Medien als Beschleuniger der Finanzkrise und des Wirtschaftsabschwungs?

by Dirk Elsner on 1. Dezember 2008

Eine in den Medien leider wenig diskutiere Frage in den letzten Wochen ist, welchen Beitrag die Medien selbst zu der Eskalation der Finanzkrise und zum wirtschaftlichen Abschwung geleistet haben. Eine selbstkritische Reflektion der eigenen Berichterstattung zur Finanzkrise findet faktisch (eine Ausnahme bestätigt die Regel) nicht statt. Das ist bedauerlich, weil es nämlich Anhaltspunkte gibt, dass die Berichterstattung der Medien die aktuelle Krise noch verstärkt.

Wirkungsmechanismus Finanzkrise und Zukunftserwartungen

Die Finanzkrise wirkt auf die Realwirtschaft, das wissen wir inzwischen. Wenig diskutiert wird allerdings der Übertragungsmechanismus. Hier könnte man sich mit einer theoretischen Argumentation, wie der Sachverständigenrat sie vorschlägt, begnügen: Danach geht der üblicherweise mit Finanzkrisen verbundene Vermögenspreisverfall mit einer Einschränkung der Konsum- und Investitionsausgaben einher. Zudem steigt das Ausmaß fundamentaler Unsicherheit, mit dem die Wirtschaftssubjekte konfrontiert werden. Als Reaktion werden Investitions- und Konsumpläne in einer Weise angepasst, die zu einer zusätzlichen Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führt.

Eine zentrale Frage ist aber, wie die Steigung des Ausmaßes der Unsicherheit erfolgt, in deren Folge Konsum- und Investitionspläne reduziert werden. Auf die Konsumnachfrage wirken nachhaltige Vermögensreduktionen, wie wir sie zurzeit erleben, weil sie das Vermögen der privaten Haushalte verringern und die Unsicherheit bei der Erwartungsbildung erhöhen. Aktienmärkte gelten häufig als Indikator für die künftige wirtschaftliche Entwicklung gilt. Aufgrund der Unsicherheiten und der tatsächlichen Vermögensreduzierung verringert sich das Ausgabeverhalten der privaten Haushalte bei gleichzeitig erhöhter Sparneigung.

Erwartungen werden durch Informationen beeinflusst

Gleichwohl ist es zu kurz gesprungen, wenn man allein die Entwicklung an den Kapitalmärkten als Ursache für die erhöhte Unsicherheit in der Erwartungsbildung verantwortlich macht. Die Veränderung in der Erwartungsbildung erfolgt auf Ebene der einzelnen Wirtschaftssubjekte durch die Aufnahme von Informationen. Preisänderungen für Vermögenswerte (wie z.B. Aktienkurse) sind dabei nur ein Parameter. Daneben beeinflussen viele andere Informationen die Erwartungsbildung. Interpretiert ein Wirtschaftssubjekt bestimmte Informationen z.B. so, dass sein künftiges Einkommen niedriger als bisher erwartet ausfällt, dann wird er mit großer Wahrscheinlichkeit sein heutiges  Konsum- und Investitionsverhalten überprüfen  und ggf. anpassen.

Keine perfekte und umfassende Informationsverarbeitung möglich

Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass das Gehirn zur Bewältigung komplexer Probleme regelmäßig Heuristiken anwendet. Sie dienen vor allem dazu, effizient mit den begrenzten Ressourcen umzugehen. Studien und Experimente der sozialpsychologischen Forschungen belegen aber, dass Menschen bei der Anwendung von Heuristiken immer wieder Fehler und Trugschlüsse unterlaufen. So führen verkürzende kognitive Prozesse – sogenannte Behavioral Biases – zu Verzerrungen bei der Erwartungsbildung. Grundsätzlich kann man zwar davon ausgehen, dass Wirtschaftssubjekte sich rational verhaltenen. Es gibt jedoch auch häufig Situationen, in denen Entscheidungen unter maßgeblichen Restriktionen gefällt werden. Dabei können verschiedene Ursachen zu suboptimalen bzw. fehlerhaften Entscheidungen führen:

  1. Eingeschränkter Informationsstand, da die Informationsbeschaffung und -verarbeitung Kosten verursacht und nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht;
  2. die beschränkten kognitiven Verarbeitungsfähigkeiten des Menschen, aufgrund komplexer Entscheidungssituationen,
  3. psychischer Stress, der z.B. durch Zeitdruck oder Verlustangst hervorgerufen wird. Aufgrund dessen wird das Verhalten auch nicht von einem Optimierungsstreben, im Sinne der Maximierung einer Zielfunktion, sondern von der Suche nach einer befriedigenden Lösung, d.h. dem Erreichen eines bestimmten Zufriedenheitsniveaus, gesteuert.

Alle drei Faktoren spielen auch in den Informationsverarbeitungsprozessen um die Finanzkrise eine wichtige Rolle. Davon betroffen dürften nicht nur private Verbraucher sein, sondern auch die Entscheidungsträger in Unternehmen.

Hat die Wirkung negativer Schlagzeilen …

An dieser Stelle wird klar, dass auch die Medien einen erheblichen Einfluss auf die Erwartungsbildung einzelner Wirtschaftssubjekte haben. Die Medien liefern mit ihren Nachrichten einen wesentlichen Teil des Informationsinputs, der am Anfang des Informationsverarbeitungsprozesses steht. Da Menschen auf Grund eingeschränkter Zeit und begrenzten kognitiven Fähigkeiten nicht alle relevanten Informationen finden, selektieren und verarbeiten können, orientieren sie sich an diesen vorselektierten Nachrichten und häufig auch nur an den Schlagzeilen, die meist einen höheren Erinnerungswert haben als die Textinhalte.

