Zum Tode von Adolf Merckle: Über Unternehmertum, Spekulanten und Selbstmord

by Dirk Elsner on 11. Januar 2009

Ausriss aus Website FAZ

Ausriss aus Website FAZ

In diesen Tagen gab es viele gescheite und weniger geistreiche Worte zum Tode von Adolph Merckle. Einige Zitate möchte ich hier hervorheben, weil sie wie unter einem Brennglas Erkenntnisse vermitteln, die über den Tod von Merckle hinaus Bedeutung haben könnten. Ich nenne diese Form der Zusammenstellung „Zitate-Mashup“, weil ich aus verschiedenen Beiträgen einzelne Sätze herausreiße und sie hier in neuer Struktur zusammenfüge. Die jeweiligen Urheber sind in Klammern genannt, die Quellen am Ende.

Zum Wirken von Merckle

„Mit Merckles Freitod nahm eine stolze Unternehmerkarriere, die in Deutschland ihresgleichen suchte, ein völlig unerwartetes, tragisches Ende.“ (GE)

„Adolf Merckle dementiert mit seinem Leben all die gängigen Einteilungen der schönen und bösen Wirtschaftswelt: Hier die guten Familienunternehmen (langfristig orientiert und nur der Schaffung von Arbeitsplätzen verpflichtet), dort die üblen Zocker, die um des schnellen Gewinns willen Werte und Schicksale verwetten.“ (RH)

„Der Mann war nicht nur fromm, heimatverbunden und bescheiden, sondern auch geldgierig, missgünstig und unberechenbar. Er war anhänglich und streitsüchtig, hat seine Top-Manager gefeuert und gehätschelt. Er war nicht nur ein großer Unternehmer, sondern auch ein grandioser Spekulant.“ (RH)

„Adolf Merckle hat in seinem Leben wenigen Menschen vertraut, und er hat oft allein und unnachgiebig entschieden. Er war aber über viele Jahre auch eine guter, kluger Stratege, der seine Unternehmen wachsen und gedeihen ließ. Ein letztes Mal hat er hart und einsam entschieden, und das offenbar mit wachem Verstand.“ (RB)

„Er kokettierte mit dem Klischee des sparsamen Reichen, wenn er zu erzählen pflegte, dass er sich im Kleinwalsertal nur deshalb einen Skilift gekauft habe, weil ihm die Tagespässe für eine sechsköpfige Familie zu teuer geworden seien.“ (RH)

„Dass Merckle seine Reisen stets zweiter Klasse buchte und das auch von seinen Mitarbeitern einforderte, dass er zusammen mit seiner in der evangelischen Kirche aktiven Frau Ruth ein unauffälliges Privathaus bewohnte, auf Yacht, Flugzeug und Nobelkarossen verzichtete, dass er Sportvereinen und Sozialinitiativen Geld gab, wurde häufig als Marotte abgetan, als Wiedergutmachungsversuche eines oft unerweichlichen Firmenlenkers.“ (RB)

„Adolf Merckle war ein Patriarch alter Schule.“ (GE)

„Er starb so allein, wie er stets geherrscht hatte“ (RB)

Zum Unternehmertum

„Ein Mythos ist die Vorstellung, der Unternehmer baue sein Reich nur mit sauer verdientem eigenen Geld. Spielgeld von der Börse und Kredite von der Bank sind der Hebel des raschen Wachstums. „Auf seinen Schulden reitet der Unternehmer zum Erfolg“, wusste schon der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter.“ (RH)

„Kurz vor seinem Suizid hatte er noch alle nötigen Unterschriften geleistet. Aber die Erniedrigung blieb und auch das Wissen, dass nun die Banken das eigentliche Regiment übernehmen würden.“ (TAZ)

„…, er war in erster Linie ein Unternehmer und kein Finanzhasardeur. Seine Firmen produzierten Baustoffe und preiswerte Medikamente, sie verkauften keine Schrottanleihen wie viele einstmals angesehene Banken. Aber Merckle war auch ein stark auf Expansion und Machtausweitung zielender Unternehmer, der bewusst große Risiken einging. Ein eigenwilliger Patriarch, der sein Firmenreich im Übermaß mithilfe von Krediten vergrößerte.“ (RJ)

