In diesen Tagen reibe ich mir mal wieder die Augen. Vor allem, wenn ich auf aktuelle Schlagzeilen zur Wirtschaftslage schaue. Das Handelsblatt titelte gestern Wirtschaftliche Talfahrt geht dem Ende zu. In der FAZ konnten wir vor drei Tagen lesen Die Rezession scheint schwächer zu werden. Die FTD titelte gestern auf ihrer Website US-Investor Soros ruft Ende der Krise aus. Das klingt nett und möchte geglaubt werden. Allerdings ist es gerade einmal drei Wochen her, dass man noch Schlagzeilen wie Ökonomen erwarten noch Jahre im Jammertal (FAZ am 23.4.09) lesen konnte.
Bei aller Neigung dieses Blogs, die Gläser eher halbvoll zu sehen, das geht mir zu fix. Aus dem Nichts heraus wird nun die Trendwende beschworen. Zwar hat der Blick Log bereits Anfang Februar auf ein Papier von drei Forschern der Uni Stanford gesetzt, dennoch könnte etwas mehr kritische Distanz zu der konjunkturellen Wende nicht schaden. In dem Papier hatten die Ökonomen Hoffnung gemacht, dass die hohe Unsicherheit die Konjunktur nur kurz bremse. Schon nach wenigen Monaten lichte sich der Nebel wieder. Und dann kämen viele Firmen gar nicht darum herum, wieder zu investieren und neues Personal einzustellen, weil in der Zeit, in der sie die Luft angehalten haben, Nachholbedarf entstanden sei. Mag sein, dass wir diesen Zustand jetzt erreicht haben.
Das US-Magazin Time warnt aber in “Why the Economic Recovery May Be Disappointing”. So ist z.B. derzeit vollkommen offen, wie eigentlich der neue Normalzustand der Wirtschaft aussehen könnte. Die Welt dagegen will bereits jetzt wissen, warum die Krise 2009 anders verläuft als 1929.
Mich erinnert diese Diskussion an den Prolog im Buch “Der Schwarze Schwan“ von Nassim N. Taleb (hier im Interview mit der FAZ), ehemaliger Börsenhändler und Professor für Risikoforschung in New York. Im Abschnitt “Experten und „leere Anzüge“ schreibt Taleb, dass wir Ausreißer beim Auftreten eines Schwarzen Schwans angesichts ihres großen Anteils an der Dynamik der Ereignisse nicht vorhersagen können. Taleb schreibt weiter:
“Wir verhalten uns aber so, als könnten wir geschichtliche Ereignisse vorhersagen oder, was noch schlimmer ist, als könnten wir den Lauf der Geschichte ändern. Wir produzieren Projektionen für die Ölpreise und die Defizite bei der Sozialversicherung, die sich über 30 Jahre erstrecken, ohne zu erkennen, dass wir nicht mal die Entwicklung im nächsten Sommer vorhersagen können. Die Summe unserer Fehler bei der Vorhersage politischer und wirtschaftlicher Ereignisse ist so gigantisch, dass ich mich beim Blick darauf immer kneifen muss, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume. Das Überraschende ist nicht das Ausmaß unserer Fehler bei den Vorhersagen, sondern dass wir uns dessen überhaupt nicht bewusst sind. Wenn es um tödliche Konflikte geht, ist das noch viel beunruhigender: Kriege sind völlig unvorhersehbar (und wir wissen das nicht). Da wir die Kausalketten zwischen Politik und Handlungen nicht verstehen, können wir aufgrund unserer aggressiven Ignoranz leicht Schwarze Schwäne auslösen – wie Kinder, die mit einem Chemiebaukasten spielen.
Dass wir in Umgebungen, in denen es zu Schwarzen Schwänen kommen kann, keine Vorhersagen machen können und das nicht einmal erkennen, bedeutet, dass gewisse „Experten“ in Wirklichkeit gar keine Experten sind, auch wenn sie das glauben. Wenn man sich ihre Ergebnisse ansieht, kann man nur den Schluss ziehen, dass sie auch nicht mehr über ihr Fachgebiet wissen als die Gesamtbevölkerung, sondern nur viel bessere Erzähler sind -oder, was noch schlimmer ist, uns meisterlich mit komplizierten mathematischen Modellen einnebeln. Außerdem tragen sie mit größerer Wahrscheinlichkeit Krawatten.”
Man fährt also möglicherweise besser damit, den aktuellen Trend “Die Krise ist zu Ende” genauso wenig zum Nennwert zu nehmen, wie die noch vor einigen Wochen vorherrschenden Doomsday-Szenarien. Taleb selbst dagegen ist allerdings radikaler in seinen Ansichten, wie er es jüngst auf einer Konferenz dargestellt hat. Seine Vorschläge orientieren sich daran, das ökonomische Leben enger an der biologischen Umwelt zu orientieren, um es so mehr gegen Schwarze Schwäne abzusichern. 10 Vorschläge dazu von Taleb waren Anfang April in der Financial Times zu lesen.
Aber das ist ein Thema für einen anderen Beitrag. Einen Überblick über Meldungen zu Wirtschaftsprognosen der letzten fünf Monate gibt diese Seite.
Weitere Meldungen zur Wirtschaftslage
HB: Trichet sieht Wendepunkt in der Krise
Welt: Die beste Zeit des Wirtschaftswachstums ist vorbei
Wiwo: Konjunktur Talfahrt der Wirtschaft abgebremst
Central Banks Call Turn In Economy
Guardian: Britain may be over worst of recession, OECD predicts
CR: OECD: Global Economy at „inflection point“, U.S. Still in „strong slowdown“
A propos schwarzer Schwan. Ich hab letztens mal wieder die „Monetary History“ (Schwartz&Friedman) gelesen, da gibt es auch einen Abschnitt über 1931 und wie alle den Aufschwung gesehen haben. Dann kam die zweite Bankenkrise …
Übrigens gibt es sehr hübsche Interviews mit Taleb hier, eins vor und eins nach der Finanzkrise. Ziemlich interessant.
Danke für den Link.
Habe morgen noch einmal mehr über Taleb.
Ich denke, dass es irgendwo Grenzen gibt inwiefern Medien bzw. die öffentliche Meinungsbildung eine Wirtschaftserholung herbeireden können.
Es wird, bzw. ist bereits im Gange, zu inputorientierter Effizienzsteigerungen „mit der Brechstange“ kommen (und nicht Toyota-like tröpfchenweise), d.h. Kosten runter um mehr/gleichviel/weniger zu erstellen, und das bleibt dann erstmal so. Das Ergebnis ist eine Volkswirtschaft die zwar genauso viel Output wie vorher erstellen kann (nicht muss), aber mehr Ressourcen, insb. Arbeitskräfte, ungenutzt verfügbar sind (Anzumerken ist, ob diese nun Transferzahlungen erhalten oder nicht ist für die Nachfrageseite neutral; Ist wichtig, aber hier mal uninteressant; Ebenso ist egal ob plötzlich die Humanressourcen frei werden wie in den USA, oder über ein etwas längeres Zeitintervall; usw usw usw; Die Medien können so oder so nur Symptome erkennen, die sich vornehmlich auf das dynamische Einstellen von Gleichgewichtszuständen beziehen).
Am Ende der Geschichte stehen viele ungenutzte Inputs insb. in Form von Menschen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, dass Leistungserstellungsprozesse mehr oder weniger genauso viel Outputs erzeugen können wie vorher. Das ist eine der beiden Spielarten, die Marktgläubige (Betonung liegt auf Glaube) als Effizienzsteigerung bezeichnen, und irgendwelche Weltverbesserer (Das ist eine andere Religion mit denselben Gott) als Argument für das „Scheitern des Kapitalismus“ gerne instrumentalisieren, und am Ende das Offensichtliche garnicht sehen. Eine Rezession wird nur dann überwunden, inkl. einer möglichen Stagnation, wenn es gelingt komplett neue Arten, Formen, etc von Outputs aus dem Nichts zu erfinden.
