Heute vor einem Jahr: Showdown für die Finanzkrise an Wall Street

by Dirk Elsner on 14. September 2009

image

Der wohl am meisten gelesene Artikel der Welt an diesem Abend: Hier am nächsten Tag als Aufmacher im Wall Street Journal

Diesen Sonntag Abend werde ich so schnell nicht vergessen. Über das ganze Wochenende verteilt gab es bereits die Meldungen zu den Rettungsbemühungen der US-Investmentbank Lehman Brothers und auch von Merril Lynch (siehe hier bei CWD oder Bloomberg). Am Abend des 14. Septembers spitze sich der Kampf zu und endete am nächsten Tag bekanntlich mit dem Gläubigerschutzantrag von Lehman.

Hier zum Jahrestag mein erster Text von diesem Abend:

Showdown für die Finanzmarktkrise an Wall Street

“Im Gebäude der New Yorker Federal Reserve findet derzeit ein dramatischer Showdown für die Finanzmärkte statt. Die Berichte im Handelsblatt, Wall Street Journal oder Financial Times Deutschland klingen wie eine spannende Liveberichterstattung über ein Endspiel. Die Verhandlungen, an der viele Bankchefs beteiligt sind, sind nach wie vor nicht beendet. Es wird befürchtet, dass die Finanzkrise in der neuen Woche zu Verwerfung von nicht gekannten Ausmaßen führen könne, wenn nicht bis Börsenbeginn am Montag eine Lösung gefunden werde. Es droht der Kollaps von Lehman Brothers, der viertgrößten US-Investmentbank.

Die britische Barclays Bank soll ihr Übernahmeangebot zurückgezogen haben, weil sich Barclays nicht mit der US-Seite über eine Risikobegrenzung habe einigen können. Lehman soll nach Angaben des „Wall Street Journal“ bereits einen Insolvenzantrag vorbereiten. Die ebenfalls an Lehman interessierte Bank of America soll nicht am Kauf interessiert sein, wenn die Regierung nicht bereit sei, dies zu unterstützen.

Spekuliert wird, ob Barclays wieder an den Verhandlungstisch zurückkehre und der Rückzug nur gedacht war, um Druck auf die Regierung aufzubauen. Es ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich erwartet wird, dass die Regierung hier jetzt die Risiken übernimmt.

Zahlreiche Institute haben ihre Derivate- und Kreditexperten aus dem Wochenende geholt, um die Positionen gegenüber Lehman zu identifizieren, zu bewerten und Möglichkeiten zur Glattstellung zu prüfen. Lehman selbst soll bereits die Vorbereitung eines Insolvenzantrages in Auftrag gegeben.

Daneben wurde bekannt, dass der größte US-Versicherer, AIG, immer größere Probleme bekommt und am Montag Notverkäufe plane, um eine Schieflage zu vermeiden. Und weil das immer noch reicht gibt es Spekulationen um den Verkauf der größten US-Sparkasse.

Die Financial Times erinnert angesichts der Dramatik an den Zusammenbruch des Hedge-Fonds Long Term Capital Management 1998.”

Ich ging an diesem Abend sehr spät ins Bett und verfolgte weiter die Meldungen z.B. im Handelsblatt, in der New York Times, in Blogs wie hier bei Creditwritedown) und im TV.

Mir waren die Folgen bewusst. Meine ersten Gedanken zu den Konsequenzen hatte ich zwei Stunden später zusammengefasst.

Deutsche Banken wären massiv von Lehman Insolvenz betroffen, Kreditderivate verteuern sich

Fest stehen dürfte schon jetzt, dass ein Zusammenbruch von Lehman Brothers auch erhebliche Belastungen für den Deutschen Finanzmarkt mitbringen wird. Lehman gehört nämlich zu den größten Clearinghäusern in dem Marktsegment für Kreditderivate. Ich vermute daher, dass Fachleute und leitende Angestellte deutscher Institute bereits am Wochenende in den Banken sitzen und ihre Positionen sondieren.

Ein Zusammenbruch von Lehman hätte tiefe Auswirkungen auf den Markt für Kreditderivate. Eine besondere Gattung dieser Kreditderivate sind die sogenannten Credit Default Swaps (CDS), mit denen sich Kreditgeber gegen sogenannte Kreditereignisse absichern. Ein solches Kreditereignis kann z.B. die verschlechterte Bonität eines Kreditnehmers sein. Tritt ein Kreditereignis ein, dann erhält der Sicherungsnehmer, i. d. R. eine Bank, einen bestimmten festgelegten Betrag vom Sicherungsgeber. Der Sicherungsgeber erhält dafür eine bestimmte Prämie, die in Abhängigkeit vom Risiko kalkuliert wird.

Lehman tritt als Händler solcher CDS auf. Das heißt, das Institut übernimmt nicht die Risiken selbst als Sicherungsgeber sondern tritt als Zwischenhändler auf und sichert sich durch den Weiterverkauf eines übernommenen Risikos bei einem anderen Sicherungsgeber ab. Wird also eine Zahlung aufgrund eines Kreditereignisses fällig, dann zahlt zwar Lehman, erhält aber selbst eine Zahlung, eben weil sie den CDS weiter verkauft hat. Lehman verdient in solchen Fällen an der Marge.

Das Problem liegt nun darin, dass Lehman dennoch für viele Institute der Vertragspartner ist und diese nicht wissen, mit wem Lehman ein entsprechendes Gegengeschäft abgeschlossen hat.

Fällt nun Lehman aus, dann entsteht zunächst eine offene Risikoposition bei den Sicherungsnehmern. Vermeindlich abgesicherte Kredite sind plötzlich nicht mehr abgesichert. Dies führt gem. den Eigenkapitalrichtlinien zu einer höheren Belastung des Eigenkapitals und dürfte damit sofort zu einer Einschränkung der Kreditvergabe führen. Damit wäre dann auch die Realwirtschaft betroffen.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, dass die Sicherungsnehmer erfahren, bei wem sich Lehman selbst abgesichert hat. Üblicherweise ist dies nicht bekannt. Derzeit bemühen sich aber in den USA viele Finanzinstitute genau das herauszufinden.

Aber auch wenn das gelingt, was im Prinzip nur eine technische Frage ist, wird sich die Absicherung von Krediten verteuern, weil ein wichtiger Marktteilnehmer ausgefallen ist. Höhere Absicherungskosten verteuern aber die Kreditvergabe bzw. schränken sie sogar ein, womit dann wieder Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu befürchten sind.

Previous post:

Next post: