G-20-Gipfel in Pittsburgh: „Wir werden nichts Substantielles erleben“ (+ Pressevorschau)

by Dirk Elsner on 24. September 2009

imageZum Treffen: Hier Twitterstream. Unten Blogs sowie Pressevorschau.

Vergangene Woche im Kanzlerduell vermittelten Angela Merkel und ihr Außenminister Franz-Walter Steinmeier den Eindruck, mit der Regulierung von Gehältern und Bonuszahlungen löse man alle im Zusammenhang der Finanzkrise aufgetretenen Probleme und leiste damit ebenfalls einen Beitrag zur Haushaltssanierung.

Natürlich wissen beide, dass dies weder ausreicht und nicht einmal ein zweckmäßiger Vorschlag ist. Gleichwohl dominiert dieser Gedanke die öffentliche Debatte im Vorfeld des G-20-Gipfels heute und morgen in Pittsburgh. Dabei ist die Agenda deutlich umfangreicher, wie ein Blick auf die Dokumente der vier Arbeitsgruppen (siehe unten) zeigt.

Im Februar erwarteten alle, die G20-Staaten würden das internationalen Finanzsystems radikal reformieren. Was wurde nicht alles diskutiert in den vergangenen 12 Monaten? Eine kaum enden wollende Flut von Beiträgen (man scrolle einfach mal nur durch die Überschriften diese Überblickseite) hat sich über die interessierte Öffentlichkeit ergossen zu den Konsequenzen aus der Finanzkrise.

Ted Truman, frühere Offizieller der Obama Adminstration und Sherpa von Tim Geithner beim letzten G-20 Gipfel in London, ist skeptisch, ob das Treffen in Pittsburgh belastbare Ergebnisse liefern kann. „Wir werden nichts Substanzielles erleben bei diesem Treffen“, sagte Truman dem Handelsblatt. Ein Beispiel dafür sei die Debatte über Gehälter und Bonuszahlungen. „Das ist ein G 7-Thema und nicht eines für die G 20“, sagte er, weil eigentlich nur eine einige G7-Länder von diesem Thema betroffen seien. Bei der Finanzmarktregulierung lägen die USA weiter vorne als EU. „Ich sehe keine europäische Gesetzgebung auf diesem Gebiet“.

Vorhersehbar ist also, dass sich die Berichterstattung über Pittsburgh auf die Bonusfrage konzentrieren dürfte, die schon zum Streitthema stilisiert wurde. Das Vergütungsthema ist zwar relevant für die Unternehmenssteuerung hat aber in der öffentlichen Regulierung nichts zu suchen (sieht Beitrag von gestern).

Finanzinstitutionen müssen vielmehr dazu gebracht werden, dass sie Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen und die Konsequenzen aus Fehlverhalten übernehmen. Dazu gehört z.B., dass es keine systemrelevanten Banken (hat diesen Begriff eigentlich mal jemand operabel definiert?) mehr gibt oder diese geordnet und ohne Schaden im Zweifel abgewickelt werden können. Banken müssen sterben dürfen.

Eine Ergänzung dazu ist, Banken für Risiken, die sie den Steuerzahlern potenziell aufbürden, zahlen zu lassen. Die Geschäfte vieler Finanzinstitute haben Auswirkungen auf unbeteiligte Marktteilnehmer. In der Ökonomie werden solche Auswirkungen als externe Effekte bezeichnet. Sie werden häufig nicht in das Entscheidungskalkül des Verursachers einbezogen. Extern heißt dabei, dass die Effekte (Nebenwirkungen) eines Verhaltens nicht (ausreichend) im Markt berücksichtigt werden. Ein Geschädigter erhält keine Entschädigung und ein Nutznießer muss keine Gegenleistung entrichten, ohne sich zwangsweise dessen bewusst sein zu müssen. Hier liegt ein Ansatz, nämlich die Finanzinstitute an den von ihnen verursachten externen Effekten zu beteiligen.

Wie auch immer die neue Finanzordnung aussehen wird, es wird so sein, wie immer in den vergangenen Jahrhunderten im Wettlauf zwischen Ursachen von Finanz- und Wirtschaftskrisen: Unternehmen, Banken, staatliche Institutionen und andere Akteure werden wieder Wege finden, diese Regulierung zu umgehen bis es zum nächsten Showdown kommt. In Vorschriften gegossene Regulierung erzielt häufig nicht die angestrebten Wirkungen. Vielmehr wird viel Kreativität in Unternehmen dafür gebunden, wie man die neuen Vorschriften organisatorisch und technisch umsetzen und umgehen kann.

