Was ist Banking und welche Probleme soll es theoretisch lösen?

by Dirk Elsner on 16. März 2010

Heute ist mal ein wenig Grundlagenarbeit fern von der Tagesaktualität angesagt. Der Kommunikations 2.0-Experte Florian Semle von Freelations und ich bereiten nämlich gerade einen gemeinsamen Beitrag vor, in dem wir vorstellen wollen, wie sich die Finanzbranche in das Web 2.0 bewegen könnte. Dafür habe ich anhand einschlägiger Literatur noch einmal einige Grundprinzipien von Finanzmärkten zusammengetragen. Bevor man sich mit dem vielzitierten und gehypten 2.0-Ansatz intensiver befasst, ist es hilfreich, sich zunächst kurz ins Gedächtnis zu rufen, was auf Finanzmärkten eigentlich grundsätzlich passiert.

Das Geschäftsmodell nahezu aller Finanzinstitutionen beruht im Grund auf dem ganz einfachen Geschäftsmodell der Finanzintermediation. Finanzinstitutionen schaffen einen Interessenausgleich zwischen den Subjekten, die Finanzierungsmittel anlegen wollen (Überschusseinheiten), und den Marktteilnehmern, die Mittel aufnehmen wollen oder müssen (Defiziteinheiten). Daneben sorgen sie für den Transfer von Zahlungsmitteln. Die Gesamtheit derartiger Transaktionen einschließlich der sich dabei herausbildenden Usancen und der sie beeinflussenden institutionellen Rahmenbedingungen wird nach Michael Bitz als Finanzmarkt bezeichnet. Bitz schreibt dazu weiter:

“In seiner einfachst denkbaren, gewissermaßen „archaischen“ Urform kann dieser Finanzmarkt allein als Geflecht einer Vielzahl von Verträgen gedacht werden, die zwischen den potentiellen Geldnehmern der ersten Gruppe und den potentiellen Geldgebern der zweiten Gruppe jeweils unmittelbar und ganz individuell, ohne allgemein vorgegebene Rahmenregelungen und ohne jegliche Einwirkung Dritter vereinbart werden.”

In dieser Urform des Finanzmarkte existieren Banken höchsten als Institutionen zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, jedoch nicht als Institutionen mit den heute bekannten Dienstleistungen.

Welche Probleme Finanzmärkte lösen sollen

Dieser Teil mag für Nicht-Banker ein wenig abstrakt wirken, jedoch lassen sich die meisten Aktivitäten auf den Finanzmärkten diesen Problemkategorien zuordnen. Die heutigen Formen institutioneller Arrangements (vulgo Bankdienstleistungen) sind nämlich nach Auffassung der Institutionenökonomen entstanden, weil der bilaterale Abschluss von Verträgen Schwierigkeiten machen kann.

Prinzipiell ist es denkbar, alle Transaktionen, die heute durch Finanzdienstleistungen angeboten werden, zwischen zwei Vertragspartnern direkt durchzuführen. So könnten etwa Aktien direkt zwischen Käufer und Verkäufer ohne Einschaltung von Banken, Börsen und Abwicklungshäusern gehandelt werden. Der mit einer solchen Transaktion zusammenhängende Aufwand ist allerdings so hoch, dass sich der Handel für die meisten Marktteilnehmer nicht lohnen würde (Suche nach geeigneten Handelspartnern, Aushandeln von Verträgen, physische Übergabe der Aktien, physische Übergabe des Geldes, Aufbewahrung im Tresor, Schneiden von Kupons, deren Einlösung bei Aktiengesellschaft etc). Durch die institutionellen Arrangements der Finanzmärkte werden solche Transaktionen deutlich vereinfacht und somit Kosten gespart.

Die Probleme von Finanztransaktionen hat Michael Bitz in einem Arbeitspapier (siehe Literaturverzeichnis) zusammengefasst:

  1. Informationsprobleme: Die potentiellen Vertragsparteien müssen zunächst einmal Kenntnis von der Existenz geeigneter Marktpartner erlangen. Da Finanzkontrakte konstitutiv dadurch gekennzeichnet sind, dass Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen, müssen sich die potentiellen Geldgeber zudem ein Bild von der Verlässlichkeit ihres Vertragspartners bzw. des von ihm als Gegenleistung abgegebenen Rückzahlungsversprechens machen.
  2. Losgrößen- oder Betragsprobleme: Anlage- und Finanzbedarf von zwei miteinander in Verbindung tretenden Marktpartnern müssen dem Betrage nach nicht übereinstimmen. Ein Kontrakt kommt in einer solchen Situation nur zustande, wenn zumindest ein Partner bereit ist, sich der anderen Seite anzupassen, indem er entweder seine Zahlungspläne ändert oder weitere Marktpartner zur Abdeckung des noch offenen Anlage- oder Finanzbedarfs sucht.
  3. Fristenprobleme: Selbst bei betragsmäßiger Übereinstimmung von Anlage- und Finanzbedarf ist es möglich, dass die Vorstellungen der beiden Parteien über die Dauer des beabsichtigten Finanzkontraktes divergieren. Wiederum kommt ein Vertrag nur zustande, wenn zumindest eine Seite bereit ist, von ihren ursprünglichen Fristenvorstellungen abzuweichen oder davon ausgehen kann, in späteren Zeitpunkten weitere Marktpartner zur Realisierung der eigenen Fristenvorstellungen zu finden.
  4. Risikoprobleme: Ob der Geldgeber die bei Vertragsabschluss fest vereinbarten oder in sonstiger Weise in Aussicht gestellten Rückzahlungen später auch wirklich erhält, hängt von der Ausgangssituation des Geldnehmers im Zeitpunkt der Mittelvergabe, der Umweltentwicklung sowie von der Geschäftspolitik des Geldnehmers während der Vertragsdauer ab, ist bei Abschluss des Finanzkontraktes also noch ungewiss. Ein Vertrag kommt somit nur zustande, wenn der Geldgeber bereit ist, solche Risiken mindestens in dem Maße zu tragen, wie sie ihn entsprechend seinem persönlichen Informationsstand über die drei genannten Risikoeinflussfaktoren treffen können.

