Warum Banking 2.0 noch nicht zündet in der klassischen Bankwelt Teil 3: Thesen 6 bis 10 und Fazit

by Dirk Elsner on 17. Januar 2011

Nach dem etwas theorielastigen Einleitungsbeitrag und den Thesen 1 bis 5 geht es nun nahtlos weiter mit den Thesen, warum wir auf den Erfolg des Banking 2.0 noch warten müssen.

These 6: Regulierung und rechtliche Hindernisse

In Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft ist es ausgesprochen schwer für neue Dienstleister, in den Markt einzutreten. Dies liegt nicht zuletzt an der sehr ausgeprägten Regulierung der Finanzbranche. Diese umfangreiche Brüokratie  (zum Umfang siehe Mindmap zur neuen Finanzordnung) führt tendenziell zu einer stärkeren Konzentration im Finanzsektor und damit zu größeren Einheiten. Außerdem werden neue Wettbewerber wegen der prohibitiv hohen Markteintrittskosten ferngehalten. Es ist daher nicht überraschend, dass es Produktinnovationen durch neue Spieler sehr schwer haben. Das Beispiel der Noa Bank, die aus meiner Sicht eine gute Idee war, zeigt, was passiert, wenn das Management den rechtlichen Erfordernissen zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.

So führt die Regulierung, die eigentlich die Kunden und den Markt schützen soll, dazu, echte Produkt- und Prozessinnovationen stark zu behindern. Dies gilt übrigens auch, wenn bereits etablierte Unternehmen, neue Produkte und Prozesse einführen wollen. Bankintern ist dazu ein riesiger Kranz an internen und externen Vorschriften zu beachten. Dies bremst die Innovationsfreudigkeit der Branche stark aus.

These 7: Banken inszenieren sich gern als perfekt und Kunden erwarten dies auch

Banken und Wirtschaftsunternehmen inszenieren sich gern als fehlerfrei und allwissend. Transparenz in Form von erweiterten Kundeninformationen oder gar offenen und jedermann zugänglichen Kundenreaktionen passen nicht dazu. Finanzhäuser beschäftigen ganze Stäbe damit, für Kunden negative Dienstleistungsmerkmale zu verschleiern und im Kleingedruckten zu verstecken. Immer wieder werden Finanzhäuser zwar von Gerichten zu Änderungen gezwungen, aber tatsächlich erst dann, wenn ein Gericht entschieden hat.

Web 2.0 bringt aber Transparenz in die eigenen Leistungen und Produkte und wird manchen einen unangenehmen Mangel brutal offenlegen. Dies fürchten viele Unternehmen.

Unternehmen reagieren mit dieser Verschleierungsstrategie, die übrigens ausgezeichnet von Max Otte in dem Buch Der Informationscrash analysiert wird, freilich auch auf die hohe Empfindlichkeit von Kunden gegenüber Fehlern. Durch meine jahrelange Tätigkeit in und für Banken kenne ich jede Menge Kundenreaktionen auf aufgetretene Fehler. Diesen Reaktionen zeichnen sich durch einen hohen Empörungsfaktor aus und Unverständnis darüber, dass bestimmte Fehler überhaupt auftreten. Natürlich werden solche Kundenreaktionen durch die eigenen Inszenierungen der Banken gefördert.

Erstaunlich bleibt freilich, dass Banken die über sie geführten Diskussionen weitestgehend ignorieren. Nach der Social-Review finden 70% der Kommunikation über Blogs, Twitter, Facebook und Diskussionsforen ohne ihre Beteiligung stattfindet. Ob es den Ban­ken also ge­fällt oder nicht: So­zia­le Me­di­en sind längst zu einem wich­ti­gen, wenn nicht sogar dem wich­tigs­ten Ort ge­wor­den, an dem man über sie dis­ku­tiert und sich über ihre Leis­tun­gen (und Prei­se) aus­tauscht. Ins­be­son­de­re das Thema „Ser­vice“ steht dabei oft Mittelpunkt, schreibt Leichsenring in seinem Blog

These 8: Mangelndes Vertrauen gegenüber Online-Aktivitäten 

Eigentlich ist dies ein Subthema zu der These 2, weil sie ebenfalls etwas mit dem digitalen Graben zu tun hat. Dieser digitale Graben fördert nämlich bei der Generation 40+ weiter die Vorurteilsbildung gegenüber vielen Aktivitäten, die das Netz betreffen. So genießen Online-Aktivitäten in Deutschland noch lange nicht den Glaubwürdigkeit-Status wie Offline-Aktivitäten. Aus verschiedensten Gründen findet die gerade für Finanzgeschäfte notwendige Vertrauensbildung aber ganz überwiegend durch persönliche Kontakte statt.

