Banken-Stress-Test in Europa: Drama oder geschickte Inszenierung? In jedem Fall kein NENLE

by Dirk Elsner on 19. Juli 2010

In Europa warten die Finanzmärkte mehr oder weniger gespannt auf die Veröffentlichung der Stresstestergebnisse, die für den kommenden Freitag vorgesehen sind. Die Ergebnisse sollen angeblich Transparenz in die Krisenfestigkeit von Banken bringen und die Finanzmärkte beruhigen. Um die Testinhalte selbst (Parameter, Berechnungsmodelle etc.) wird allerdings ein großes Geheimnis gemacht. Als Beobachter wird man den Eindruck nicht los, es handele sich um eine geschickte Inszenierung, bei der allein das Ergebnis zählt, jedoch nicht die Frage, wie dies ermittelt wurde.

Der Blick Log kann auf Basis der vorliegenden Informationen wenig zur Aufklärung dieser Tests beitragen und (siehe aber Presseschau unten). Ich habe mich allerdings gefragt, an welchem Benchmark ich die Qualität der Tests messen würde. Dazu erinnerte ich mich an die Vorlesungen in Bankbetriebslehre bei Prof. Hartmut Schmidt in Hamburg. Der hatte seinen Studenten auf die Frage “Wie macht man eine Bank sicher?” mit Stützels Maximalbelastungstheorie und dem NENLE-Konzept geantwortet. Ich habe zwar auf Wunsch meiner Frau meine alten Vorlesungsunterlagen vernichtet, glücklicherweise ist im Netz aber eine Präsentation des Institut für Geld- und Kapitalverkehr zu finden mit dem Titel Solvenzsicherung in Theorie und Praxis.

Nach Schmidt Konzept soll der “niedrigster erwarteter Nettoliquidationserlös” (= NENLE) aller Vermögenspositionen einer Bank den erwarteten Gesamtbetrag der Verbindlichkeiten der Bank übersteigen. In einer Festschrift für Hartmut Schmidt schrieben Jochen Bigus und Philipp Grein dazu:

“Die Verbindlichkeiten werden mit ihrem Rückzahlungsbetrag angesetzt, da die Einleger diesen bei Abzug der Einlagen erwarten. Die Haftungsmasse entspricht hierbei dem Liquidationswert der Aktiva, einschließlich derer, die nicht in der Handelsbilanz ausgewiesen sind. Da die Liquidationserlöse eines hypothetischen Zerschlagungsfalles schwierig zu bestimmen sind, sollten die Liquidationserlöse wie folgt abgeschätzt werden: Es sollten Vorsichtsabschreibungen für Ausfallrisiken auf alle einzelnen verbrieften und unverbrieften Geldforderungen und zudem globale Abschreibungen für Ausfallrisiken vorgenommen werden. Daneben verlangt Stützel, Zinsrisiken und sonstige Marktpreisrisiken zu berücksichtigen. Die erwarteten Zahlungen aus mit Zinsrisiken bedrohten Aktiva, also Forderungstitel und Kredite mit Festzinsvereinbarung, sollten pauschal … abgezinst und angesetzt werden.”

Das Konzept ist bis hin zu Aufsichtsregeln klar und operationalsierbar. Der entscheidende Frage, die eine Bank beantworten muss ist: Mit welchen Liquidationsdisagien muss sie ihre Vermögenstitel veräußern, um ihre Verbindlichkeiten abzudecken. Die Determinanten des Liquidationsdisagios werden danach wie folgt bestimmt:

  • max. erwartete Verschlechterung der Ertragskraft des aus dem Titel Verpflichteten (Bonitätsrisiko)
  • max. erwarteter Anstieg des Marktzinsniveaus (Zinsrisiko)
  • max. erwartete Erhöhung der Verwahr- und Verwaltungskosten
  • max. erwartete Transaktionskosten

Was Schmidt und Co freilich nicht schreiben ist, dass die maximalen Abschläge in Abhängigkeit von der Marktsituation unterschiedlich ausfallen. Es ist dabei nämlich entscheidend, ob nur ein einzelnes Institut kriselt oder am Finanzmarkt eine Systemkrise ausgebrochen ist. In Finanzkrisen sind nämlich die maximalen Abschläge deutlich höher als in “normalen” Zeiten. Sehr eindrucksvoll hat dies Rick Bookstaber in seinem Buch “Teufelskreis der Finanzmärkte” dargestellt (Leseprobe hier) dargestellt. Im Finanzkrisenfall halten sich nämlich meist die sogenannten „Liquiditätslieferanten“ (Großanleger, Hedgefonds, Pensionskassen) mit Engagements zurück, so dass die Abschläge sich weiter deutlich erhöhen.