Indizien für die mangelhafte Wirkung der Regulierung dient gerade die aktuelle Finanzkrise. Es gibt keinen Wirtschaftssektor, der national und international so eng beaufsichtigt und kontrolliert wird und der mit so viele Schutzvorschriften Verbraucher vor opportunistischem Verhalten schützen will. Und dennoch, genutzt hat dies nichts. Angesichts der aktuellen Regulierungsdebatte stellt sich damit die Frage, warum das zukünftig anders sein sollte. Das Argument “Aber diesmal machen wir alles besser,” hat man schon zu häufig gehört, als das es glaubhaft ist.

Die mangelnde bzw. falsche Regulierung wird als eine Ursache für die Finanzkrise angesehen. Vielleicht war es einfach ein Zuviel an Regulierung. Regulierung erhöht nämlich kräftig die Eintrittsbarrieren für neue Marktteilnehmer. Die mit Regulierung verbundenen organisatorischen Kosten (vor allem die Kosten  für die Anpassungen der IT-Systeme) führen dazu, dass kleine Institute diese nicht mehr stemmen können und vom Markt verschwinden oder sich zu größeren Einheiten zusammenschließen müssen. Dabei sind größere Einheiten wiederum gar nicht wünschenswert. Sie führen bekanntlich erst zum Entstehen systemrelevanter Risiken, die wiederum durch zusätzliche Regulierung verhindert werden sollen.

Freiräume für frische Anbieter mit neuen Produkten und Dienstleistungen kommen so gar nicht erst in den Markt. Darüber hinaus hat der Wettlauf zwischen Regulierern und der gegen sie ankämpfenden Produktentwickler in den Finanzinstituten eine Komplexität erreicht, die weder die Aufsichtsbehörden noch die Institute verstehen, geschweige denn managen können.

Diejenigen dagegen, die die Regulierung beherrschen, und das sind in der Regel die großen Institute (allen voran Goldman Sachs), haben sich bequem eingerichtet oder treiben nach einer Krise in Zusammenarbeit ihrer Lobby mit den Machern der Vorschriften die Änderung des Regelwerks (in ihrem Sinn?) voran (siehe auch hier zu Goldman Sachs). So schrauben sie die Markteintrittsbarrieren immer weiter nach oben und vertreiben kleinere Mitspieler. Im Gegenzug winkt eine Art Regulierungsrente mit Gewinnen, wie man sie derzeit schon wieder bei einigen großen Instituten beobachten kann.

Welche Vorschläge auch immer in den nächsten Monaten und Jahren umgesetzt werden, wir dürfen nicht der Illusion erliegen, damit seien Gefahren von Finanz- und Wirtschaftskrisen gebannt. Sie wird es weiterhin geben. Gerade diese Kontrollillusion hält uns möglicherweise davon ab, unser Wirtschaftssystem robuster gegen Krisen zu machen.

Blogs zum G-20-Gipfel

Nachdenkseiten: Zum G-20-Reformgipfel in Pittsburgh: Entgegen der großspurigen Ankündigungen von Angela Merkel und Peer Steinbrück wird Deutschland von Amerikanern, Briten und Franzosen über den Tisch gezogen

Mittelstands-Blog: Mittelstand betrachtet G-20-Vorschläge mit Sorge

Herdentrieb: Die Kleingeister von Pittsburgh

F!XMBR: sell not virtue to purchase wealth, nor liberty to purchase power

Spiegelfechter: Wir müssen draußen bleiben

Meldungen zum G-20-Gipfel

FAZ: Die Themen des G-20-Gipfels – Boni, Banken und Blasenvermeidung: Auf Washington und London folgt Pittsburgh: In Pennsylvania geht es vor allem um die Absicherung des sich abzeichnenden Aufschwungs. Ein Überblick über die Themen des dritten Weltfinanzgipfels.

HB: „Die Party für Banker muss vorbei sein“: Aus allen wichtigsten Industrie- und Schwellenländern haben sich die Staats- und Regierungschefs auf den Weg nach Pittsburgh gemacht, um beim G20-Gipfel über weitere Konsequenzen aus der Weltfinanzkrise zu beraten – nicht jedoch, ohne sich zuvor noch einmal in Stellung zu bringen.