Vor zwei Wochen betrachtete Kerstin Bund in einem bemerkenswerten Artikel in der Zeit, wie über die Finanzkrise berichtet wird:

„Zeitungen und Zeitschriften schrieben von einem »weltwirtschaftlichen Armageddon« (Weltwoche), einer »Apokalypse« (Börsen-Zeitung) oder einer »finanzpolitischen Kernschmelze« (ZEIT). Ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung beschwor das »Fegefeuer des Kapitalismus«. Mal glitten die Autoren in die Sprache der Physik ab und suchten Halt bei einer Atombombenexplosion. Wenn das nicht reichte, bemühten sie die Metaphysik, beschworen biblischen Endzeithorror und christliche Hölle.“

In dem Artikel zitiert sie den Kommunikationsforscher Frank Brettschneider: „Wenn das alles ohne Wirkung auf die Leser bliebe, wäre es halb so schlimm. »Aber Medien selektieren, sie interpretieren, sie emotionalisieren, und sie schaffen Fakten«, sagt Frank Brettschneider, Kommunikationsforscher an der Universität Hohenheim. Die Berichterstatter beeinflussen demnach massiv, wie die Menschen auf große Ereignisse, etwa einen Bankenzusammenbruch, reagieren.

… den Abschwung beschleunigt?

Schließlich stellt Bund die zentrale Frage: „Haben die Medien erst die Zockerei und dann den Absturz beschleunigt?“ Medienwissenschaftler Thomas Schuster ist der Überzeugung, die Medien hätten den Internetboom und den anschließenden Crash der New Economy verstärkt.

Auch beim aktuellen Abschwung dürften die Medien eine tragende Rolle als Katalysator gespielt haben. Sie haben mögliche Auswirkungen dramatisiert (siehe Beispiel Kreditkartenrisiken: Mehr Luftblase als Monsterwelle) und Informationen, die die Unsicherheit reduzieren könnten kaum hervorgehoben.

So musste man sich die Information, dass der Sachverständigenrat eine Weltwirtschaftskrise ausschließt erst mühsam aus dem dicken Gutachten herausarbeiten. In den Schlagzeilen tauchte diese Information nicht auf. Über die durchaus positive Entwicklung der Börsen in der vergangenen Woche fanden sich vorwiegend nur Berichte in den Kurs- und Wirtschaftsteilen, während die Kursstürze der vergangenen Wochen es häufig auch auf die Titelseiten der Zeitungen schafften.

Bad news are good news for media

Der Grund ist klar: Medien folgen ihrer eigenen Ökonomie, nämlich der, dass sich schlechte Nachrichten besser verkaufen als gute Nachrichten. Schlechte Nachrichten erzeugen Ängste. Weil Ängste oft aus Unwissenheit über die Zusammenhänge von Abläufen und Vorgängen entstehen, kann die Vermittlung von Wissen und Information Angst reduzieren oder komplett nehmen. Über diesen Mechanismus erzeugen Ängste einen höheren Informationsbedarf und damit höhere Umsätze bei den Medienproduzenten.

Natürlich wäre es naiv zu behaupten, die Medien würden nur einseitig berichten, um ihre Erlöse zu maximieren. Eine solche Sichtweise würde die komplexen Entscheidungsprozesse in Redaktionen nur unzureichend abbilden. Tatsächlich dürfte die aktuelle Nachrichtenlage außerdem wenig positive Meldungen aus der Wirtschaft hergeben.

Fazit

Dennoch, die hier genannten Punkte können als Indizien dafür gesehen werden, dass Medien einen Beitrag leisten zur Erhöhung der Unsicherheit in der Erwartungsbildung. Stimmt man dem zu, dann muss man auch der These zustimmen, dass Medien die Finanzkrise und den Wirtschaftsabschwung beschleunigen. Damit ist nicht gesagt, dass sie unverantwortlich bei der Informationsauswahl und – aufbereitung handeln. Erst recht wäre es nicht angemessen, sie als Verursacher für den Abschwung darzustellen.

Aber die derzeitige Krise ist vor allem eine Vertrauenskrise, die erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Zukunftserwartungen von Unternehmen und Menschen und erzeugt. Medien können hier Beiträge leisten, die Unsicherheiten zu reduzieren und aufzuklären, in dem z.B. mehr Fachinformationen transportiert werden und nicht jeder Kreditausfall zur Kernschmelze hochstilisiert wird.

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egghat Dezember 1, 2008 um 23:20 Uhr

Die Mainstreammedien haben VIEL ZU SPÄT berichtet, die Krise hätte viel sanfter verlaufen können, wenn früher reagiert worden wäre. Und die Mainstreammedien haben VIEL ZU LANGE den populistischen „bloß keinen rausreissen“ „moral hazard“ Mist erzählt. Dann hat man Lehman Pleite gehen lassen (teilweise unter dem Jubel der Presse und der Öffentlichkeit) und dann ging die Krise richtig los. Jetzt kostet die Krise viel mehr und die Presse hat immer noch nicht erklärt, warum das so ist.

Die Medien sind nicht Schuld an der Krise. Zumindest höchstens als leichter Verstärker. Das heisst aber noch lange nicht, dass sie eine gute Rolle gespielt haben …

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