Über den strukturellen Betrug in der Wirtschaft

by Dirk Elsner on 28. Juli 2009

Manchmal ist es gut  und wichtig, wenn “Außenstehende”, wie der Soziologe Wolfgang Engler, uns Akteuren in der Wirtschaft einen Spiegel hinhält. Engler lehrt Kultursoziologie an der Schauspielschule “Ernst Busch”, die er seit 2005 leitet. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS, nur Printausgabe) teilt er seine Wahrnehmung des Verhaltens in der Wirtschaft mit und antwortet auf die Frage der FAS, warum er glaube das Lügen ein Prinzip der Wirtschaft sei:

“In den vergangenen Jahrzehnten hat sich unser Wirtschaftssystem in markanter Weise verändert. Die Akteure vom einfachen Angestellten bis zum leitenden Manager sind heute viel stärker genötigt, Risiken herunterzuspielen und zu verschweigen, die Endabnehmer und Geschäftskunden betreffen – uns. Sonst würden sich diese Akteure selber schaden, weil sie alle einen immer größeren Teil ihrer Einkünfte in Form außertariflicher Gratifikationen erhalten: Aktienoptionen, Boni, Aufstiegschancen. Sie nehmen pauschal die Unternehmerperspektive ein, ignorieren ihre eigenen Interessen, sofern diese davon abweichen, und insbesondere die Interessen Außenstehender. Ich nenne das strukturellen  Betrug, weil sich diese Lügen nicht mehr als persönliches Fehlverhalten erklären lassen. “

Auf die darauf folgende Frage, ob das früher anders gewesen sei, antwortet Engler:

“Im 18. Jahrhundert herrschte die Idee vor, dass Tugenden, die für den Alltag wichtiger sind, auch in Geschäftsbeziehungen gelten sollen. Das moralische Startkapital der modernen Marktwirtschaft war daher, dem anderen das zu sagen, worauf zu wissen er ein Anrecht hat. Der Wettbewerb eine Absicherung: Wenn ich meinen Kunden oder Geschäftspartner betrüge, wird mein Konkurrent das ausnutzen. Aber das ist gewissermaßen aus der Mode gekommen. Das Startkapital ist zunehmend aufgezehrt.

Die Abgrenzung von Übertreibung und Lüge ist eine Sache von Zentimetern. Die Grenze ist dort, wo mir ein Bankangestellter nicht nur seinen vorzüglichen Angebote anpreist, die andere Banken nicht haben, sondern mich Hasard spielen lässt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, indem er suggeriert, es gebe kein Risiko. Dabei ist das Risiko verheerend, und ich steh am Ende ohne Ersparnisse im Alter da. Wenn das Schule macht und wenn der Bankangestellte erwarten darf, dass seine Kollegen in anderen Geldinstituten genauso verfahren, haben wir eine Grenze überschritten.”

An anderer Stelle formuliert Engler ein moralisches Gebot zur Aufrichtigkeit:

Eine wunderbare Definition aus der Mitte des 18.Jahrhunderts besagt: meine Pflicht als Bürger unter Bürgern, dem anderen zu sagen, was zu wissen er einen Anspruch hat, um Gefahren oder Schaden von sich abzuwenden. Ich muss nicht alles sagen, was ich weiß. Aber das, was für ihn wichtig ist, muss ich sagen. So verpflichte ich auch den anderen mir gegenüber. Das ist die Idee einer moralischen Versicherungsgemeinschaft.”

Nixda Juli 28, 2009 um 11:35 Uhr

Es wäre schon hilfreich, wenn Politik und Wirtschaftsverbände verstehen würden, dass dieses Verhalten die Abschluss und Kontrollkosten für einzelne Verträge nach oben treibt (Stichwort Transaktionskostentheorie). Im Ergebnis wird für den einzelnen Kunden damit der Vetragsabschluss unattraktiv und es werden weniger Verträge geschlossen.

Eigentlich müssten daher alle beteiligten an höheren Standards zum Verbraucherschutz interessiert sein. In der Praxis betreiben die Lobbyverbände eine Politik, die den eigene Mitgliedern schadet. Aktuelles Beispiel ist die neue bzw abgeschaffte Verordnung über die Verpackungsgrößen.

Joss Juli 28, 2009 um 07:11 Uhr

Gleich mal alle Grenzen und Hemmschwellen überschreiten die Kommentatoren in
den österreichischen Medien. (Ebenso wie ich von jenen in den Schweizer Zeitungen
enttäuscht bin.)
Da ist schon mal Narrenhaus pur angesagt und hat Methode. Die werden wohl
irgendwann überhaupt auf Anstaltsankleidung von Klappsmühlen umsteigen. Von
Geschäftsfähigkeit ist da wirklich keine Rede mehr. Da muss es wohl eine gewisse
Schizophrenie – oder aber irgendwann mal akute Probleme geben.
Hier ein Artikel in der Wiener „Presse“ mit ausdrücklichem Hinweis auf die
Leserbriefe:
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/498342/index.do?from=gl.home_politik

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