Facebook, Twitter und Location-based Services: Interessiert Datenschutz und Privatsphäre die Digital Natives überhaupt noch?

by Dirk Elsner on 14. März 2011

Am vergangenen Donnerstag las man auf Spiegel Online ein für Diskussionen sorgendes Interview mit Julia Schramm, der Mitgründerin der "datenschutzkritischen Spackeria", eine Website, die bis dahin kaum jemand kannte. Schramm provozierte in dem Interview, in dem sie Privatsphäre als “sowas von Eighties" bezeichnete und für einen anderen Umgang mit persönlichen Daten plädierte. Schramm wird für ihre Aussagen zum Teil beschimpft im Netz. Wer genau hinsieht, der muss aber feststellen, dass sie mit ihrer Diagnose richtig liegt, wenn man auf das reale Verhalten vieler Netzbürger schaut.

Im Angesicht des Booms von Facebook und Co. häufen sich zwar die kritische Stimmen (siehe etwa hier: Facebook und die Folgen: Der transparente Mitarbeiter), die eine Gefahr des Netzes sehen und für den Erhalt Privatsphäre eintreten. Dazu im Kontrast stehen Ansichten der jüngeren Generation, die einen wesentlich pragmatischeren Umgang mit der Privatsphäre propagiert und lebt.

Gern wird gewarnt vor den sozialen Netzwerken als “unerschöpfliche Quelle persönlicher Daten”, die Tür und Tor für den Missbrauch öffnen. Verbunden wird dies mit den Empfehlungen zum vorsichtigen Umgang mit privaten Informationen. Der Klassiker dabei sind stets die Partyfotos, die ein Personalchef einem Bewerber im Vorstellungsgespräch vorhalten könnte und die angeblich zur Ablehnung der Einstellung führen können.

Spricht man darüber mit jüngeren Leute und Personalverantwortlichen unter 40, dann kommt man freilich schnell dazu, dass dieses Beispiel eher zu den modernen Legenden gehört. Die Generation 40+, die – und das ist jetzt etwas zugespitzt – vorwiegend vor diesen Gefahren warnt, hat offenbar noch nicht wirklich verstanden, was sich derzeit im Netz abspielt und vor allem, wie junge Leute damit umgehen.

Mir sagte ein Jugendlicher, den ich nach dieser Thematik fragte: “Warum soll ich private Fotos vor dem Netz verstecken? Wenn ich deswegen bei einem Unternehmen abgelehnt werde, dann ist das Unternehmen auch nicht richtig für mich. Auch der Personalchef feiert ganz sicher ausgelassen mit seinen Freunden. Er zeigt es halt nur nicht.”

Ähnlich skizzierte die Süddeutsche über seine Jugendseite jetzt.de die Ansicht der “Digital Natives”: “Es ist uns egal. Und es ist uns auch egal, dass es ein Problem sein könnte. Wir lassen uns auf Partys fotografieren und freuen uns sogar, dass die Bilder sich anschließend im Netz wieder finden, wir dokumentieren unser Leben online, singen peinliche Lieder in YouTube-Clips oder bloggen persönliche Details in Statuszeilen und finden nichts dabei. Vielleicht ahnen wir, dass das nicht der beste aller Wege ist mit der so genannten Privatsphäre umzugehen, aber es ist uns dann doch egal.”

Soll man heute einen Bewerber, der gute Noten vorweist und einen Top-Eindruck hinterlässt, nur deswegen ablehnen, weil er sich vor fünf Jahren auf der Abifeier mit seinen Kumpels in “Lloret De Mar” unvorteilhaft hat fotografieren lassen? Das wäre ein fataler Fehler, insbesondere weil die Zahl der Bewerber jährlich zurück geht.

Der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg hat daher möglicherweise Recht, wenn er die Ära der Privatsphäre für beendet erklärt. “Die Leute finden es normal, nicht nur mehr Informationen unterschiedlicher Art zu teilen, sondern auch offener und mit mehr Leuten”, zitierte ihn die FTD. “Diese soziale Norm ist etwas, das sich mit der Zeit verändert hat.”

Die Generation 40+ wird sich noch gut an die Diskussion um die Volkszählung in den 80er Jahren erinnern. Damals fällte das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil (Urteilstext hier) und definierte das “Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Die junge Generation definiert heute diese informationelle Selbstbestimmung anders (siehe etwa hier Philip Brechler) als die älteren Semester. Viele junge ´Menschen geben heute deutlich mehr persönliche Informationen auf SchülerVZ, Facebook und Co preis, als die damalige Volkszählung zu erheben wagte.

Einige mögen dies für überspitzt halten, aber wir befinden uns bereits mitten in einer Trendwende im Umgang mit persönlichen Daten. Es wird daher dringend Zeit, diesen Kulturwandel nicht einfach nur skeptisch und ablehnend zu begleiten, sondern sich aktiv damit auseinander zu setzen. Natürlich bedeutet dies nicht, sorglos mit dem Datenschutz umzugehen und das Firmennetzwerk für Jedermann zu öffnen. Vielmehr sollten wir zunächst einfach zur Kenntnis nehmen, dass ein immer größer werdender Teil der Gesellschaft Privatheit und Transparenz neu und vor allem anders definiert.

Schweigen und Intransparenz werden zunehmend als Schwäche ausgelegt. Firmen mit unzureichender Webpräsenz, die außerdem jeden öffentlichen Dialog mit ihren Kunden verweigern, werden es in den nächsten Jahren immer schwerer haben. Die Schlagworte vom “Schweigen ist Gold” oder “Wissen teilt man nicht” werden künftig nicht mehr verstanden werden.

Es geht hier nicht um die Verharmlosung von Gefahren, die durch den Missbrauch von Daten drohen, sei es durch Identitätsdiebstahl, Cybermobbing, Erpressung oder Betrug. Hier muss das Strafgesetzbuch angepasst und die Rechtsprechung umgestellt werden. Unternehmen sollten aber bedenken, dass die Digital Natives mit einer offenen Form der Information und Kommunikation aufwachsen. Verschlossenheit, Intransparenz und mangelnde Einbeziehung werten sie mittlerweile als Ausschlusskriterium. Anders ausgedrückt, niemand bewirbt sich bald mehr bei einem Unternehmen, dass seine Fassade bei Google-Streetview hat pixeln lassen.

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