„Im Privaten sparsam und bescheiden, strebte er als Unternehmer stets nach mehr. Was er in seinen Besitz brachte, das wollte er behalten. Er war überdies ein Machtmensch, der sich ungern in die Karten schauen ließ. Aber Merckle konnte auch von sich sagen, niemals einen Mitarbeiter entlassen zu haben.“ (RJ)

„Um das Ansehen von Unternehmern ist es in Deutschland von jeher nicht gut bestellt. In Umfragen spricht ihnen die Mehrheit der Bevölkerung schlankweg ab, sozial verantwortlich zu handeln. Von vielen werden Unternehmer vornehmlich als Ausbeuter angesehen, die sich auf Kosten der Mitarbeiter bereichern.“ (RJ)

„Vermutlich hängt es mit ihrer speziellen Funktion zusammen, dass Unternehmer eher beargwöhnt als geachtet werden. Mit ihrem Wirken bringen sie ja nicht nur Wachstum und Fortschritt, sondern auch Unordnung in die Welt. Sie sind Motoren der Veränderung, und sie stören uns in unserer Sehnsucht nach Sicherheit, Stabilität und Endgültigkeit. Sie gründen, kaufen und verdrängen. Sie schließen, erneuern und zerstören. Sie schaffen anderen Menschen Arbeitsplätze, und sie nehmen sie ihnen auch wieder. Sie sorgen für Konkurrenz, für Dynamik, für Unruhe. Und wird einer von ihnen müde oder träge, so beginnt der nächste mit frischem Furor. Das ist für viele beängstigend.“ (RJ)

Zum Spekulanten Merckle

„Ein Zocker war Adolf Merckle genannt worden, weil er mit VW-Aktien spekuliert und dabei Geld verloren hatte. Dreistigkeit hatte man ihm vorgeworfen, weil er sich nach Staatsbürgschaften erkundigt hatte. Dabei ging es ihm nicht zuletzt um die Stabilität einer Firmengruppe, in der 100.000 Menschen weltweit beschäftigt sind.“ (RJ)

„Ganz ohne Scheu gab Merckle den erfolgreichen Spekulanten: „Bei Aktien bin ich manchmal auch ein Daytrader“, brüstete er sich vor ein paar Jahren in einem Interview mit der F.A.Z.: Statt die Erträge seiner Familienunternehmen zu reinvestieren, packte ihn immer mal wieder die Lust, an der Börse zu spekulieren. Wie ein Besessener? Wie ein Süchtiger? Die Gewinne aus den Börsengeschäften brachte er dann wieder in den Ausbau des Imperiums ein.“ (RH)

Zur Psychologie des Selbstmords

„Suizid sei eine „letzte Lebensäußerung“, sagen die Suizidforscher: „Hinter ihr steht der Versuch, eine menschliche Tragik zu beenden.“ Und die Suizidforscher sagen auch, dass vor allem die Männer den Tod auf den Schienen wählen: Es ist ein Weg, der todsicher ans Ziel führt (und häufig den Lokführer traumatisiert).“ (RH)

„Dass Merckle sich vor einen Zug warf, ist laut Deutscher Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) gerade für Männer typisch. „Sie wollen damit ein letztes Zeichen setzen. Seht her, wie weit ihr mich gebracht habt. Männer lassen sich einfach weniger Chancen bei der Rettung und nehmen leider auch zu wenig therapeutische Hilfsangebote an“, sagt Suizid-Experte Michael Witte von der DGS. Mit ihrem Selbstmord sei oft eine öffentliche Anklage verbunden.“ (DW)

„Der Tod auf der Schiene ist ein lauter, ein aufdringlicher Tod, der so gar nicht zu Adolf Merckle passen will.“ (RH)