Die Politik, Zentralbanken, Geschäftsbanken, etc, sind offensichtlich der falsche Ansprechpartner für das Erfinden neuer Output-arten. Das soll garkein Vorwurf sein, oder so. Also meiner Meinung nach werden Indizien für eine wirtschaftliche Erholung eher in Design- und Technik-Zeitschriften zu lesen sein, als in den Zahlenwerken von Statistikämtern oder panischen Auf und Ab der Tageszeitungen.
Also die kommende (echte) wirtschaftliche Erholung hat mehr mit Ungewissheit zu tun als mit Unsicherheit (siehe Entscheidungstheorie, was ich damit meine). Ich glaube, dass was ich hier geschrieben habe in die Schublade der Innovationsökonomik oder Technologiepolitik gehört, wobei ich mir über das epistimologische garnicht so genau weiß. Ich gehe aber davon aus, dass neue Output-arten (logischerweise) erst erfunden werden müssen (extrem ungewiss) oder aus einer verstaubten Schublade eines kreativen Menschen gezogen werden müssen, um im Anschluss von Kaufmänner hinsichtlich der Outputmenge BIG-skaliert werden (BIG BIG BIG…), um überhaupt für irgendeine Statistik messbar zu sein und somit aus dieser Sicht erst existent wird. Dies impliziert Irrationalität und begrenzte Informationsverfügbar der Masse vorraus, und ist somit eine „realitätsnahe“ Theorie. Die Symptome bzw. Nebenwirkungen entsprechen, die einer „wirtschaftlichen Erholung“, z.B. Menschen sind begeistert, rennen zu Messen um das Neue zu sehen, kaufen es, irgendwer produziert ist, stellt Leute ein, die neue Output-art wird Lebensqualitätsteigernd empfunden, Statistiker überlegen sich den Warenkorb zu ändern, der Fiskus freut sich wieder, Zeitschriften berichten über das neue Spielzeug, schlaue Tüftler, und mutige Manager mit Macherqualitäten, usw usw usw.
Ich sage noch mal was zu den Anforderungen bezüglich des Entstehen dieser „mystischen“ ungewissen neuen Output-art.
a) Analogien, z.B. die supi-Vergleiche und Metaphern von Politikern, coole Geschichten von Verkäufern, das Wecken von Emotionen durch Werbeagenturen, Bionik im Ingenieurswesen, Kulturvergleichstudien, etc. Dafür braucht man eine gute Vorstellungskraft und eine gute Portion Erfahrung. Mit dieser Form von Kreativität bekommt durchaus radikale Innovationen hin. Entlassen sie solche Leute steigt die Firma ins End Game ein.
b) Kombination, z.B. komplexe Derivatestrukturen, Variantenproduktion auf Basis von Autoplattformen, systematisches Erfinden mit TRIZ, Planung globaler Logistiknetzwerke, Entwurf von Schaltkreise, Entwicklung von Roboter, etc. Dafür braucht man viel Brainpower und auch eine gewisse Abneigung gegenüber von Übersimplifizierung. Kurz, ohne diese Leute funktioniert erstmal garnichts. Entlassen Sie diese Leute sind sie bald pleite. Ich würde sagen, dass die Anteil dieser Menschen an der Weltbevölkerung schon etwas niedriger ist.
c) Genalität. Diese Art von Kreativität wird eigentlich nie beachtet, weil „geniale“ Menschen seltener sind als bspw. Black Swans. Es ist die Residualgröße im unteren Promillebereich von „Verrückten“, „glücklichen Rittern“ mit dem Einfall ihres Lebens, etc. Diese Leute werden entweder ganz berühmt, vergessen oder nach ihrem Tod zu Legenden. Hinzukommen extrem schwierige Initierung der Wissensverbreitung (inkl. der Gefahr von Fehlkommunikation) und die Nichtplanbarkeit (ahhhhhhh…!?!!?!!).
Ich denke, dass es einfach die Masse nicht hören will, dass eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung bzw. Expansion davon anhängt ob einem c)-Typ irgendwann mal ein Einfall gekommen ist. Ohne diese c)-Typ Geschichten gibt es auch nichts Substanzielles was a)-Typen sich vorstellen oder b)-Typen neu kombinieren können, d.h. es gibt kein Spielraum für output-orientierte Effizienzsteigerung in der (heute gloablen) Volkswirtschaft.
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