Gedanken zur Wirtschaftsblogszene in Deutschland

by Dirk Elsner on 21. Februar 2010

Die Peer2Peer-Kreditbörse Smava ist gerade dabei den Finance Blog of the Year zu küren. Natürlich ist dies vor allem eine PR-Aktion für Smava. Gleichwohl ist die ein willkommener Anlass, sich ein paar Gedanken zum Stand der Wirtschaftsblogszene in Deutschland zu machen.

Gute Qualität, mangelnde Wahrnehmung?

Über die Qualität der deutschen Wirtschaftsblogszene hat es bisher nur wenige Reflektionen gegeben. Die einzige Debatte, die ich kenne, haben ausgerechnet zwei US-Blogger, nämlich Felix Salmon und Edward Harrison gestartet. Meinen Beitrag dazu habe ich “Bloggerstreit mit Süddeutscher und Spiegel Online” gegeben.

Von meiner damals geäußerten Auffassung brauche ich nicht abrücken: Die deutschsprachigen Wirtschaftsblogs haben weniger ein Qualitätsproblem als ein Wahrnehmungsproblem. Sie werden von den etablierten Medien weitestgehend ignoriert. Das ist bedauerlich und auch erstaunlich, weil sicher ein Teil des “Linkgewichts” der Webseiten von Handelsblatt, FTD, FAZ und vielen weiteren Sites durch Wirtschaftsblogs recht umfangreich gespeist wird.

Aber bevor mit jetzt jemand ein Taschentuch reichen möchte, so wild ist das nicht. Wirtschaftsblogs tun nämlich gut daran, die eigene Bedeutung nicht an der Resonanz in etablierten Medien zu messen. Immerhin lesen doch viele Vertreter der Medienzunft in Wirtschaftsblogs (siehe dazu diese Untersuchung), um Anregungen für Themen zu erhalten und Hintergründe zu recherchieren. Warum sie dennoch Blogs nicht ab und zu einmal zitieren, weiß nur der Abendwind.

Es könnte gar an dem typisch deutschen “Renommier-Komplex” liegen, der fast täglich bei der Zeitungslektüre auffällt. Man zitiert gern “renommierte Quellen”, “anerkannte Fachleute”, “ausgewiesene Experten” oder “prominente Kenner”. Wenn man nicht durch Zufall, die Bild, die FAZ (dazu Knüwers lesenswerter Beitrag: Wie Frank Schirrmacher sich seine Experten aufbläst) oder ein anderes Leitmedium dazu “gemacht” wird, dann hat man es schwer, diesen Status zu erreichen. Sich auf einen Wirtschaftsblog zu berufen, ist in Deutschland (noch?) nicht angesagt. Von der in den USA zu beobachtende sich gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsblogs und Medien ist hier leider weit und breit nichts zu sehen (Ausnahme Weissgarnix).

Ich bleibe dennoch bei meiner Auffassung, dass die inhaltliche Qualität vieler nationaler und internationaler Blogs mittlerweile ausgesprochen hoch ist. Möglicherweise liegt aber aber genau darin die Ursache des Wahrnehmungsproblems der Wirtschaftsblogs. Viele schreiben nicht in leicht konsumierbaren Häppchen, sondern holen manchen schwer verdaulichen Brocken an die Oberfläche und bohren an vielen Stellen deutlich tiefer als dies etablierte Medien tun, die meist auch Nichtfachleute adressieren müssen.

Mangelnde Verlinkung und Vertweetung

Der etablierte Wirtschaftsblogger egghat wies in einem Kommentar zum Start des Bloggerforums Wirtschaft auf das Problem der mangelnde Verlinkung der Wirtschaftsblogs hin. Der anonym schreibende Egghat liegt hier richtig und spricht damit ein Thema an, an dem die Wirtschaftsblogs selbst schuld sind. Sie nehmen sich nämlich gegenseitig kaum wahr und führen, anders als etwa die Top 100 Blogger, viel seltener Diskussionen mit- oder gegeneinander (siehe auch “Erfahrungen eines neuen Wirtschaftsblogs”). Viele verlinken eher auf die etablierte Wirtschaftspresse, auf US-Blogs oder am liebsten gar nicht, als auf themenähnliche Blogs im deutschsprachigen Raum.