FAZ: G 20 in Pittsburgh – „Die Party für Banker muss vorbei sein“ Der britische Finanzminister gibt sich plötzlich wild entschlossen, Boni zu begrenzen. Auch Bundeskanzlerin Merkel mahnt, der G20-Gipfel müsse die Regulierung der Finanzmärkte, nicht Wachstumsziele, als wichtigstes Thema behandeln. Josef Ackermann sieht schon die Profitabilität des Finanzsektors schwinden.

Focus: G20-Gipfel – Gut, dass wir mal drüber geredet haben: Zum dritten Mal seit letztem November treffen sich die G20-Staaten. Was von dem Gipfel zu erwarten ist, um welche Themen es geht und wo die Probleme liegen.

HB: Mehr Transparenz – London bremst EU-Finanzaufsicht: Die EU-Kommission hat vor einer Schwächung der geplanten europäischen Finanzaufsicht gewarnt. Wirklich greifen könne das System nur, wenn hochwertige Informationen geliefert würden, erklärte Finanzkommissar Joaquin Almunia. Angesproch darf sich besonders Großbritannien fühlen, das sich bisher als Hemmschuh in Sachen Transparenz erwies.

Wiwo: Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist in Gefahr: Die Regulierung der Finanzmärkte ist das Topthema auf dem G20-Gipfel. Bei der Aufsicht sollen die Notenbanken künftig eine wichtige Rolle spielen. Das birgt Gefahren für ihre geldpolitische Unabhängigkeit, sagt Manfred Neumann.

HB: Kreditwirtschaft warnt vor Benachteiligung: Kurz vor Beginn des G20-Treffens in Pittsburgh warnt die deutsche Kreditwirtschaft die Bundesregierung in einem Brief vor zu weitreichenden Zugeständnissen bei den künftigen Eigenkapitalanforderungen. So drängen nach Auffassung der Bankverbände die USA und Großbritannien darauf, den Begriff des bankaufsichtlichen Kernkapitals enger als bisher zu fassen.

HB: G20 wollen Finanzmärkte zu Reformen zwingen: Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama erwarten vom Weltfinanzgipfel in dieser Woche konkrete Ergebnisse. Grundsätzlicher Konsens herrscht bei schärferer Aufsicht. Doch um Boni, Bilanzregeln und Börsentransaktionssteuer wird noch heftig gerungen.

FAZ: G-20-Gipfel – Chinesen fordern einen „weltumspannenden Staatsfonds“: China drängt immer stärker auf Reformen des Weltfinanzsystems. So hat jetzt Hu Xiaolian, stellvertretende Gouverneurin der Zentralbank in Peking, einen „weltumspannenden Staatsfonds“ vorgeschlagen. Dieser Fonds solle in Entwicklungsländern investieren und dadurch für Stabilität in künftigen Krisen sorgen. Zugleich bekräftigt sie die chinesische Forderung, den Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds (IWF) stärkeres Gewicht einzuräumen. „Die Kosten des derzeitigen Weltwährungssystems dürften seine Verdienste übertreffen“, kritisiert Hu.

HB: G20-Gipfel – Banken wappnen sich für neue Regeln: Die internationalen Großbanken fahren zweigleisig in die Zukunft. Einerseits versuchen sie vor dem Gipfeltreffen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) in Pittsburgh durch Lobbyarbeit besonders drastische Eingriffe des Staates noch abzuwenden. Andererseits bereiten sie sich schon seit Monaten auf eine stärker regulierte Finanzwelt vor.

NZZ: EU-Kommission legt Gesetzesentwürfe für umfassende Reform vor: Die EU-Kommission will zur Vermeidung neuerlicher Finanzkrisen europäische Aufsichtsbehörden mit weitreichenden Kompetenzen schaffen. Die drei neuen Kontrollbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel sollten bei Entscheidungen über multinational agierende Finanzinstitute das letzte Wort haben.

Spon: Streit vor G-20-Gipfel – Steinbrück attackiert britische Reformbremser: Peer Steinbrück geht mal wieder zum Angriff über, diesmal trifft es die Briten. Kurz vor dem G-20-Gipfel in Pittsburgh schimpft der SPD-Politiker über die Londoner Blockadehaltung beim Umbau der globalen Finanzmärkte.

