsten Tageszinsen und dgl. anbot.
– Die brauchbarste Medienkritik in dieser Hinsicht besteht deswegen m. E.
nicht in Kritik ueber die Medien, sondern in einem Blick darauf, was sie
gestern. vorgestern so geschrieben haben. Bei einem Gang ins Zeitungs-
archiv wuerden so manchem, dem das alles Geld gekostet hat, wohl die
Traenen kommen, hat er / sie doch auf einen Blick dann vor sich, was
ihn zu diversen Fehlentscheidungen bewog.
Die zweite Dynamik besteht darin, jetzt auf Krise in der Art der
„Leichenfledderei“ in der Kriminalberichterstattung zu machen. Da
besteht ja immer das groesste Problem dann, wenn niemand umgebracht
wird. (Kennt eigentlich, der mal in der Naehe davon war. Wie da regel-
recht gebetet wird darum, dass endlich wieder ein fuerchterlicher Mord
begangen wird.)
Bezeichnend ist dabei auch, wie die Medien eigentlich ueberhaupt kein
Problem haben, allen nur erdenklich Schund und Muell, vor allem
Probleme, beim Konsumenten abzuladen. Im Grund braucht es denn
auch ziemlich Masochisten, die sich das alles einziehen, konsumieren.
(Und obendrein ist eine Medienkrise im Gange, das sieht man an
den Marktdaten. Wobei jene, die eine Zeitung, Zeitschrift kuendigen,
sich das, was die Medien dazu zu sagen haetten, natuerlich auch nicht
mehr anhoeren, Gefaehrdung der Demokratie, usw.. Dafuer haben sie
dann einfach „keine Zeit“ mehr. Das ist eine irgendwie witzige
Kompenente, dieser Entzug der Aufmerksamkeit. Da ergibt sich der
gleiche Frust wie bei Pfarrern, deren Schafe zu Hause bleiben.
Allerhand was jetzt gewissermassen hochmoegend geschrieben wird
geht schlicht und einfach ins Leere.

Coien Januar 6, 2009 um 10:50 Uhr

Dank für den ausführlichen Kommentar. Da läss sich ja schon ein eigener Beitrag draus machen.

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