Zwei Jahre nach Lehman und AIG: “Gier der Anleger” als vergessene Ursache der Finanzkrise

by Dirk Elsner on 16. September 2010

Die Implosion der Finanzmärkte liegt inzwischen zwei Jahre zurück und es ist ruhiger um das Thema und vor allem um die Aufarbeitung der Krise geworden. In den vergangenen zwei Jahren hat es viele mechanische Schuldzuweisungen gegeben. Jeder hatte eine Erklärung, warum es an ihn nicht und nur an den jeweils anderen gelegen hat. Die Politik war Schuld wegen der mangelhaften Regulierungsvorschriften, die Aufsichtsbehörden wegen zu laxer Kontrolle. Manager und Angestellte in Banken wurden der Bonusgier bezichtigt und die Aktionäre der Finanzhäuser und Fonds waren zu ausschüttungsorientiert.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass sehr viel mehr als nur die Finanzhäuser ihren Anteil an der Finanzkrise hatten. Ich habe aus dem Anlass der unerfreulichen Jahrestages noch einmal meine Entschuldigung an Banken und Steuerzahler vom Oktober 2008 gelesen. Damals habe ich dargestellt, wie fast jeder von uns seinen Beitrag geleistet hat.

Jetzt, zwei Jahre danach, stellt das Handelsblatt wieder fest, dass auch die privaten Bankkunden längst wieder in alte Verhaltensschemata zurück gefallen sind. In “Die Gier der Kunden ist zurück” stellen sie dar, wie viele Bankkunden sich von Lockangeboten für Tages- und Festgeld ködern lassen. Besonders ausländische Institute fallen wieder durch Hochzinsangebote auf und es werden wieder vielfach Traumkonditionen auf Kosten der Einlagensicherung geboten.

Die Ursachen für die Finanzkrise sind sehr vielfältig und komplex miteinander vernetzt. In den Mindmaps “Fundamentale Ursachen” und “Mindset” hat der Blick Log viele Punkte zusammen getragen, die in verschiedensten Veröffentlichungen eine Rolle gespielt haben könnten. Trotz der Vielfalt ist die Darstellung sicher nicht komplett. Aber dass die “Gier der Anleger” (egal ob Kleinanleger oder professioneller Investor) nach Rendite eine zentrale Rolle gespielt hat, dürfte kaum angezweifelt werden können.

Und die Benennung der “Gier” hier soll nicht nach Vorwurf oder gar moralisierend klingen. Die Gier ist, wie die FAZ einmal schrieb, “die populärste Erklärung der Wirtschaftskrise und zugleich die rätselhafteste.” “Gier” ist eine zentrale Antriebsfeder unserer Wirtschaftsordnung. Und wer sich ehrlich genau anschaut, der wird sie in vielen Verhaltensweisen bei sich selbst entdecken, selbst wenn er/sie dies nicht als “Gier” ansieht. Und das ist nicht überraschend, denn Gier ist neurologisch erklärbar. Wer sich dafür interessiert, der schaue in den Beitrag “Für unser Hirn gilt: Geld = Sex = Drogen = Gier”, höre im Deutschlandfunk “Hauptsache immer mehr” oder schlage in dem gut zu lesen Buch von Jason Zweig: “Gier. Neuroökonomie: Wie wir ticken, wenn es ums Geld geht” nach.

Joss September 17, 2010 um 07:40 Uhr

Die Gier der Anleger gibt es m. E. schon. Nur dass sich viele dieser nicht ganz bewusst sind weil sie dem Wunschdenken verfallen
sind, zusammen mit einer oft wirklich „horriblen naivity“, der bekannten entsetzlichen Naivität.
Was mit in meinem Bekanntenkreis (auserhalb Deutschlands) öfters unter kommt ist u. a. dass Leute, die sich ein gewisses Vermögen
erspart und erarbeitet haben, nicht mal von der Existenz von Google finance oder Yahoo finance wissen. Die Information sicherlich
vieler Leute bezieht sich einzig auf das Fernsehen, die kurzen Tagesnachrichten mit den Teletexten und Indexen. Hinzu kommt eine
regelrechte Angst vor Büchern obendrein noch haben. Wissen wird gleichsam als Gefahr gesehen. Logischerweise ist das reale Leben,
dann voller Ueberraschungen Erfahrungen. Und dabei sind das Leute die noch gute Manieren haben, die bei Diskussionen nicht ausfällig
werden, sondern eher was Tragisches an sich haben. Irgendwie ist alles schwer und man ist voller Sorgen.

