Die Dominanz marktzentrierter Instrumente in der weltweiten Klimagovernance (Teil 2): Emissionshandel

by Gastbeitrag on 10. Dezember 2009

Gastbeitrag von Nils Simon*

Hier ist Teil 2 der kleinen Reihe zu den marktzentrierten Instrumenten im weltweiten Klimaschutz (Teil 1 gibt es hier).

Der Emissionshandel

Das wichtigste der marktzentrierten Instrumente im Kyoto-Protokoll ist der Emissionshandel. Wirtschaftswissenschaftlich geht der Emissionshandel unter anderem auf den Ökonomen Ronald Coase zurück. Coase suchte nach Wegen, die mit Wirtschaftsprozessen unweigerlich einhergehende Umweltverschmutzung zu „optimieren“. Würden die mit der Verschmutzung  verbundenen Kosten nicht länger externalisiert und damit der Gesellschaft aufgebürdet, sondern in der Kalkulation der Unternehmen auftauchen, dann würde nach Coase‘ Annahme nur so viel Umweltverschmutzung stattfinden, bis der Grenznutzen zusätzlicher Verschmutzung gleich Null ist. Damit wäre ein volkswirtschaftliches Optimum erreicht, das nur der Markt zu ermitteln im Stande ist.

Das volkswirtschaftliche Optimum an Verschmutzung muss nicht notwendigerweise einem tolerablen Level daran in der Natur entsprechen. In der Tat gibt es keinerlei direkte Verbindung zwischen den beiden Sphären, was gut sichtbar wird am Beispiel kollabierender Fischgründe oder massiver Bodenerosion in entwaldeten Gebieten. Deshalb muss von der Politik ein Level an tolerabler Verschmutzung oder, allgemeiner, Naturbeanspruchung festgelegt werden, das sich im Idealfall auf wissenschaftlichen Sachverstand stützt. Wenn dieses cap definiert ist, kann dann ein Handel mit den zur Verfügung stehenden knappen Zertifikaten stattfinden, die den Unternehmen das Recht geben, je eine bestimmte Menge an Emissionen auszustoßen.

Die EU hat 2003 den Beschluss zur Einführung eines Emissionshandelssystems (EU-ETS) getroffen. Die Entscheidung fußte ironischerweise auf zwei Fehlschlägen der Europäischen Kommission: Zuerst wollte sie Anfang der 1990er eine Kohlenstoff- und Energiesteuer einführen. Der Vorschlag scheiterte aber am Widerstand der Mitgliedstaaten, die darin den Einstieg in die Erhebung von Steuern durch die EU gesehen haben, was einen Kernbereich ihrer staatlichen Souveränität betrifft. Der zweite Fehlschlag betrifft den erheblichen, aber letztlich nicht erfolgreichen Widerstand der EU-Delegation bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll zwischen 1995 und 1997 gegen eine Verankerung des Emissionshandels. Daraufhin drehte sich der Wind auch innerhalb der Kommission, und sie begann mit der konzeptionellen Arbeit am späteren EU-ETS.

In das ETS sind alle Großemittenten, darunter fossile Kraftwerke, Zementwerke, Glasfabriken und vergleichbare Anlagen über einer bestimmten Produktionskapazität bzw. Feuerungsleistung eingebunden, im Falle fossiler Kraftwerke sind dies beispielsweise über 20 MW. Insgesamt erfasst das System etwas über 50% der EU-weit anfallenden Emissionen. Das ETS sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Nationale Allokationspläne (NAP) für jede mehrjährige Handelsperiode erstellen, in denen das Emissionslimit festgelegt und die Art der Verteilung der Gratiszertifikate genauer aufgeschlüsselt werden. Die Europäische Kommission prüft die Pläne und fordert gegebenenfalls Verbesserungen ein.

Die EU hat  sich bis heute zum größten Teil für das Grandfathering als Verteilungsmethode entschieden. Das heißt, entsprechend der in der Vergangenheit erfolgten Emissionen werden auch für die Zukunft in vergleichbarer Größenordnung Emissionsrechte zugestanden. In Phase I (2005-2007) werden nur max. 5% der EUA versteigert, in Phase II (2008-2012) max. 10%. Der Rest wird gratis verteilt, wobei die jeweiligen Mitgliedstaaten über die Modalitäten weitgehend frei entscheiden konnten. Die Gratiszuteilung ist mit erheblichem Aufwand verbunden und gilt weithin als anfällig für den Einfluss von Interessengruppen. Außerdem sind die Modalitäten bislang nicht EU-weit harmonisiert, was zu teils deutlich voneinander abweichenden nationalen Bedingungen führen kann. In der ab 2013 beginnenden Phase III ist eine vermehrte Auktionierung der EUAs vorgesehen, allerdings langsam zunehmend und erst ab 2025 zu 100%, zumindest nach dem jetzigen Stand der Debatte.

