Die Welt der deutschsprachigen Wirtschaftsblogs Anfang 2011 (mit Mindmap)

by Dirk Elsner on 16. Januar 2011

Es ist Zeit, auf die Welt der deutschsprachigen Wirtschaftsblogs zu schauen und hier das Update der Mindmap zu posten. Zum Jahresanfang verzeichnete die Mindmap 165 Blogs in deutscher Sprache, die sich mit den verschiedensten Themen rund um die Wirtschaft befassen. Vor knapp einem Jahr beinhaltete die Übersicht nicht einmal 100 Blogs.

Neuer Boom der Wirtschaftsblogs?

Stehen wir also vor einem neuen Boom der Blogs mit Wirtschaftsthemen? Leider nein, denn weiterhin werden die meisten Blogs, soweit das ersichtlich ist, privat und nebenbei betrieben. Professionelle Blogs, die hierzulande die Standardwirtschaftsberichterstattung im Stile etwa der US Blogs Zero Hedge, Businessinsider oder Credit Writedowns aufmischen könnten sind weit und breit leider nicht auszumachen.

Dabei empfinde ich die Qualität vieler Blogbeiträge, gemessen an meinen persönlichen Erwartungen an ein anspruchsvolles Lesevergnügen, als ausgesprochen hoch. Die deutschsprachigen Wirtschaftsblogs haben in vielen ihrer Beiträgen weniger ein Qualitätsproblem als ein Wahrnehmungsproblem. Sie erreichen nicht die Masse der Leser, die sie sich eigentlich verdient hätten und werden von den etablierten Medien weitestgehend ignoriert.

Gleichwohl lässt sich die Szene dadurch nicht entmutigen und misst die eigene Bedeutung nicht an der Resonanz öffentlicher Wahrnehmung. Immerhin lesen viele Vertreter der Medienzunft in Wirtschaftsblogs (siehe dazu diese Untersuchung), um Anregungen für Themen zu erhalten und Hintergründe zu recherchieren. Warum sie dennoch Blogs nicht ab und zu einmal zitieren, weiß nur der Abendwind.

Deutscher Renommiert-Komplex

Es könnte gar an dem typisch deutschen “Renommiert-Komplex” liegen, der fast täglich bei der Zeitungslektüre auffällt. Man zitiert gern “renommierte Quellen”, “anerkannte Fachleute”, “ausgewiesene Experten” oder “prominente Kenner”. Wenn man nicht durch Zufall, die Bild, die FAZ (dazu Knüwers lesenswerter Beitrag: Wie Frank Schirrmacher sich seine Experten aufbläst) oder ein anderes Leitmedium dazu “gemacht” wird, dann hat man es schwer, diesen Status zu erreichen. Sich auf einen Wirtschaftsblog zu berufen, ist in Deutschland (noch?) nicht angesagt. Von der in den USA zu beobachtende sich gegenseitig befruchtende Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsblogs und Medien ist hier leider weit und breit nichts zu sehen (die Ausnahme Weissgarnix bestätigt die Regel).

Ich bleibe dennoch bei meiner Auffassung, dass die inhaltliche Qualität vieler nationaler und internationaler Blogs mittlerweile ausgesprochen hoch ist. Möglicherweise liegt aber aber genau darin die Ursache des Wahrnehmungsproblems der Wirtschaftsblogs. Viele schreiben nicht in leicht konsumierbaren Häppchen, sondern holen manchen schwer verdaulichen Brocken an die Oberfläche und bohren an vielen Stellen deutlich tiefer als dies etablierte Medien tun, die meist auch Nichtfachleute adressieren müssen.

Und was macht jetzt einen guten Wirtschaftsblog aus?

Eigentlich wollte ich dieser Frage ausweichen, fand aber den Beitrag ohne einen Streifzug zur Qualität unvollständig. Objektiv lässt sich die Frage kaum beantworten, daher kann ich hier nur meine persönlichen Geschmacksnerven sprechen lassen.

Ich mag Blogbeiträge, wenn sie kein Copy und Paste anderer Medien sind und entweder neue Themen hervorholen, bekannte Sachverhalte neu belichten oder eine kritische Position zum Mainstream einnehmen. Häufig freue ich mich schon, wenn bestehende News mit zusätzlichen Hintergrundinformationen und Links auf Primärquellen versehen sind (übrigens weiter eine große Schwäche der etablierten Medien) oder sie über Themen berichten, die bisher nicht den Weg in deutsche (Online-) Medien gefunden haben.