In anderen Fällen war es, wie es so nebenbei zu beobachten war, so, dass die Leute die schlechten Manieren von den Finanzbetrügern
übernommen haben. Da gab es in den Leserforen, bei den Leserkommentaren, einen regelrechten „undercurrent“ immer dann, wenn ein
Artikel kritisch auf Probleme und drohende Risiken einging. Da gab es dann regelmässig die Fetzer und Flegel, die ziemlich primitiv,
wüst und reichlich aggressiv solche Autoren der Iditie, des Gar nicht Wissen, etc. beschimpften. In den USA etwa dürften gar nicht
so wenige, die mittlerweile zu den „home foreclosures“, den ehemaligen Hausbesitzern gehören, u.a. ihren schlechten Manieren zum
Opfer gefallen sein und als Quittung dafür dann den Besuch des Sheriffs erhielten der ihnen erklärte „Your house is reposessed by the
bank, you have twentyfour hours to leave your home!“

Für einen kulturellen Rüchblick bieten sich zudem ältere Zeitungen und Zeitschriften an. Ein Blick in eine vier oder fünf Jahre alte
Zeitschriften oder Zeitungen ist m. E. deswegen oft hoch interessant als man gleich auf den ersten Blick auf die Anlagetipps
weiss, was aus der Sache geworden ist. Ebenso wie die ziemlich Oberlehrerhafte Stil, die fast befehlende Art der Anlagetipps bei der
Gelegenheit auch gleich ersichtlich wird.
Die Medien ebenso wie die vielen Drückerkolonnen, gar nicht zu reden von der sehr intensiven Werbung der Banken, übten alle
zusammen schon mal einen Druck auf den Einzelnen aus, setzten die Leute entsprechend unter Zugzwang. Wahrscheinlich aben auch
deswegen viele diesem Druck von aussen, ihrer Umgebung gewissermassen, mal nachgegeben.

Joerg September 16, 2010 um 12:00 Uhr

Ich finde es auch etwas wohlfeil auf die Gier der Bankkunden zu schimpfen. Das hat auch meiner Meinung nach einen Hauptgrund in der Niedrigzinspolitik der Notenbanken. Kann mich noch gut erinnern, als Kind hatte ich einen Sparbrief bei einer Sparkasse, da gab es glaub an die 8% Zinsen. Das fühlte sich richtig gut an und man hatte das Gefühl man verdient was beim sparen. Risiko tendierte gegen null. Aber wo bekommt man sowas heute? Da muss man schon riskante Anlageformen wählen. Damals war ein Zinspunkt ja auch nicht so bedeutend. Der Unterschied zwischen 8% und 9% ist im Verhältnis viel geringer als zwischen 2% und 3%. Wer Geld anlegt will dafür ja auch was dabei verdienen und das geht mit den aktuellen Niedrigzinsen kaum und dann geht da auch noch Steuer von runter.

dels September 16, 2010 um 07:01 Uhr

@enigma
Vielleicht habe ich den Kommentar am frühen Morgen nicht richtig verstanden. Aber mir ist nicht klar, warum es keine „Gier“ der Anleger geben soll.
Welcher Anteil, wessen „Gier“ an der Finanzkrise hat, lässt sich ohnehin nicht ausmachen. Ich behaupte ja nicht, die Anleger haben die Finanzkrise verursacht. Ich sage nur, auch sie haben mit ihren Wünschen nach hoher Rendite ihren Teil dazu beigetragen.

enigma September 16, 2010 um 05:43 Uhr

Also, ich habe in einer Welt gelebt, wo die Drückerkolonnen von jeder Versicherung jedem, der es (nicht) wissen wollte, die heile Welt vorgebrezelt haben, um allen, die etwas weniger von Finanzen verstehen, einen „Anlage“-Vertrag aufzubrummen.

Ich weiß ja nicht, was die allgemeine Meinung sagt. Ich weiß, daß nach (nur!) einem Semester Versicherungsmathematik bei mir kein Vertrauen gewachsen ist, den Präsentationen von Versicherungsfuzzis zu glauben.

Vor dem Hintergrund, daß es sehr schwer ist, zwischen Gefühlen und Sterbetafeln eine vernünftige Entscheidung zu fällen ist es meiner Meinung nach nicht angemessen davon zu reden, daß Anleger von „Gier“ geprägt sind.

Mal abgesehen davon: das mit der Gier bezieht sich auf die „Kleinen“! Diejenigen, die ernsthaft was zum Anlegen haben, haben ganz andere Sorgen! Bei denen geht es nämlich in allererster Linie um Vermögenserhalt! Warum? Weil die wissen, daß Geldvermögen in dieser Welt nur mit Glück gesteigert werden kann. Das ist so etwa wie die Lottowahrscheinlichkeit.

Bei der großen Nummer geht es nicht mehr um Ertragsraten, sondern um Erhalt! Die Ertragsnummer ist das, was die Ökonomen in der Vorlesung immer erzählen, nur kommen die nie in diese Vertrauensbeziehungen hinein. Deswegen wissen die das auch nicht.

Wenn es eine Gier gibt, welche die letzte Krise erzeugt hat: das waren die Banken mit der Verbriefung und der Verarschung der „kleinen Anleger“. Die Devise war: nur noch Provisionen einstecken und die Risiken an „Investoren“ VERKAUFEN! Und Letztere haben sich sogar durch mathematische Scharlatanerie verarschen lassen!

Nochmal: die Gier der Anleger gibt es nicht! Nur eine Menge Provisionshyänen!

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