Ungeachtet der weitgehend kostenlosen Zuteilung ist ökonomisch gesprochen mit den Emissionszertifikaten ein neues knappes Gut eingeführt worden. Dieses Gut kann als Produktionsmittel bei der Herstellung von Elektrizität eingesetzt oder am Markt verkauft werden. Sein Marktwert muss sich dabei im Endpreis des Stroms wiederspiegeln, es muss also eine Einpreisung der Opportunitätskosten stattfinden. Dabei spielt es keine Rolle, ab die Zertifikate gratis zugeteilt wurden oder nicht – entscheidend ist, dass sie einen an der Börse erzielbaren Marktwert haben. Die Einpreisung ist eines der zentralen Elemente des Emissionshandels und kein Versehen, die darin repräsentierten externen Kosten sollen ja gerade Bestandteil des Strompreises werden. In der Folge kam es innerhalb der EU zu massiven „Windfall Profits“ bei den Stromversorgern in Höhe von ca. €4 bis €8 Milliarden jährlich.

Gleich in der ersten Phase des ETS von 2005 bis 2007 zeigte sich eine große Schwäche der Handelssysteme: Die Staaten wiesen ihren Unternehmen weit mehr Emissionszertifikate zu, als diese überhaupt brauchten. In der Folge brach der Preis für EUAs 2006 auf wenige Cent ein. Laut Europäischer Kommission wurden alleine 2005 etwa 176 Mio. Zertifikate zu viel ausgegeben, der Preiseinbruch kann bei dieser Überallokation nicht überraschen.

Für die zweite Phase von 2008 – 2012 beantragten abermals einige Staaten sehr viele Emissionen. Deutschlands Vorschlag beispielsweise sah vor, Zertifikate für 498 Mio. t CO2 auszugeben. Das wären nicht weniger, sondern über 20 Mio. Tonnen mehr gewesen, als noch in den Jahren 2000-2002 ausgestoßen wurden. Erst die entschiedene Intervention der Kommission sorgte dafür, dass Deutschland nur ein Emissionsbudget über 453 Mio. Tonnen CO2 zugestanden wird. Über einen Zeitraum von 10 Jahren sinken die Emissionen daher auf Grundlage des ETS nur um 20 Mio. Tonnen. Schritte der Emissionshandel der EU in diesem Tempo voran, wären die nötigen 90% CO2-Reduktion erst in hunderten von Jahren erreicht anstatt schon Mitte des Jahrhunderts. In Phase II hat sich nun aber zumindest ein anscheinend stabiler Preis für EUAs entwickelt, der etwa bei 10-20 Euro pro Tonne liegt.

Am 6. April 2009 hat die EU die Modalitäten für die Phase III beschlossen, die von 2013 bis 2020 dauern wird. Die NAP werden wegfallen und einer EU-weiten Obergrenze für Emissionen weichen. Damit sind die Versuche der Mitgliedstaaten vereitelt, ihren eigenen Industrien so viele Emissionsrechte wie möglich zuzuschanzen. Die Obergrenze wird bei zunächst 1,97 Mrd. Tonnen CO2 liegen und dann jährlich um 1,74% gesenkt. Das System wird um weitere Treibhausgase erweitert, und es umfasst dann fast alle Industriebetriebe in Europa. 2013 werden 20% der Zertifikate versteigert, 2020 sind 70% anvisiert, und 2025 sollen sämtliche Emissionsrechte per Versteigerung erworben werden. Die abnehmende Menge der Gratiszertifikate wird nicht länger nach dem Grandfathering-Ansatz verteilt werden, sondern richtet sich nach dem bereits in der IPPC-Richtlinie erfolgreich angewendeten Grundsatz der best available technology. Schließlich werden die mit dem Handel generierten Einnahmen zum großen Teil (88%) an die Mitgliedstaaten ausgeschüttet und zu einem kleineren Teil in Klimaschutzfonds eingezahlt. Diese Veränderungen stützen zumindest teilweise die Hypothese, nach die die Schwächen des Systems vor allem „Kinderkrankheiten“ waren. Aus Klimaschutzsicht der größte Kritikpunkt ist wahrscheinlich die immer noch unzureichende Reduktion der CO2-Emissionen. Um halbwegs eine Chance zu haben, die Erwärmung unter 2°C zu behalten, müssten die globalen Emissionen ihren Höhepunkt 2015 erreichen und fortan um 4% pro Jahr sinken. Selbst das ambitioniert scheinende Ziel der Europäischen Kommission liegt hier noch weit darunter

Marxistische Kritiker wenden gegen das Prinzip des Emissionshandels ein, dass dadurch eine Kommodifizierung, also die Inwertsetzung eines öffentlichen Gutes stattfindet. Mit den Unternehmen, deren Produktionsprozesse zu CO2-Emissionen führen, erhalten die Verschmutzer das verbriefte Recht, die Atmosphäre als Kohlenstoffsenke zu nutzen. Eine Praxis, die zuvor nur geduldet war, ist damit legalisiert und ein öffentliches Gut privatisiert worden.