Aus diesen Problemen lassen sich dann die Funktionen von Finanzsystemen ableiten:

  1. Zahlungssystem- und Transferfunktion (clearing and settlement payments): Ein Finanzsystem erleichtert durch die Verrechnung (clearing) und Abrechnung (settlement) von Forderungen bzw. Verbindlichkeiten den Handel von Gütern, Dienstleistungen und Vermögensgegenständen. Die Übertragung von Kapital über zeitliche und räumliche Distanzen ist eine grundlegende Aufgabe eines Finanzsystems (transferring resources across time and space).
  2. Losgrößentransformation (pooling resources and subdividing shares): Aggregation des auf viele Individuen verteilten Kapitalangebots für die Finanzierung von Unternehmen.
  3. Risikoallokation und –managment (managing risk): Diese Funktion umfasst die Risikoallokation durch Fristen- und Risikotransformation sowie durch Hedging, Risikohandel, Diversifikation und Versicherung.
  4. Informationsfunktion (providing information): Die Marktpreise von Finanztiteln sowie deren Entwicklung im Zeitablauf produzieren Informationen über Preise und Risiken von Vermögenswerten. Terminkurse explizieren die Erwartungen der Marktteilnehmer.
  5. Linderung von Anreizproblemen (dealing with incentive problems): Geeignete Finanzkontrakte sowie Screening, Signalling- und Monitoring-Aktivitäten verringern Informationsasymmetrien und lindern somit Anreizprobleme.

Problemlösungen durch Banken oder Markt

Finanzinstitutionen, wie Banken, Börsen, Makler, Beteiligungsgesellschaften oder Hedge-Funds haben insbesondere deswegen ihre Berechtigung, weil sie für alle fünf Problemkategorien Unterstützung anbieten und den Marktteilnehmern helfen, die Transaktionskosten für Vertragsabschlüsse zu senken. Bitz schreibt dazu:

“Es liegt daher in der Logik eines marktwirtschaftlichen Systems, dass in der Welt eines zunächst archaischen Finanzmarktes weitere Wirtschaftssubjekte auftreten, die sich – selbstverständlich ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil verfolgend – bereit halten, die potentiellen Geldgeber und -nehmer bei der Bewältigung der genannten Probleme zu unterstützen. Die Liste der in der heute real existierenden Finanzwelt anzutreffenden „Helfer“ dieser Art reichen von Finanzmaklern über Rating-Agenturen bis hin zu Kreditversicherern.”

Grundsätzlich bedarf es aber nicht zwingend einer Finanzinstitution. So schreibt Andreas Trauten in einem Arbeitsbericht des Kompetenzzentrum Internetökonomie (siehe Literaturverzeichnis):

“Die grundlegenden Funktionen des Finanzsystems sind in allen Volkswirtschaften gleich und im Zeitablauf konstant, die Ausgestaltung und relative Bedeutung seiner Institutionen ist jedoch von Land zu Land verschieden und im Zeitablauf veränderlich. Insbesondere können bankbasierte und marktbasierte Finanzsysteme unterschieden werden. Erstere basieren stärker auf klassischen Kreditbanken („Commercial-Banks“), letztere stärker auf Kapitalmärkten in Verbindung mit Investmentbanken. Bankbasierte und marktbasierte Finanzsysteme stehen in Konkurrenz zueinander, da sowohl Kreditbanken als auch Märkte und Investmentbanken alle Aufgaben eines Finanzsystems übernehmen können.”

Dass die derzeitigen Institutionen an den Finanzmärkten nicht in Stein gemeißelt sind, zeigen derzeit die ersten zarten Pflänzchen im Banking 2.0. Gern genommenes Beispiel sind die Peer-to-Peer-Eigenkapitalbörsen, die netzgestützt direkt Kredite zwischen Anlegern und Kreditnehmern vermitteln (siehe dazu P2P-Kreditbörsen gut erklärt)

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Literatur

Bitz, Michael: Banken als Einrichtungen zur Risikotransformation, Diskussionsbeitrag Nr.389 Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Bank- und Finanzwirtschaft; FernUniversität in Hagen, 2006

Fest, Alexander: “Zwecke, Ansätze und Effizienz der Regulierung von Banken” 2008, in: Börsen, Banken und Kapitalmärkte: Festschrift für Hartmut Schmidt zum 65. Geburtstag, Wolfgang Bessler (Hrsg.) 2006.

Trauten, Andreas: Arbeitsbericht Nr. 8 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2004

Aufderheide, D.: Hybridformen in der Internetökonomie (Gegenstand und Methode eines rechtswissenschaftlichen und institutionenökonomischen Forschungsprogramms) Arbeitsbericht Nr. 9 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2004

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