HB: „Eigenkapitalregeln mit Augenmaß einführen“: Mit Sorge blickt Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auf die Pläne der G20-Staaten, die Eigenkapitalanforderungen der Banken deutlich zu verschärfen. Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er, warum.

FTD: Kritik an Gipfel-Agenda – Ökonomen monieren Merkels G20-Ziele: Chefvolkswirte und Wirtschaftsforscher bemängeln vor dem G20-Gipfel, die Bundeskanzlerin würde mit der falschen Agenda nach Pittsburgh reisen. So sei die Einrichtung einer internationalen Finanzaufsicht entscheidender als Gehälter von Bankmanagern, ergab eine FTD-Umfrage.

HB: G20-Gipfel – Was auf deutsche Institute zukommt: Die vor dem G20-Gipfel diskutierten strengeren Eigenkapitalregeln treffen vor allem die deutschen Banken. Die Bankenaufseher und Chefs der 27 wichtigsten Notenbanken hatten im Vorfeld des am Donnerstag beginnenden Gipfels vereinbart, die Qualität des Kernkapitals zu verbessern und die Kreditvergabe zu begrenzen.

Welt: In der Bredouille – Gordon Brown kann beim G-20-Gipfel nur scheitern: Der G-20-Gipfel Ende dieser Woche bringt den britischen Premierminister Gordon Brown in die Bredouille. Entweder er vergrätzt die für Großbritannien so wichtige Bankenwelt oder er verscherzt es sich mit seinen Steuerzahlern und den europäischen Regierungschefs, die ihn ohnehin schon für einen Spalter halten.

HB: Brown will G20 als Weltwirtschaftsregierung: Der britische Premierminister Gordon Brown will die G20 langfristig zu einer Weltwirtschaftsregierung formen. Damit stößt er beim französischen Präsident Nicolas Sarkozy auf offene Ohren. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dagegen von den Ideen wenig begeistert. Und auch Experten reagierten mit Skepsis.

HB: Ökonomen halten Weltregierung für überflüssig: Sollte sich die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer regelmäßig treffen, um über Wachstumsstrategien zu beraten? Der britische Premier Brown hält eine Weltwirtschaftsregierung für notwendig. Doch sein Wunsch dürfte beim G20-Gipfel in Pittsburgh wohl kaum in Erfüllung gehen. Selbst führende Ökonomen halten seinen Vorschlag für überflüssig.

WSJ: Obama Retakes Global Stage, but With Diminished Momentum

Economist: The revival of Pittsburgh: Lessons for the G20: The city of bridges has built a bridge from its steel past to a diverse 21st-century economy. The summiteers should take note

FAZ: Im Gespräch: William Black – „Geithner hat als Regulierer versagt“: Die Börsianer sind optimistisch und kaufen in der Erwartung einer wirtschaftlichen Erholung die Aktien nach oben. Das habe jedoch wenig mit der Realwirtschaft zu tun, erklärt Bill Black, Wirtschafts- und Juraprofessor und ehemaliger Regulierer.  Er hält die großen amerikanischen Finanzunternehmen für „Zombiebanken“ und „tickende Zeitbomben“, die nicht nur nicht richtig reguliert, sondern geradezu zu riskantem Verhalten ermuntert würden.

Zeit: Die Welt lernt aus der Krise: Auf ihrem Gipfel in Pittsburgh wollen die G20 neue Finanzregeln verabschieden. Sie können die Kapitalmärkte sicherer machen.

TAZ: Politökonom über Finanzsystemreform: „Die G20 können nur scheitern“

Viele weitere Beiträge zur neuen Finanzordnung auf dieser Übersichtsseite

Veröffentlichungen der Arbeitsgruppen der G-20
Ulf September 24, 2009 um 10:22 Uhr

Denke auch dass da nicht viel rauskommt. Ist viel Aktionismus im Spiel.

Das mit dem Globalen Insolvenzverfahren wäre sicherlich das wichtigste Thema. Aber Politiker werden nur solche Themen ansprechen, die sie später „dem kleinen Mann“ gut verkaufen können.

Das blöde bei wichtigen Themen wie Insolvenzverfahren ist daß es viel Arbeit ist. Wenn die Politiker sich von Anfang an gegenseitig blockieren weil sie mit der Problemanalyse überfordert sind, dann wird sich auch niemand (z.B. wissenschaftler) mit den Detailfragen ernsthaft beschäftigen.

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