„Zur neuen Ohnmacht gehörte aber auch, dass Merckle sein öffentliches Bild nicht mehr kontrollieren konnte. Bisher war er als Selfmademan bewundert worden, und er litt an der Häme, die ihm entgegenschlug, sobald bekannt wurde, dass er bei VW-Spekulationen bis zu 1 Milliarde Euro verloren haben könnte. „Es macht mich traurig“, sagte er erkennbar getroffen, „dass in solchen Zeiten wie der jetzigen Finanzkrise die öffentliche Meinung über Handlungen und Personen schlagartig umschwingen kann.“ (TAZ)

„In dieser Ohnmacht wollte Merckle offenbar noch einmal Macht beweisen – über das eigene Leben und den eigenen Tod.“ (TAZ)

„„Thrill“ nennt der Soziologe Urs Stäheli das den Spekulanten begleitende Glücksgefühl, ein schwer übersetzbares Wort, welches eine Art Nervenkitzel, einen Kick meint, der die Emotionen hochfährt und das Gemüt in Spannung und Wallung versetzt. Es geht nicht nur um die Vorwegnahme des großen finanziellen Glücks, das man zu erlangen erhofft: Es geht vielmehr um den Genuss jenes magischen Moments, in dem man nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Der Reiz des Risikos treibt uns in eine ambivalente Situation, einen außergewöhnlichen Zustand der Angstlust. Der Thrill des Spekulanten kommt einer Art Rauschzustand gleich; kein Wunder, dass Glücksspiele süchtig machen können.“ (RH)

„Einer wie Merckle kann es partout nicht ertragen, die Kontrolle zu verlieren“, sagen die Suizidforscher. Lieber bringt er sich um. Offenbar wird, dass die Spekulation eine todernste Angelegenheit ist, alles andere als ein Spiel im Unverbindlichen, wie die meisten meinen.“ (RH)

„Warum aber geht einer wie Merckle nicht still aus dem Leben? Womöglich weil der Gang auf die Schienen ihm auf schaurige Weise ein letztes Mal den Thrill besorgt.“ (RH)

„Oft ist die Krise das Element, das den Überdruss unerträglich macht. Adolf Merckle ist nur einer von vielen Managern, Bankern und Konzernlenkern, die dem Druck nicht standhielten.“ (DW)

„Selbstmord ist eine radikale Selbstermächtigung, denn es wird keinerlei Rücksicht mehr genommen. Nicht auf die Angehörigen und nicht auf den Zugfahrer, der damit zurechtkommen muss, zum Tötungsinstrument degradiert worden zu sein. Selbstmord ist immer auch Provokation: Familie und Gesellschaft wird die Fähigkeit abgesprochen, zu helfen und zu verstehen.“

Schlußworte

„Falls man aus seinem tragischen Tod eine Lehre ziehen kann, dann allenfalls die, dass es wohl gut und richtig wäre, scheiternden und gescheiterten Unternehmern wenn nicht mit Mitleid zu begegnen, dann jedenfalls doch nicht mit Schadenfreude.“ (RJ)

„Wir verkennen häufig, welche persönlichen Risiken diese Menschen bei einem solchen Leben eingehen. Der Freitod Merckles kann uns den Blick schärfen für das Wesen des Unternehmertums in einer nichtstaatlichen Wirtschaft. Unternehmer sind Menschen, die sich weithin sichtbar auf die Probe stellen. Schon dadurch, dass sie eine Weile bestehen und nicht gleich wieder untergehen, beweisen sie ihre Befähigung. Das ist anders als zum Beispiel bei Lehrern, bei Buchhaltern und auch bei Journalisten.“ (RJ)

Quellen

RH – FAZ, Rainer Hank, Der Tod des Spekulanten

RJ – Zeit: Rüdiger Jungbluth, Eine Frage der Ehre

GEZeit: Georg Etscheid, Der Freitod des Patriarchen

RB – Zeit, Rüdiger Bässler, Das einsame Ende eines allzeit Erfolgreichen

DW – Welt, Tödliche Krise

TAZ – Selbstmord als letzte Waffe

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