Dokumentation: Wall Street und die Finanzkrise: Anatomie eines finanziellen Kollaps auf 6.500 Seiten

by Dirk Elsner on 15. April 2011

Der Blick Log hat schon häufig beklagt, dass in Deutschland in der Politik kein Interesse an einer parlamentarischen Aufarbeitung der Finanzkrise besteht. Während bei jeder vermeintlichen Verfehlung eines Ministers nach einem Untersuchungsausschuss gerufen wird, schweigen die Parlamentarier, wenn es um die Untersuchung der Ursachen und Folgen des größten finanziellen Desasters seit der Weltwirtschaftskrise geht. Dies ist um so erstaunlicher, weil wir Steuerzahler weiter für hunderte Milliarden Euro für Banken und Staaten haften und ein erneuter Zusammenbruch des immer noch sehr fragilen Finanzsystems nicht ausgeschlossen ist.

In den USA dagegen geht die Aufarbeitung munter weiter. Am vergangenen Mittwoch veröffentliche ein Untersuchungsausschuss des Senats und Vorsitz des Senators Carl Levin den umfangreichen Untersuchungsbericht “Wall Street and the Financial Crisis: Anatomy of a Financial Collapse”. Der 639 Seiten umfassende Bericht sorgte auch in Deutschland für Schlagzeilen, weil hier einige US-Geschäftspraktiken der Deutsche Bank aufgearbeitet wurden.

Die Krise war keine Naturkatastrophe,” zitiert Spiegel Online das Fazit des Berichts, “sondern das Resultat hochriskanter, komplexer Finanzprodukte, verdeckter Interessenskonflikte und des Versagens der Aufsichtsbehörden, der Rating-Agenturen und des Markts selbst.“

Aber nicht nur der Bericht ist ein “Exiting Read” für die Aufarbeitung. Mit dem Bericht werden 5.900 Seiten Dokumentationen geliefert. Das übertrifft selbst das Material, dass die Financial Inquiry-Kommission (FCIC) geliefert hat. Levin und seine Kollegen liefern stappelweise maschinell durchsuchbares Original-Material. Wer der Quellen zur Deutschen Bank sucht, der wird fündig in den Anhängen S. 5.460 bis 5.901.

Eine Anmerkung zum von Spiegel Online negativ vorgeführten Händler Greg Lippmann der Deutschen Bank: Ich halte die Kritik für vollkommen überzogen, weil gerade Lippmann vor der Hypothekenkrise sehr frühzeitig und intensiv gewarnt hat. Gregory Zuckerman, leitender Redakteur für das Wall Street Journal , schrieb in “The Greatest Trade Ever” ebenfalls über die Geschäfte dieses Händler der Deutschen Bank. Er hat gegen den Rat aber letztlich mit Erlaubnis seiner Vorgesetzten auf das Platzen der Immobilienblase gesetzt. Ohne Lippmann wäre die Bank wohl deutlich schlechter durch die Finanzkrise gekommen. Freilich könnte man nach der Durcharbeitung der Dokumentation Zuckermanns Dokumentation noch einmal neu bewerten.

Hier die Links zum Report

Presseerklärung von Carl Levin

REPORT – Wall Street & the Financial Crisis – Anatomy of a Financial Collapse

Reaktionen

Spon: US-Bericht zur Finanzkrise – Ohrfeige für die Deutsche Raffgierbank (15.4.11): Amerikanische Banken sind böse, deutsche sind gut? Von wegen. In einem vernichtenden Untersuchungsbericht hat der US-Senat die Schuld führender Geldinstitute an der Finanzkrise entlarvt. Ganz vorne dabei: die Deutsche Bank. Strafrechtliche Folgen dürfte das trotzdem nicht haben.

SZ: Deutsche Bank in den USA „Versuch doch, jemanden übers Ohr zu hauen“: Ramsch-Anlagen für US-Kunden: Die Deutsche Bank fand ihre Produkte selber „Mist“, vertrieb sie aber weiter. Zu dieser massiven Kritik kommt der US-Senat in einem Untersuchungsbericht.

WSJ:  Senate Report Lays Bare Mortgage Mess (14.4.11): Panel Recommends a Range of Remedies for Financial Sector; ‘I Found White Elephant, Flying Pig’

NYT: In Financial Crisis, a Dearth of Prosecutions Raises Alarms (14.4.11): Several years after the financial crisis, no senior executives of major financial institutions have been charged, and a collective government effort has not emerged, The New York Times reports.

Spon:  Bericht zur Finanzkrise –  US-Senat rechnet mit Deutscher Bank ab (14.4.11): “Eine Schlangengrube voller Gier, Interessenkonflikte und Missetaten” – mit scharfen Worten prangert ein US-Senatsausschuss die Rolle der Banken in der Finanzkrise an. Auch die Deutsche Bank wird gebrandmarkt: Ein ganzes Kapitel widmet sich ihren riskanten Hypothekengeschäften.

Housing Wire: Senate report on financial crisis rips regulators, banks, investment firms (13.4.11)

US Senate: Wall Street and the Financial Crisis: Anatomy of a Financial Collapse (13.4.11)

Weiteres Material zur Finanzkrise

Der Blick Log hat weiteres Veröffentlichungen zur Aufarbeitung der Finanzkrise auf dieser Seite zusammen getragen. Zum Einstieg in weiteres Material, insbesondere aus den Jahren 2008 und 2009 hier der Überblick zur Finanzkrise.

nigecus April 16, 2011 um 22:00 Uhr

Diesen Lippmann gibt es wirklich? Dachte beim Big Short Buch wären die Namen erfunden gewesen.
Naja „Aufarbeitung“ wäre in Deutschland ein PR-Super-Gau für die Politik und ihre Koffertrager in den Verwaltungsraten geworden. Da ist es doch besser mit viel Halbwissen/Ignoranz schön klingende Regulierungsvorschriften auszudenken. Ob gut oder verheerend ihre Auswirkungen ist, Hauptsache Opium fürs Volk.
Unsere Politiker (und Beamten) haben das Problem noch nicht mal verstanden, weil Sie keinen Plan über die Praxis im Geld-/Finanz-/Kredit-/Wirtschaftssystem haben (und das sagt einer der auf der Arbeit als Theoretiker verschrieben ist).
Was will man auch von Leuten erwarten, die es noch nicht mal auf die Reihe kriegen Staatseinnahmen mit Staatsausgaben zu matchen… außer Dummgelabere bei Presseterminen…

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