Neue These, warum der Finanzsektor zu alten Praktiken zurückkehrt: Schuld ist das Effizienzmodell im Risikomanagement

by Dirk Elsner on 28. Juli 2010

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Wisu (7/0109) findet sich ein hoch interessanter Artikel über “Alte und neue Konzepte beim Risikomanagement”. Die Wissenschaftler Hellmuth Milde, Wilfriede Siebe und Volker Bieta fassen gut lesbar die Kritik an den vorherrschenden Risikomodellen der Finanzbranche zusammen. Am Ende fragen sich die Autoren, warum der Bankensektor zu den alten Praktiken zurückkehrt und weiter auf das sogenannte Effizienzmodell setzt. Sie haben dafür zwei Erklärungen:

1. Baseler Eigenkapitalvorschriften

Zum einen schreiben die Basel-Regulierungen die Höhe des Mindestkapitals der Banken vor. Die Höhe der Mindestbestände wir mithilfe des Value-at-Risk (VaR) berechnet. Dieses Modell beruht auf dem Effizienzmodell. Mit anderen Worten: Die Banken sind gezwungen, es anzuwenden.

2. Staatliche Stabilisierung

Zum anderen stabilisieren die Regierungen vieler Länden den Finanzsektor mit Milliardenbeträgen, da er sonst zusammenbrechen würde, was massive gesellschaftliche Auswirkungen hätte. Die Banken haben diese Zwangslage der Politik vorhergesehen. Damit bedeutet es für sie kein Risiko, die alten Praktiken wieder aufzunehmen.

Kritik am Effizienzmodell

Die Autoren kritisieren das weiterhin vorherrschende Effizienzmodell, auf dessen Basis Entscheidungen auf den Finanzmärkten getroffen werden. Das Effizienzmodell geht u.a. von der Annahme perfekter Märkte aus. Angebots- und Nachfrageofferten sind vom Zufall bestimmt und voneinander unabhängig und die Entscheidungen einzelner Marktteilnehmer haben keinen Einfluss auf den Marktpreis

Kern der Kritik: “Effizienzmodelle gehen … nicht auf Informationsprobleme ein (siehe auch “Über die Ineffizienz der Hypothese der effizienten Märkte”). Definitionsgemäß gibt es hier weder Informationsasymmetrien, Interessenkonflikte, Anreizmechanismen noch Agency-Probleme.” Im weiteren Verlauf des Textes vertiefen die Autoren die Kritik am Effizienzmodell und stellen als Alternative das Anreizmodell vor, das hier aber nicht vertieft werden soll.

Kritik aber am Risikomanagement

Die Kritik am Risikomanagement im Finanzsektor hat Hellmuth Milde in einem Beitrag auf Risknet formuliert. Darin schreibt er u.a.:

“Ausgangspunkt meiner Kritik ist die Tatsache, dass es zwei unterschiedliche Risikotypen gibt: Zustandsrisiken und Verhaltensrisiken. Zustandsrisiken sind unkontrollierbare Umweltzustände, wie sie etwa beim Roulette-Spiel oder bei Naturkatastrophen vorkommen. Im Gegensatz dazu geht es bei Verhaltensrisiken um die Unvorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens. Diese Risiken treten etwa beim Pokerspiel und beim Schach auf, ferner bei Finanzmarkt- und Übernahmetransaktionen.

Der entscheidende Unterschied ist die Abwesenheit oder Anwesenheit von Auswirkungen menschlich gesteuerter Interventionen. Ein Erdbeben tritt unabhängig davon ein, ob Menschen Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Ob es zu einer Finanzkrise kommt, ist dagegen entscheidend davon abhängig, ob die Leute vorsichtig waren. Der Vergleich von Roulette und Poker erklärt vieles: Was immer der Roulette-Spieler tut, ob er sein Geld auf 10, 20 oder 13 setzt, die Eintrittswahrscheinlichkeit für jede Zahl oder Zahlenkombination ist von außen vorgegeben und unveränderlich. Es sei denn, ein Betrüger manipuliere das Roulette-Rad. Das wäre schon wieder ein Verhaltensrisiko. Bei fairen Bedingungen ist das Ergebnis kalkulierbar, es unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Der Gegner des Roulette-Spielers ist das   Schicksal, die Natur oder Gott. Dieser Gegenspieler ändert die Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht, ist also ein "passiver Gegner". Das ist das Weltbild von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren.

Beim Pokern hingegen reagiert der Gegner auf jede Aktion des ersten Spielers mit einem genau kalkulierten Gegenzug. Von Passivität kann keine Rede sein. Die Reaktion des Gegners berücksichtigt sehr genau, was der erste Spieler vorher getan hat. Der erste Spieler handelt aber ebenso und berücksichtigt die Vorgaben des zweiten Spielers usw. Wir bezeichnen dieses Reaktionsmuster als strategische Interdependenz. Mit Wahrscheinlichkeitsaussagen kann man hier keine Lösung finden. Wie sich jeder Spieler verhält, erklärt ein anderer Ansatz: die Spieltheorie. Die Risikosituation mit einem aktiven Gegenspieler ist hinsichtlich ihrer Eigenschaften Lichtjahre entfernt von einer Risikosituation mit einem passiven Gegenspieler.”

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