Es war die bisher interessanteste Einladung, die ich erhalten habe, seit ich diesen Blog betreibe. Eine Einladung zu der 4. Lindauer Tagung der Wirtschaftspreisträger, von der ich als Wirtschaftsblogger hätte berichten dürfen. Ich konnte die Ehre dieser Einladung leider so kurzfristig nicht mehr annehmen, weil wir schon länger Urlaub geplant hatten und meine Familie wenig Verständnis dafür gezeigt hätte, diesen am Bodensee zu verbringen und ich vielleicht tagsüber mit Joseph Stiglitz oder George Akerlof gesprochen und abends am Computer gesessen hätte.
Ja, in der Tat bekam ich beim Lesen der Tagungsteilnehmer eine Gänsehaut, weil darunter viele prominente Namen auftauchen. Von morgen bis zum 27.8. werden 18 Wirtschafts-(Nobel)-Preisträger und 370 Nachwuchsökonomen aus 65 Ländern an der Veranstaltung teilnehmen. Die Vorträge, so hieß es in der Einladungsmail, reichen von „The Future of Work in Europe“ (Christopher A. Pissarides) über „Currency Wars, Euro-Mania and the Price of Gold” (Robert A. Mundell) bis zu “Imagining an Economics that Works: Crisis, Contagion and the Need for a New Paradigm” (Joseph Stiglitz). Die Abschlussdiskussion findet am 27. August in der Universität St. Gallen statt: ““From Financial to Debt Crisis – Financial Markets, Fiscal Policy and Public Debt in Europe’s Monetary Union“ mit Robert A. Mundell, Roger B. Myerson, Edmund S. Phelps, Myron S. Scholes, Joseph E. Stiglitz, William R. White.
Ob die Ökonomen in Lindau angesichts der düsteren Stimmung neue Rezepte liefern, weiß ich natürlich nicht. Wenn ich dort gewesen wäre, hätte mich eine Frage besonders bewegt: Warum schafft es die Ökonomie nicht, auf die gegenwärtigen Herausforderungen durch die Finanz- und Schuldenkrise mit einer klaren Empfehlung zu antworten. Stattdessen verirrt sich die professionelle Wirtschaftswissenschaft in einer Vielzahl von Analysen und sich widersprechenden Konzepten.
Gerade deswegen schaut die Ökonomie besonders auf den Vortrag von Joseph Stiglitz. Olaf Storbeck schrieb in seinem Vorbericht zu der Veranstaltung “Stiglitz wird in Lindau ein neues theoretisches Modell vorstellen, das die Wirtschaftskrise besser erklären soll als die bisher gängigen Ansätze.” Ob die Ökonomie damit die Welt retten, bleibt abzuwarten, vielleicht retten sie damit zumindest ihren Ruf, denn der ist ganz schön angeknackst.
Im letzten Newsletter Handelsblatt Ökonomie war schon zu lesen, dass Olaf Storbeck vor Ort sein wird und auf allen Kanälen – Print, Online, Blogs, Video-Interviews – aus Lindau berichtet. Los ging es mit einem Auftaktbericht in der gestrigen Montagsausgabe. Die meisten Vorträge und alle Panels werden wir übrigens auf http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Home als Video on Demand ca. 1h nachdem sie gehalten wurden, online gestellt.
Vorberichte
HB: NobelpreisträgerÖkonomie-Krisengipfel in Lindau: Ab dem heutigen Dienstag diskutieren am Bodensee 17 VWL-Nobelpreisträger und 380 junge Forscher über die Zukunft der Disziplin.
FAZ: Nobelpreisträgertreffen – Lindau wird zum Mekka der Ökonomen: 17 der 38 lebenden Nobelpreisträger für Wirtschaft treffen sich diese Woche in Lindau am Bodensee. Sie wollen über die Zukunft der Weltwirtschaft und der Ökonomik debattieren
Welt: Nobelpreisträger: Versagen der Politik ruinierTt das westliche System: Stagnation und Auseinanderbrechen der Euro-Zone: In einer Umfrage von „Welt Online“ warnen Nobelpreisträger vor den Folgen der Krise.
Berichte aus Lindau
Via Twitter von Olaf Storbeck via @HB_Oekonomie und @Olaf Storbeck sowie
Holger Zschaepitz (Die Welt) alias @Schuldensuehner
Patrick Bernau (FAZ) @PatrickBernau
Pablo Rodriguez (El Mundo) @Suanzes
Ryan Avent (Economist) @ryanavent
Weitere Hinweise gern über das Kommentarfeld
Highlights aus dem kompletten Programm (hier abzurufen):
24.8.
- Prof. Dr. Peter A. Diamond: Search and Macro
- Prof. Dr. Christopher A. Pissarides The Future of Work in Europe
25.8.
- Prof. Dr. Myron S. Scholes Quantitative Finance and the Intermediation Process
- Prof. Dr. William F. Sharpe Post-Retirement Economics
- Prof. Dr. Edward C. Prescott The Current State of Aggregate Economics
- Prof. Dr. Robert A. Mundell Currency Wars, Euro-Mania and the Price of Gold
- Panel „Behavioural Economics“: George A. Akerlof, Robert J. Aumann, Eric S. Maskin, Daniel L. McFadden, Edmund S. Phelps, Reinhard Selten (Chair: Martin Wolf, Financial Times)
26.8.
