Die Dominanz marktzentrierter Instrumente in der weltweiten Klimagovernance (Teil 1)

by Gastbeitrag on 9. Dezember 2009

Gastbeitrag von Nils Simon*

In diesem und weiteren Beiträgen fange ich an, ein Vortragsthema aufzuarbeiten. Das ist work in progress, also sind kritische Kommentare genauso wie begeistertes Lob gerne gesehen. Es geht los mit der Einführung: Wie kam es zur Dominanz marktbasierter Instrumente, am besten sichtbar an deren Verdrängung aller anderen denkbaren anderen Mechanismen im Kyoto-Protokoll? In Teil 1 werde ich den Emissionshandel und in Teil 2 den Clean Development Mechanism beschreiben und kritisieren.

Einführung

Die Dominanz marktzentrierter Instrumente in der Klimapolitik entwickelte sich zeitgleich mit einem weltweiten politischen Paradigmenwechsel, in dessen Folge staatliche Steuerung ab- und unternehmerisches Handeln aufgewertet wurde.

In den 1970er Jahren war Umweltschutz eine Sache des Staates. Mit ordnungsrechtlichen Instrumenten wie Grenzwerten und Genehmigungsverfahren versuchte der Staat, den Ausstoß umweltschädlicher Stoffe einzudämmen. Mit diesem etatistischen Ansatz gelangen zunächst beachtliche Erfolge, besonders in der Luftreinhaltung. Der US-amerikanische Clean Air Act zeigte exemplarisch, wie mächtig Ordnungspolitik im Umweltschutz sein konnte: Darin wurden Grenzwerte für Kfz-Abgase so niedrig angesetzt, dass sie mit bestehenden Technologien nicht wirtschaftlich erreichbar waren. Dieses technology forcing zwang die Autohersteller dazu, in Form des Katalysators eine Innovation zu kreieren, mit deren Hilfe die scharfen Grenzwerte eingehalten werden konnten. Nicht ganz so spektakulär, aber dennoch als Erfolgsmodell galt das deutsche Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG).

Dem deutschen Umweltrecht attestierten Wissenschaftlerinnen wie Renate Mayntz allerdings noch in den 1970ern ein erhebliches Vollzugsdefizit. Das heißt, während die gesetzlich festgelegten Standards hoch waren, wurde ihre Einhaltung nur ungenügend durchgesetzt. Daraus ergab sich ein erstes Legitimationsproblem für die Verfechter der Umweltschutzgesetze. Noch stärker unter Druck geriet der ordnungsrechtliche Ansatz im Zuge der beiden Ölkrisen 1973 und 1979/80. Staatlich gesteuerter Umweltschutz geriet damals endgültig in den Verruf, teuer und wachstumsschädigend zu sein und Arbeitsplätze zu kosten.

Gleichzeitig wurde der Staat als Steuerungsinstanz allgemein mehr und mehr in Frage gestellt. Zeitlich geht dies einher mit der Amtszeit von Ronald Reagan in den USA von 1980 bis 1988 und von Margaret Thatcher in Großbritannien von 1979 bis 1990. Die beiden Staatsoberhäupter setzten stark auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, wobei der von ihnen jeweils gesetzte Akzent so stark war, dass mit den „Reaganomics“ und dem „Thatcherismus“ zwei eigene Begriffe dafür kreiert wurden. Reagan und Thatcher propagierten in den 1980er Jahren einen „schlanken Staat“, privatisierten zahlreiche öffentliche Unternehmen, deregulierten so unterschiedliche Politikbereiche wie den Arbeitsmarkt und den Energiesektor, fuhren Sozialausgaben zurück und setzten auf Steuersenkungen als Antreiber wirtschaftlicher Dynamik.

Die klassische Ordnungspolitik geriet in diesem Zuge mehr und mehr ins Hintertreffen und wich einem ökonomistischen Ansatz. Dessen Grundlage war die Überzeugung, dass der Markt effizienter und effektiver zu handeln und knappe Ressourcen besser zu verteilen vermochte als staatliche Planung oder Regulierungen. Der damit verbundene Paradigmenwechsel führte zu weit reichenden Veränderungen in der Wahrnehmung darüber, was eine Aufgabe öffentlicher Kontrolle und staatlicher Steuerung ist und was nicht.

Aus konstruktivistischer Sicht war ein Element für diesen Paradigmenwechsel mit entscheidend: Die Fähigkeit, alternative und mit dem neuen Weltbild übereinstimmende Konzepte politischer Steuerung anzubieten. Realität wird nicht erst mit dem Verabschieden eines neuen Gesetzes geschaffen, sondern entwickelt sich bereits in der Diskursführung. Dabei sind Fragen nach der Art eines Problems, nach seinen Ursachen und möglichen Folgen sowie denkbaren Lösungen entscheidende Wegmarken. In ihnen lässt sich die Konstruktion von Realität nachvollziehen.