Ohne dies im Detail weiter zu vertiefen, bedeutet dies, dass mit vorgegebenen Abschlägen, die in etwa die aktuelle Marktbewertung bei Griechenlandanleihen abbilden, nicht der NENLE ermittelt wird, sondern ein beliebig niedriger Abschlag, der jedenfalls nichts mit dem Stress zu tun hat, denen die Finanzmärkte nach der Pleite von Lehman ausgesetzt waren. Und damit wissen wir nicht, ob nach den Stresstestergebnissen wirklich die Banken sicher sind. Nimmt man die Maximalbelastungstheorie als Maßstab, dann bestehen an der Aussagefähigkeit der europäischen Stresstests erhebliche Zweifel.

Damit beantwortet sich dann auch die Frage der Überschrift: Aus dem Stresstest wird kein Drama werden, sondern es handelt sich um eine geschickte Inszenierung, die die Finanzmärkte selbst beruhigen soll. Den Blick Log würde es freilich nicht überraschen, wenn bei einem Wiederaufflackern der Finanzkrise sich viele Finanzhäuser als nicht so stabil erweisen, wie es die Stresstests uns vormachen werden.

PS

Übrigens, würde man nach dem NENLE-Konzept regulieren, könnte man sich Basel-III sparen. Das Konzept passt auf eine Seite und lässt sich deutlich besser kontrollieren. Und das Konzept beinhaltet einen Automatismus dafür, dass riskantere Anlagen mit mehr Eigenkapital unterlegt werden müssen. Aber das jetzt weiter zu vertiefen, wäre ein Thema für einen anderen Beitrag.

Presseschau zu den Stresstest

FTD: Sorge um Europas Geldhäuser – Bankmanager fürchten Stresstest-Chaos (19.7.10): Wie stark sind Europas Institute? Die Resultate eines Stresstests sollen es zeigen. Die Bedingungen in den einzelnen Ländern sind jedoch unterschiedlich. Unter den Beteiligten wächst daher die Sorge vor Verzerrungen und „dummen Vergleichen“.

HB: Engagement in Griechenland: HRE scheitert wohl bei Banken-Stresstest (19.7.10): Der verstaatlichte Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) hat Finanzkreisen zufolge den Stresstest für 91 europäische Banken offenbar nicht bestanden. Das Ergebnis des Stresstests hat für die Bank in der Praxis kaum Relevanz, wohl aber für den deutschen Steuerzahler.

Wiwo: Der unbekannte Nutzen der Stresstests: Der Stresstest für die europäischen Banken soll endlich Klarheit über deren Stabilität bringen. Ob das funktioniert, ist zweifelhaft. Denn ein realistisches Krisenszenario birgt ungewollte Risiken.

FTD: Sorge um Geldhäuser Ungewissheit um Banken stresst Investoren: Der Markt fiebert Details zu den Stresstests für die Institute entgegen, die Nervosität nimmt zu. Ähnlich fiebrig sind die Banken – eine Reihe stürmt den Anleihemarkt, um sich vor der Veröffentlichung der Resultate noch mit Geld einzudecken

HB: Stresstest: Zehn Prozent der Banken reißen die Latte: Die Stresstests für die europäischen Banken sind nicht so harmlos, wie bisher angenommen. Aufseher, Notenbankvertreter und Bankvorstände warnten jetzt eindringlich davor, die Belastungsprobe zu unterschätzen. Auch deutsche Institute – vor allem die Landesbanken – seien Wackelkandidaten.

FTD: Stresstest-Inflation. Die Citigroup hat die Gewinne der globalen Aktiengesellschaften einem Stresstest unterzogen. Wir sind baff und fühlen uns an die legendäre Vorhersage der Marktstrategen der seligen Lehman Brothers im Jahresausblick 2008 erinnert.

FT: Lenders braced for stress test results : The analysts and Mr Trichet were responding to the publication late on Wednesday of more information about the parameters of the stress test

ft: EU regulators name 91 ‘stress test’ banks

ft: Stress tests must be less mysterious …thinking has informed the approach taken to stress-testing banks. The purpose of a stress test is to allay investors’ fears that institutions…recently, the regulators only intended to test the 26 largest institutions. Happily…about the health of institutions.The stress tests offered the Europeans the chance…

WSJ: Daniel Gros: Europe’s Stressed Banks : Europe’s stress test for banks, its first large-scale experiment with financial transparency, is now under way. Until recently it was taboo

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