Die Behäbigkeit im Veränderungswillen der Banken hat daher ihre Ursachen auch im Verhalten der Kunden. Dazu kommt, dass durch den kollektiven Vertrauensverlust der Finanzbranche sich aktuell kaum eine Bank schlechter darstellt, zumindest relativ, weil Kunden bisher noch zu wenigen alternativen Dienstleistern Vertrauen aufgebaut haben oder sie erst einmal die Erfahrungen der early adopters abwarten wollen.

Vielleicht kann man das Verhältnis zwischen Banken und Kunden mit einer angeschlagenen Ehe vergleichen. Es wird ja längst nicht jede zerrüttete Ehe sofort geschieden. Man hat sich auf bestimmte Art und Weise bequem eingerichtet in seinem Leben und mit seiner “ungeliebten” Bank. Da wechselt man nicht sofort wegen eines Ausraster und ein paar Marotten den Partner. Dieses Trägheit gepaart mit einer Mentalität, die alles billig und möglichst hohe Rendite bei geringem Risiko will, macht es den Banken einfacher, nicht zu reagieren.

These 9: Veraltete technische Infrastruktur

Finanzhäuser unterliegen aus verschiedensten Gründen organisatorischen, technischen und vor allem rechtlichen Restriktionen. Diese Restriktionen gepaart mit der Komplexität einiger Finanzdienstleistungen hat zu einer sehr heterogenen System- und Anwendungsarchitektur in Banken geführt. Aus der Komplexität der Prozesse, Applikationen und der Schnittstellenorganisation wiederum folgt, dass Entwicklungen von der Konzeptionierung bis hin zur Einführung zwischen zwei und fünf Jahre benötigen. Im Internetzeitalter sind dies bereits 2 Generationen, in denen sich Trends komplett ändern können.

Das Netz bietet aber keine Berechenbarkeit. Aber genau dieser Wandel macht es Finanzhäusern so schwer, sich überhaupt auf die Entwicklungen einzustellen. Eine träge, oftmals über Jahrzehnte gewachsene IT-Landschaft und klassische Projektentwicklungszyklen müssen möglicherweise ganz neu gedacht werden. Während im Frontoffice durch die neuen Entwicklungen die Anforderungen an Personalisierbarkeit und Individualisierung steigen, muss in den Folgeprozessen der Bank aus Kostengründen auf Standardisierung wert gelegt werden (siehe dazu R. Rainer Alt et. al., Eckpunkte für die Universalbank 2015). Ein Lösungsansatz dafür kann im Aufbrechen der Wertschöpfungskette in Vertriebs- und Produktbanken sowie Transaktionsinstituten liegen, wie dies etwa Moormann in einem Beitrag skizziert (siehe diese Abbildung).

Gerade vor dem Hintergrund der vorgenannten Überlegungen könnte es sogar mehr Sinn machen, eher eine neue Bank mit neuer Architektur und neuer Ausrichtung zu gründen, als die bestehende Organisation zu erweitern. Diesen Weg geht etwa die Fidor-Bank, die eine von traditionellen Banken deutlich abweichende Produktentwicklungsphilosophie verfolgt. Dazu, und das ist in dieser Form im Bankensektor revolutionär, bezieht das Hause seine Kunden aktiv in die Produktentwicklung ein und diskutiert offen mit der Community neue Produktideen. Die Architektur und Organisation der IT-Entwicklung ermöglichen dazu schnelle Entwicklungen und Anpassungen (für Technikfans: die Anpassungen finden vorwiegend im Frontend statt, um Änderungen der trägen Backendprozesse zu vermeiden). Auch an den Tests, für klassische Banken undenkbar, beteiligt sich die Community und gibt so wertvolles Feedback, um Fehler auszumerzen. Daraus entstehen bemerkenswerte Produkte, wie etwa die e-Wallet oder die Überweisungsmöglichkeit per Twitter.