Natürlich finden Kritiker, wie in jedem Medium, viele qualitativ schlechte Beiträge in der Blogszene. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Wie bei Autos, Banken, klassischen Medienseiten oder Politikern, gibt es halt auch Wirtschaftsblogbeiträge unterschiedlichste Qualitäten.

Professionelles Wissen Teilen ist nicht angesagt

Abschließend noch eine Auffälligkeit, für die ich noch keine so rechte Erklärung habe. In Deutschland mangelt es weiterhin an einer Kultur, Wissen mit anderen zu teilen. Berufsprofis halten sich in der ganz überwiegenden Mehrheit zurück und schreiben nicht für Blogs. Das ist eigentlich schade, denn gerade zu vielen professionellen Wirtschaftsthemen wünsche ich mir einen viel intensiveren Austausch mit der Netz-Community.

Wall Street Februar 8, 2011 um 00:13 Uhr

Danke für die super Übersicht! Was wir Blogger wohl alle tun sollten: Uns häufiger zitieren. Darin muss ich selbst besser werden. Asche auf mein Haupt!

Holger Februar 7, 2011 um 23:48 Uhr

Auch wenn ich spät dran bin, möchte ich kurz danke sagen für die Zusammenstellung der Mindmap und die Aufnahme des Privatanlegers im vorigen Jahr. Wenn Du jetzt noch den Link reparieren würdest… 😉

Viele Grüße
Holger

Andreas Kunze Februar 7, 2011 um 10:39 Uhr

Ja, das Angebot von Finanz- und Wirtschaftsblogs wächst – m.E. sind darunter viele lieblos zusammengestotterte Texthalden, die googleoptimiert das schnelle Geld mit Tagesgeld und Krankenversicherungen bringen sollen. Investigative Finanz- und Wirtschaftsblog mit wirklich „eigenen Nachrichten“ gibt es wenige. Wenn ein Blog „eigene Nachrichten“ macht, dann wird das von den klassischen Medien durchaus aufgegriffen, wie ich bei meinem Finblog mehrfach erleben durfte.

dels Februar 7, 2011 um 14:32 Uhr

@Andreas Kunze
die Googleoptimierer, die das schnelle Geld mit Tagesgeld und Krankenversicherungen bringen sollen, sind übrigens in der Mindmap nicht zu finden. Die habe ich dort bewusst nicht mit aufgenommen.
Den Finblog habe ich bei der Gelegenheit gleich aufgenommen in die Mindmap.
Besten Dank
dels

Lothar Lochmaier Januar 17, 2011 um 09:38 Uhr

Auf die Dauer werden sich Öffentlichkeit und Leitmedien dem Charme von tiefergehenderen Analysen und individuellen Blickwinkeln in den Wirtschafts- und Finanzblogs nicht verschließen. Allerdings brauchen gute Blogs einen langen Atem, um sich auch hierzulande jenseits der meist schon vorgekauten Expertenzirkeln durchzusetzen. Siehe meinen Beitrag „die verkannte Größenordnung“:
http://lochmaier.wordpress.com/2010/11/16/wirtschaftsblogger-die-verkannte-grosenordnung/

JazzMe Januar 16, 2011 um 19:22 Uhr

good job, very good!

Joss Januar 16, 2011 um 13:01 Uhr

Recht interessant in diesem Zusammenhang ist wohl
u. a. die Aussage von VDZ – Präsident Burda:
‚Eine elektronische Zeitung dürfe es auf keinen Fall geben, dann drohe „mehr als Krawall“.‘
http://meedia.de/nc/details-topstory/article/print-ist-back–der-optimismus-auch_100031600.html

Ueber das Thema hinausgehend, weil sehr erhellend:
ein ziemlich grelles Schlaglicht auf die Einstellung der Medien wirft wohl auch die Aufregung wegen der Reduzierung der Zeitungswerbung u.a. von Aldi. Die Reaktionen der Medien auf sowas und deren Druck auf die Werbekunden ist wirklich interessant , das sollte man sich mal ansehen.
Hierzu gleich eine Reihe von Artikeln dazu bei
Meedia:
http://meedia.de/index.php?cx=016687715138309811423%3Ae1qgi7raj0i&cof=FORID%3A11&ie=UTF-8&id=1336&q=Aldi+Zeitungswerbung&sa=Suche#661

Das gehört zwar nicht mehr zum unmittelbaren
Thema, ist aber vielleicht doch interessant.

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