- Prof. Dr. George A. Akerlof Identity Economics
- Prof. Dr. Roger B. Myerson A Model of Moral-Hazard Credit Cycles
- Prof. Dr. Joseph E. Stiglitz Imagining an Economics that Works: Crisis, Contagion and the Need for a New Paradigm
- Prof. Dr. Reinhard Selten Reaching Good Decisions without Utility and Probability Judgements – The Approach of Bounded Rationality
27.8.
- Panel „From Financial Crisis to Debt Crisis – Financial Markets, Monetary Policy and Public Debt“: Robert A. Mundell, Roger B. Myerson, Myron S. Scholes, William F. Sharpe, William R. White (Chair: Martin Hellwig)
Seh es mir nach, dass hier grade nur mit dem Kopfschüttel.
Es ist keine zwei Monat hat, da gab es den 61. Nobelpreis meeting genauer 26 juni bis 1 juli (Themenschwerpunkt diesmal medizin)
Die hatten nichtmal ansatzweise das mediale Standig wie das jetzige treffen der „Ökonomen“
Was sagt das über Deutschland aus? Was sagt das über den Wert von Nobelpreisen aus?
Was sagt das über Medien aus?
Einfach nur gaga..
Ich erwarte von dem Treffen nicht den großen Erkenntniswurf, vielleicht mit Ausnahme von Stiglitz und Akerlof Wichtig ist es dennoch, weil am ehesten die Aussagen der Top-Ökonomen die Politik erreichen. Das mögen wir bedauern, weil die vielleicht besseren und vor allem kompetenteren Entwürfe so ignoriert werden. Aber so funktionieren Wirtschaft und Politik: Reputation schlägt Kompetenz.
Dummheit: Politik und Religion
„Die Entwicklung vom Herdenmenschen, vom Teilmenschen zum selbständigen Vollmenschen, zum Individuum und Akraten, also zum Menschen, der jede Beherrschung durch andere ablehnt, setzt mit den ersten Anfängen der Arbeitsteilung ein. Sie wäre längst vollendete Tatsache, wenn diese Entwicklung nicht durch Mängel in unserem Bodenrecht und Geldwesen unterbrochen worden wäre – Mängel, die den Kapitalismus schufen, der zu seiner eigenen Verteidigung wieder den Staat ausbaute, wie er heute ist und ein Zwitterding darstellt zwischen Kommunismus und Freiwirtschaft. In diesem Entwicklungsstadium können wir nicht stecken bleiben; die Widersprüche, die den Zwitter zeugten, würden mit der Zeit auch unseren Untergang herbeiführen, wie sie bereits den Untergang der Staaten des Altertums herbeigeführt haben.“
Silvio Gesell (Vorwort zur 4. Auflage der NWO, 1920)
Leider fällt es dem religiös verblendeten Teilmenschen (Untertan), ob „gläubig“ oder „ungläubig“, außerordentlich schwer, zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus zu unterscheiden – die Grundvoraussetzung des Denkens, sofern es das zivilisierte Zusammenleben im weitesten Sinne betrifft:
http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html
Der aktuell beginnende, endgültige Zusammenbruch des noch bestehenden, kapitalistischen Systems (globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) ist somit die Voraussetzung dafür, dass der allgemeine Glaube an dieses System verloren geht, die Religion (selektive geistige Blindheit gegenüber makroökonomischen Konstruktionsfehlern) überwunden und der eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation, die Natürliche Wirtschaftsordnung (Marktwirtschaft ohne Kapitalismus = echte Soziale Marktwirtschaft), verwirklicht werden kann:
http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html
@ Peter Betscher
Richtig. Zudem zieht es die wirklich cleveren Informatiker, Physiker und Mathematiker nach dem Studium natürlich nicht an die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Und nur die könnten dem verlotterten Haufen endlich mal strenge Wissenschaftlichkeit einbläuen.
@Tim – Ökonomie baut ihre ganzen Erklärungsmodelle auf Grundlagen auf, die vor über 200 Jahren entstanden (und damals wohl „richtig“ waren).
Mathematische Biologie kann’s besser, weil ihre Basisannahmen näher an der Realität sind.
Ist für die Koriphäen der Ökonomenzunft ja nicht wirklich lustig, alle Bücher neu zu schreiben….
Die „professionelle Wirtschaftswissenschaft“ besteht aus Erfüllungsgehilfen der staatlichen Gesellschaftsklempner. Sie werden keine probaten Lösungen aufzeigen können, weil sie den freien Markt ablehnen. Lediglich die „Austrians“ bieten vernunftgeprägte Ansätze zur Lösung der Staatskrisen – in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wie heute!
Ich würde vermuten: weil die Ökonomie den Sprung in die Wissenschaftlichkeit noch immer nicht geschafft hat, allen quantitativen Anstrengungen zum Trotz. Sogar die (viel jüngere) mathematische Biologie ist schon weiter bei ihren Anstrengungen, Phänomene der Wirklichkeit zu modellieren und daraus Prognosen abzuleiten.
Es gibt ja mittlerweile verschiedene Versuche hin zu einem Paradigmenwechsel. Überfällig ist der auf jeden Fall. Bis der aber in die Praxis durchgesickert, werden noch viele Jahre vergehen. Einen Konsens für ein neues Paradigma vermag ich allerdings noch nicht erkennen. Aber immerhin finden sich etwa auf der Seite von Peter Brescher einige Ansätze. Daneben gibt es wetere Ansätze.
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