These 10: Mangelnde Geschäftsmodelle des Web 2.0

Die Finanzbranche mit ihren IT-, Daten-, Transaktions- und Beratungsdienstleistern lebt derzeit ausgezeichnet mit ihren traditionellen Geschäftsmodellen. Vom Web 2.0 profitiert man nebenbei übrigens ebenfalls gehörig durch Börsengänge, milliardenschwere Fusionen und Übernahmen der Branche.

Lukrative Geschäftsmodelle im Web 2.0, die Erlöse in ähnlicher Größenordnung versprechen, fehlen dagegen und bewegen sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Finanzmarktstrategen. Von Newcomern droht aufgrund der Regulierung (These 6) und der Trägheit der Kunden (These 8) außerdem derzeit noch keine Gefahr.

Tatsächlich lassen sich Geschäftsmodelle im Web 2.0 nicht einfach planen und umsetzen. Das Web lebt viel eher davon, dass hunderttausende Ideen ausprobiert werden können, von denen höchsten 1% nachhaltigen Profit abwirft.

Vorläufiges Fazit oder Quo Vadis Social Banking?

Ein besonderes Merkmale der Nutzung der Web 2.0 oder Social-Media-Technologien ist neben der Nutzung neuerer Webtechnologien vor allem eine erweiterte Philosophie im Umgang mit Kunden. Diese zeichnet sich durch offene und gleichberechtigte Kommunikation, hohe Transparenz über Leistungen und Gegenleistungen sowie Einbeziehung der Kunden in den Leistungsprozess aus. Ein Kern Banking 2.0-Philosophie liegt also darin, Kunden deutlich aktiver in die Leistungserbringung zu integrieren. Rein gar nichts mit Banking 2.0 hat es daher zu tun, wenn Finanzhäuser Informationen per Twitter versenden oder eine Facebook-Seite betreiben, wenn diese Kanäle nur als einseitiges Instrument eingesetzt werden, um typische Werbebotschaften Botschaften bei ihren Zielgruppen zu platzieren (siehe dazu “Allein das Image mit Facebook, Twitter und Blogs aufwerten reicht nicht für Erfolg im Banking 2.0”).

Finanzhäusern ist sehr bewusst, dass sie nicht mit der Avantgarde der Web 2.0-Entrepreneure ihr Geld verdienen, sondern mit einer älteren aber vermögende Kundengruppe, die ebenfalls mit der 2.0-Welt fremdelt. Diese traditionelle Kundschaft könnte auf eine neue Form der Offenheit und Kommunikation eher zurückhaltend oder gar verschreckt reagieren.

Aber genau an dieser Stelle liegt der Denkfehler in den Häusern. Zunehmend drängt nämlich die Generation 2.0 in die Wirtschaftspraxis und besetzt immer mehr Entscheidungspositionen. Diesen sogenannten Kohorteneffekt sieht übrigens auch die Deutsche Bank in der Studie “Wie Unternehmen das Web 2.0 für sich nutzen”.  Die Generation Facebook ist mit dem Web aufgewachsen und nutzt die Instrumente, wie man früher Taschenrechner und Filofax (dies ist quasi doodle auf Papier) genutzt hat. Sie definieren die informationelle Selbstbestimmung anders und haben nicht die Berührungsängste vor Datenschutz und Transparenz.  Sie stört die für Jedermann einsehbare Privatsphäre nicht. Schweigen und Intransparenz werden zunehmend als Schwäche von Unternehmen angesehen. Der schnelle Informationszugriff, die jederzeitige Erreichbarkeit und die authentische Reaktion sind ihnen wichtiger als der Schutz eigener Persönlichkeitsrechte und Datensicherheit.

Ob Facebook eines Tages mit Banking 2.0 die Finanzbranche aufmischen wird, das Peer-2-Peer-Lending einen großen Teil der traditionellen Kreditvergabeprozesse substituiert oder sich neue 2.0-basierte Fondsansätze durchsetzen, ist heute nicht vorherzusehen. Fest steht aber, dass die Veränderungen bereits begonnen haben und früher oder später das klassische Banking in einem viel größeren Ausmaß ersetzen werden, als sich viele Banker dies derzeit vorstellen können.