Die mangelnde Verlinkung der Wirtschaftsblogs gilt übrigens auch für deren Blogrolls. Es sind doch diverse Sites in der Mindmap deutscher Wirtschaftsblogs zu finden, die gar keine Blogs auf ihren Empfehlungslisten haben.

Und was macht jetzt einen guten Wirtschaftblog aus?

Eigentlich wollte ich dieser Frage ausweichen, fand aber den Beitrag ohne einen Streifzug zur Qualität unvollständig. Objektiv lässt sich die Frage kaum beantworten, daher kann ich hier nur meine persönlichen Geschmacksnerven sprechen lassen.

Wirtschaftsblogs befassen sich inhaltlich etwa mit Themen aus der Ökonomie, dem betrieblichen Alltag, der Managementpraxis oder verschiedensten Märkten. Die Vielfalt der Themengebiete, wie sie etwa in der Mindmap Deutsche Wirtschaftsblogs zum Ausdruck kommt, ist erstaunlich hoch. Die Inhalte selbst lassen sich kaum noch ordnen.

Ich mag Blogbeiträge, wenn sie kein Copy und Paste anderer Medien sind und entweder neue Themen hervorholen, bekannte Sachverhalte neu belichten oder eine kritische Position zum Mainstream einnehmen. Häufig freue ich mich schon, wenn bestehende News mit zusätzlichen Hintergrundinformationen und Links auf Primärquellen versehen sind (übrigens eine große Schwäche der etablierten Medien) oder sie über Themen berichten, die bisher nicht den Weg in deutsche (Online-) Medien gefunden haben.

Natürlich wird mir jemand, dem bei meinen Lobeshymnen die Hutschnurr platzt, mich ebenfalls mit Beispielen qualitativ schlechter Beiträge zuschütten können. Aber ich bezweifele gar nicht, dass es auch jede Menge schlechte Beiträge und Blogs gibt. Wie bei Autos, Banken, klassischen Medienseiten oder Politikern, gibt es halt auch Wirtschaftsblogs unterschiedlichste Qualitäten. Und am ende entscheidet der Leser, was er lesen will.

Einen letzten wichtigen Gedanken zu Wirtschaftsblogs hebe ich für einen späteren Beitrag auf, in dem es um die (nicht vorhandene) Kultur in Deutschland geht, Wissen mit anderen zu teilen. Ich glaube nämlich, hier liegt noch ein Hemmschuh für Wirtschaftsblogs.

Peter Addor März 17, 2010 um 16:59 Uhr

Hallo Herr Schreyer

Hab‘ ich Sie endlich gefunden…. 🙂 Sie haben in meinem Blog „Komplexitätsmanagement in Projekten und Unternehmen“ (http://www.anchor.ch/wordpress) auf diese Diskussion hingewiesen und mich eingeladen, daran teilzunehmen.
Ich freue mich, wenn sich die Wirtschaftsblogs untereinander vernetzen und so durch einen Schwarmeffekt zu mehr Beachtung gelangen. Leider gibt es verschiedene Listen von Wirtschaftsblogg. Z.B. ist die Liste, die blicklog am rechten Rand aufführt nicht identisch mit dem Mindmap deutscher Wirtschaftsblogs. Schade, dass sich beide nicht synchronisieren.
Wie gross die Verlinkungsaffinität ist hängt auch von der jeweiligen Motivation ab, einen Blog zu führen. Meine Hauptmotivation liegt grösstenteils in der Aufbereitng und Archivierung meiner Gedanken und persönlicher Forschungsergebnissen. Ich profitiere davon, wenn ich eine Vorlesung oder ein Coaching vorbereite oder wenn ich an einem Artikel oder Buch arbeite.
Darf ich einen praktischen Vorschlag machen? Jeder Wirtschaftsblogger nimmt sich z.B. pro Jahr drei andere Wirtschaftsblogg vor. Die Auswahl müsste zentral ein bisschen koordiniert werden, z.B. von blicklog aus. Ich würde dann in diesem Jahr z.B. je zwei Replikartikel zu einem Artikel aus den drei Blogs, die mir zugeteilt wurden, schreiben. Konkret:
Ich lese z.B. wöchentlich die drei Blogs und wenn ich auf einen Artikel stosse, zu dem ich mich äussern möchte, schreibe ich in meinem Blog einen Artikel zum Thema und verweise dabei deutlich und namentlich auf den Blog mit dem Ursprungsartikel. Auf diese Weise würden sich pro Jahr sechs Artikel in meinem Blog durch andere Blogs motiviert haben.
Was meinen Sie?

