Die Behavioral Economics als vergleichsweise junge aber mittlerweile etablierte Forschungsrichtung der Wirtschaftswissenschaften hat durch die Finanzkrise erheblichen Auftrieb erhalten. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen. Dabei werden meist Konstellationen untersucht, in denen Menschen sich anders verhalten, als dies die klassischen Annahmen des Homo Öconomicus erwarten lassen.
Unterstützt werden die verhaltenswissenschaftlichen Untersuchungen durch die Hirnforschung. Dazu hat Anja Müller im Handelsblatt einen lesenswerten Beitrag verfasst, der einen kleinen Einblick in die Praxis der Neurowissenschaften erlaubt.
Gefühle, wissen Wirtschaftsforscher inzwischen, beeinflussen unsere wirtschaftlichen Entscheidungen viel mehr, als es das Fach traditionell angenommen hatte. Neuro-Ökonomen wie Kenning wollen verstehen, was genau dabei im Gehirn passiert. Sie gehen daran, das Verhalten bei individuellen Entscheidungen gleichzeitig durch Gehirnscans noch genauer zu untersuchen.
Wenig überraschend ist, dass insbesondere die Marktforschung versucht, Erkenntnisse für die Vermarktung ihrer Produkte aus der Hirnforschung abzuleiten:
Ein Ergebnis solcher Studien ist: Eine emotional starke Marke schaltet nicht nur den Verstand aus, sondern kann auch andere Marken verdrängen. Und auch die Preisgestaltung als Teil des Marketings hat einen Einfluss auf die Vorgänge im Gehirn, zeigt die Neuro-Ökonomin Hilke Plassmann, die seit sieben Jahren unter anderem am renommierten California Institute of Technology und nun im französischen Insead forscht.
Plassmann bat Probanden im Hirnscanner zur Weinprobe und ließ sie vermeintlich fünf verschiedene, unterschiedlich teure Rotweine probieren – tatsächlich handelte es sich allerdings nur um drei verschiedene Sorten.
Die Versuchspersonen gaben an, dass ihnen der als teuerster vorgestellte Wein auch am besten schmeckte. Und der Blick ins Gehirn offenbarte, dass die Probanden dies nicht nur sagten, sondern dass „sie es auch wirklich fühlten“, erklärt Plassmann – denn ein Teil des Hirns, das gelernte Erfahrungen verarbeitet, war dabei besonders aktiv.
Tatsächlich scheint die Hirnforschung erst am Anfang zu stehen. Neurobiologen, Physiker und Mathematiker bereiten das bislang größte Projekt der Hirnforschung vor, war im Focus zu lesen: Sie wollen den kompletten Schaltplan unseres Denkorgans mit allen Nervenzellen und Synapsen kartieren.
Jenseits unserer natürlichen Fähigkeiten versuchen Hirnforscher mithilfe ihrer Messdaten vorherzusagen, welcher kognitive Prozess gerade in einer Versuchsperson vorgeht. Viele Hirnforscher arbeiten mit bildgebenden Verfahren, wie beispielsweise die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT). Durch starke Magnetfelder können hiermit Unterschiede in der Sauerstoffverteilung des Gehirns gemessen werden, die man mit neuronaler Aktivität in Zusammenhang bringt, also dem Feuern der 100 Milliarden Neuronen im Gehirn.
Surft man durch die Literatur über Hirnforschung und Behavioral Economics, dann fällt die große Euphorie auf, die diesen Forschungsrichtungen entgegengebracht wird. Hier sind zumindest in den populärwissenschaftlichen Texten kaum Stimmen zu finden, die die Methoden aus kritischer Distanz betrachten und die Erwartungen etwas dämpfen. Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass diese Ansätze helfen, das Verhalten in der Wirtschaft besser zu erklären, damit lässt es sich aber noch lange nicht voraussagen.
Weitere Quellen
Nervenheilkunde 2007; 26: 505–510, Gedankenlesen mit dem Hirnscanner?
Telepolis: Die Hirnforschung und die Mär von der Willensfreiheit
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