Dr. P. I. Januar 17, 2011 um 16:08 Uhr

Ich denke, Sie haben das sehr treffend in diesem und den beiden vorhergehenden Beiträgen analysiert.
Den Ihren Beiträgen innewohnenden Optimismus zur Weiterentwicklung der Finanzhäuser teile ich allerdings nicht.
Die deutschen Finanzhäuser werden das tun, was sie schon immer getan haben: Sie warten ab, ob sich jemand traut, voran zu gehen. Ist das erfolgreich, wird schnell kopiert. Ob das hier die richtige Strategie ist, wage ich zwar zu bezweifeln, glaube es wird dennoch so kommen.
Besten Dank

Bank in FFM Januar 17, 2011 um 14:51 Uhr

Ausgezeichnete und sehr praxisnahe Darstellung, die ich voll bestätigen kann. Wie wenig ausgeprägt das Social Media-Verständnis in deutschen Banken ist, sieht man allein schon daran, dass die hier kommentierenden Bankangestellten und -führungskräfte sich nicht trauen, mit vollem Namen und ihrem Arbeitgeber zu unterzeichnen (ich kann das leider auch nicht).

Bei uns im Hause hat man es nur zu einer Social-Media-Richtlinie gebracht, die im Prinzip darauf hinaus läuft, dass wir aus Angst vor Abmahnungen einen großen Bogen um diese Instrumente machen. Äußern darf sich, wenn überhaupt, unsere Leitung für Öffentlichkeitsarbeit.

Von Social Media im hier und anderen Blogs verstandenen Sinne, sind wir derzeit Lichtjahre entfernt. Dabei wird das Kopfschütteln über diesen Zustand gerade bei der jüngeren Kollegen immer deutlicher.

Beste Grüße und schönen Dank
Ein Banker aus Frankfurt a. M.

PeterK Januar 17, 2011 um 13:55 Uhr

Eine wunderbare Artikelreihe, die ich gern in unserem Haus weiterreiche.
Man merkt, dass hier jemand schreibt, der beide Seiten des Geschäfts kennt. Ich selbst leite ein Strategieteam in einer großen Bank und wir haben in letzter Zeit oft mit Beratern aus dem Social Mediasektor zu tun. Wir spüren die Energie, die von dort ausgeht aber leider auch ebenso wenig Verständnis für die Sachzwänge einer Bank.

Diese Sachzwänge dürfen natürlich keine Entschuldigung dafür sein, nichts zu tun. Gleichwohl kann, wie Sie das hier ausgesprochen treffend darstellen, hier nicht jeder Hype mitgemacht werden.

In keinem Fall reicht es allerdings aus, wenn sich nur das Marketing oder die Unternehmenskommunikation mit dem Themenfeld befasst. Die Anstöße müssen tatsächlich von oben kommen.

Besten Dank
Peter K.

Dr. Hansjörg Leichsenring Januar 17, 2011 um 09:24 Uhr

Herzlichen Glückwunsch zu dem hochinteressanten Dreiteiler. Eine wirklich fundierte Darstellung der Thematik.

Von Ihren 10 Thesen, warum das Web 2.0 noch nicht wirklich in der Bankenwelt angekommen ist, möchte ich gerne die letzte aufgreifen:

In der Tat habe ich wie Sie aus vielen Gesprächen der letzten Zeit mitgenommen, wie schwer sich die Banken damit tun, das Thema Bank 2.0 mit konkreten Inhalten zu füllen. Auf der einen Seite erstaunlich, auf der anderen Seite nicht, da Sie sicher recht haben, mir Ihrer Aussage, dass die etablierten Geschäfte noch genug abwerfen. Banken sind halt keine „trial-and-error“ Unternehmen, die mit innovativen Ideen versuchen, neue Wege zu beschreiten.

Anderseits sind viele US Banken schon einen Schritt weiter: Dort hat in den letzten Jahren das Thema Personal Finance Management (PFM) Einzug gehalten. Mit PFM bietet sich den Banken eine echte Gelegenheit, Web 2.0 Elemente mit traditionellen Bankdienstleistungen zu einem neuen kundenorientierten Geschäftsmodell zu entwickeln.

Das Problem dabei ist, dass die meisten Anbieter noch kein vernünftiges Modell für den europäischen Markt zur Hand haben. Aber es gibt auch aufstrebende europäische Anbieter, wie z.B. Meniga.com, die einen Europa-tauglichen Best-practice-Ansatz entwickelt haben. Man darf gespannt sein, wie schnell sich der neue Ansatz hierzulande durchsetzen wird.

Beste Grüße

Hansjörg Leichsenring

http://www.Der-Bank-Blog.de

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