Eric Schreyer März 19, 2010 um 11:10 Uhr

Hallo Peter,

Deine Idee ist gut. Es freut mich sehr, dass Du Dich daran beteiligst, deutschsprachige Blogs besser sichtbar zu machen.

Dirks MindMap umfasst weit mehr als 100 Wirtschaftsblogs. Auf mittlere Sicht muss diese Anzahl gewiss auf zehn bis zwanzig Blogger verteilt werden, die Repliken verfassen. Eine höhere Belastung würde sicher zu erheblichen Qualitätseinbußen führen. Ein Leser wird sich jedoch kaum die Mühe machen, weitere zehn bis zwanzig Blogs in seinen Reader aufzunehmen, um keine Replik zu verpassen. Bei dieser Betrachtung gehe ich davon aus, dass ein an ökonomischen Zusammenhängen bzw. an Hintergrundwissen interessierter Leser sich nicht innerhalb der Grenzen bewegt, die eine Unterteilung der Gesamtheit deutschsprachiger Wirtschaftsblogs in Sparten zieht.

Diese Überlegungen haben mich zu dem Vorschlag veranlasst, die Repliken auf http://www.bloggerforum-wirtschaft.de zu veröffentlichen. Die Reichweite des Forums ist schon jetzt recht groß und wird dadruch weiter anwachsen. Ein Beispiel aus der Praxis mag meine Beweggründe verdeutlichen:

Am 2. März veröffentlichte ich im Bloggerforum den Beitrag „Reich werden gegen Griechenland“ ( http://www.bloggerforum-wirtschaft.de/index.php/reich-werden-gegen-griechenland/), der einige Tage zuvor auf meinem Blog
http://www.valuation-in-germany.blogspot.com ungewöhnlich oft aufgerufen worden ist. Diesen Beitrag kommentierte Axel Flasbarth sehr engagiert, so dass ich ihm in einem weiteren Kommentar antwortete. Im siebten Kommentar teilte Axel Flasbarth mit, dass er seine Antwort in seinem eigenen Blog unter dem Titel

Spekulation ist weder schädlich noch sollte sie verboten werden, auch nicht bei griechischen CDS

veröffentlicht hat. Gleichzeitig stellte er diesen Artikel in das Bloggerforum ein,

http://www.bloggerforum-wirtschaft.de/index.php/spekulation-ist-weder-schadlich-noch-sollte-sie-verboten-werden-auch-nicht-bei-griechischen-cds .

Wo sollte ich ihm jetzt antworten? Es ging ja immer noch um meinen Beitrag „Reich werden gegen Griechenland“. Um die Diskussion im Bloggerforum zu halten, antwortete ich ihm dort in einem Kommentar zu seinem Beitrag „Spekulation ist weder schädlich…“ und habe dies auch in seinem Blog mitgeteilt. Daneben haben Axel Flasbarth und ich uns gegenseitig per Mail mitgeteilt, wer wo geantwortet hat. Das Ganze wurde schon für uns Diskutanten unübersichtlich.

Einen Leser hätten wir gar nicht vernünftig auf diesen Diskurs hinweisen können.

Dieses „aus dem Leben gegriffene“ Beispiel mag verdeutlichen wie wichtig es ist, einen einzigen Ort zu haben, an dem sich Blogger austauschen und vernetzen. Die Aufmerksamkeit der Leser muss sich fokussieren, sie soll nicht zerstreut werden.

Selbstverständlich bleibt es jedem, der eine Replik im Bloggerforum veröffentlicht, unbenommen, diese auch in seinem eigenen Blog zu publizieren, sofern es in das Konzept seines Blogs passt; bei meinem Blog wäre dies beispielsweise nicht der Fall.

@Dirk: Deine Anregung, ein Forum für derartige Diskussionen zu schaffen ist richtig. Wie wäre es mit mixxt?

Ich fahre jetzt zur Leipziger Buchmesse und wünsche Euch ein erholsames Wochenende.

Schöne Grüße
Eric

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