Sich nur an den Grenzkosten zu orientieren und ein Emissionshandelssystem dann für „effizient“ zu halten, wenn es ausschließlich an den vermeintlich günstigsten Orten zur Einsparung von CO2-Emissionen führt, offenbart gleich mehrere große Schwächen. Investitionen würden unter der Ägide der „Kosteneffizienz“ hauptsächlich in Entwicklungsländern stattfinden, wo zu den geringsten Kosten Treibhausgase eingespart werden können. Die Emissionen in den Industrieländern bleiben dem gegenüber unberührt. Forschung und Entwicklung in den Industrieländern unterbleiben dann. Ein Innovationsschub, wie ihn das mittlerweile in über 50 Länder diffundierte Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgelöst hat, würde unterbleiben, ebenso wie der durch das EEG initiierte Strukturwandel auf dem Energiesektor. Wenn zur Marktfixierung noch eine Treibhausgas-Fixierung hinzukommt, ist die Klimapolitik hochgradig eindimensional aufgestellt. Das kann einem multidimensionalen Problem wie dem Klimawandel nicht gerecht werden.

Mit einer Versteifung auf marktzentrierte Mechanismen wird schließlich ganz unnötig ein großes Risiko eingegangen. Scheitert nämlich der Emissionshandel, scheitert mit ihm gleichzeitig die globale Klimapolitik, es sei denn alternative Ansätze werden gleichzeitig konsequent weiter verfolgt. Geschickte Governance setzt deshalb auf einen koordinierten Mehrebenen-Ansatz, bei dem auf verschiedenen vertikalen Ebenen (subnational, national, international) jeweils mehrdimensionale horizontale Instrumente angewendet werden. Das ist erstens der Dringlichkeit drastischer Emissionsreduktionen angemessen, und dieser Ansatz verhindert zweitens das Risiko, alles auf die Karte eines Mechanismus‘ zu setzen, der, wie gezeigt, bisher kaum zum Klimaschutz beigetragen hat.

Literatur:

– Convery, Frank J (2009): Origins and Development of the EU ETS. In: Environmental Resource Econ, Vol. 43, S. 391-412.

– Ecologic (2005): Strompreiseffekte des Emissionshandels – Bewertung und Lösungsansätze aus ökonomischer Sicht. Kurzgutachten für Greenpeace.

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– Gaul, Claus-Martin (2006): Die ökonomischen Ursachen der Entstehung von Windfall Profits der Stromerzeuger durch die Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Aktueller Begriff, 27/06.

– Helmedag, Fritz (1999): Zur Vermarktung des Rechts: Anmerkungen zum Coase-Theorem. In: Wolf; Reiner; Eicker-Wolf (Hrsg.): Auf der Suche nach dem Kompaß: Politische Ökonomie als Bahnsteigkarte fürs 21. Jahrhundert. Köln: PapyRossa, S. 53-71.

– Lai, Yu-Bong (2008): Auctions or grandfathering: the political economy of tradable emission permits. In: Public Choice, Vol. 136, S. 181-200.

– Lucht, Michael; Spangardt, Gorden (Hrsg.) (2005): Emissionshandel: Ökonomische Prinzipien, rechtliche Regelungen und technische Lösungen für den Klimaschutz. Berlin: Springer.

– Ott, Hermann E.; Sachs, Wolfgang (2000): Ethical Aspects of Emissions Trading. Wuppertal Working Papers, Nr. 110.

– Rico, Renee (1995): The US Allowance Trading System for Sulfur Dioxide: An Update on Market Experience. In: Environmental and Resource Economics, Vol. 5, S. 115-129.

– Skjærseth, Jon Birger; Wettestad, Jørgen (2008): Implementing EU emissions trading: success or failure? In: International Environmental Agreements, Vol. 8, S. 275-290.

* Dieser Beitrag von Nils Simon ist ursprünglich erschienen im Blog Die Klimakrise unter dem Titel: Die Dominanz marktzentrierter Instrumente, Teil 2 Der Beitrag ist mit Erlaubnis des Verfassers hier leicht redaktionell verändert übernommen.

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