In dieser Weise waren die neoliberalen Think Tanks in den USA außerordentlich erfolgreich, etwa das Cato-Institute oder das Fraser-Institute. Seit den 1970er Jahren suchten sie massiv nach Konzepten, wie dem staatlich verordneten Umweltschutz eine marktliberale Alternative entgegen gestellt werden konnte. Das geschah teilweise aus dem vielen Neoliberalen zum Vorwurf gemachten Wunsch heraus, insgesamt weniger und schwächere Umweltpolitik zuzulassen, teilweise aber auch aus der ehrlichen Überzeugung heraus, mit einem näher am Markt orientierten Politikansatz den Umweltschutz effizienter zu machen.

Durch eine Erweiterung des Clean Air Act 1990 hielten Marktprinzipien erstmals breiten Einzug in die Umweltgesetzgebung, indem die ersten echten Emissionshandelssysteme für Schwefel- und Stickoxide eingeführt wurden (einige Proto-Emissionshandelssysteme gab es schon seit den 1970ern). Diese Systeme waren so erfolgreich, und der Druck der Befürworter von marktorientierten Umweltschutzmaßnahmen war schließlich so groß, dass sie den ab 1992 regierenden US-Präsidenten Bill Clinton und seinen Vize Al Gore dazu brachten, das Konzept zu übernehmen und fortan als Maßstab einer Klimaschutzgesetzgebung anzusehen.

Diese Überzeugung der US-Administration wurde nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene handlungsleitend. Als 1995 die Verhandlungen für ein im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention zu entwickelndes Klimaschutzprotokoll aufgenommen wurden, forderten große Emittenten wie die USA und Australien von Beginn an den Einbau marktzentrierter flexibler Instrumente, mit denen Emissionsreduktionen erreicht werden sollten. Über den Streitpunkt Emissionshandel wären die Verhandlungen im Dezember 1997 in Kyoto sogar beinahe in letzter Minute abgebrochen worden, weil China, Indien und andere Entwicklungs- und Schwellenländer den Wünschen der USA stark entgegentraten sowie zusätzlich Differenzen zwischen den USA und Japan offen zutage traten. Buchstäblich in letzter Minute konnte der Konflikt dann beigelegt und eine gemeinsame Position zum Emissionshandel erreicht werden.

Den Weg in das Kyoto-Protokoll fanden letztlich drei sogenannte „flexible Instrumente“: Der Emissionshandel, der Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI). Zwar sollen diese Instrumente laut Text des Protokolls „zusätzlich“ zu nationalen Anstrengungen genutzt werden. Es wurden aber Passagen aus dem Entwurf des Kyoto-Protokolls herausgestrichen, nach denen die „flexiblen Instrumente“ nur maximal zur Hälfte der Emissionsreduktion beitragen sollten. De facto befinden sich deshalb im einzig völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zum globalen Klimaschutz nur drei Instrumente namentlich genannt, die allesamt einem ökonomischen Ansatz folgen.

Fortsetzung folgt

Literatur:

– Altvater, Elmar; Brunnengräber, Achim (2008): Ablasshandel gegen Klimawandel? Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen. Hamburg: VSA.

– Barrett, Scott (1998): Political Economy of the Kyoto Protocol. In: Oxford Review of Economic Policy. Vol. 14, No. 4, S. 20-39.

– Brunnengräber, Achim (2006): The Political Economy of the Kyoto Protocol. in: Panitch and Leys 2006: Socialist Register 2007: Coming to Terms with Nature. The Merlin Press, London. S. 213-230.

– Byrne, John; Yun, Sun-Jin (1999): Efficient Global Warming: Contradictions in Liberal Democratic Responses to Global Environmental Problems. In: Bulletin of Science, Technology & Society, Vol. 19, No. 6, S. 193-500.

– Chafe, Zoë; French, Hilary (2008): Improving Carbon Markets. In: Worldwatch (Hrsg.): State of the World 2008: Innovations for a Sustainable Economy. S. 91-106.

– Drew, Lawrence J (1998): The 1997 Climate Conference in Kyoto, Japan. In: Nonrenewable Resources, Vol. 7, No. 3, S. 159-162.

– Linnér, Björn-Ola; Jacob, Merle (2005): From Stockholm to Kyoto and beyond: A review of the globalization of global warming policy and North-South relations. In: Globalizations, 2:3, S. 403-415.

– Mayntz, Renate (Hrsg.) (1978): Vollzugsprobleme der Umweltpolitik: Empirische Untersuchung der Implementation von Gesetzen im Bereich der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes. Kohlhammer: Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz.

– Oberthür, Sebastian, and Hermann E. Ott (1999): The Kyoto Protocol. International Climate Policy for the 21st Century. Springer, Heidelberg.

– Ott, Hermann E.; Heinrich-Böll-Stiftung (2008): Wege aus der Klimafalle. München: oekom.

– Schmitz, Simon; Michaelowa, Axel (2005): Kyoto Institutions: Baselines and Bargaining Under Joint Implementation. In: Environmental Politics, Vol. 14, No. 1, S. 83-102.

* Dieser Beitrag von Nils Simon ist ursprünglich erschienen im Blog Die Klimakrise unter dem Titel: Die Dominanz marktzentrierter Instrumente, Teil 1: Einführung. Der Beitrag ist mit Erlaubnis des Verfassers hier leicht redaktionell verändert übernommen.

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