Eurobonds: Der europäische Rechtsbruch interessiert offenbar nicht

by Dirk Elsner on 23. August 2011

Vergangenen Freitag sorgte sich Gabor Steingart im Handelsblatt um die Wirtschafts Europas. In “Scheitert Europa” schreibt er u.a.:

“Für Deutschland kann man ohne Übertreibung feststellen: Nahezu alle Versprechungen, die man den Bürgern gab, wurden gebrochen. Und was noch mehr verstört: Sie wurden und werden mit einer Selbstverständlichkeit ignoriert, missachtet, ja geradezu lustvoll in ihr Gegenteil verkehrt, dass man sich fragt, ob die Regierenden den Bürger zum Narren halten wollen.

Wer an die Schuldenkriterien des Maastricht-Vertrags erinnert, gilt als Störenfried. Wer die Regel zitiert, wonach kein Staat für die Schulden des anderen haften darf, macht sich der Naivität verdächtig. Wer in Kreisen der Berliner Gesellschaft fragt, was denn aus der Unabhängigkeit der Notenbank geworden sei, wird als Trotzkopf empfunden.”

Hier noch einmal zur Erinnerung Artikel 125 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.

(2) Der Rat kann erforderlichenfalls auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Definitionen für die Anwendung der in den Artikeln 123 und 124 sowie in diesem Artikel vorgesehenen Verbote näher bestimmen.

Das europäische Recht ist so eindeutig, dass man tatsächlich fragen muss, warum überhaupt die “Finanzmärkte” den Ruf nach Eurobonds über das geltende Recht stellen. Aktuell arbeiten verschiedene Kreise am Mythos, nur mit Eurobonds lasse sich die Stabilität der Eurozone sicherstellen. Eurobonds seien also sozusagen “alternativlos”.

Trotz der Ablehnung und Kritik an den Eurobonds, befasst sich offenbar die Bundesregierung verstärkt damit, denn nach Informationen von Spiegel Online werden die Kosten schon einmal durchgerechnet.

Ich kann abgesehen vom Rechtsbruch trotz der vielen Beiträge außerdem immer noch nicht erkennen, warum Eurobonds die Lage entspannen sollen. Ich oute mich hier einmal als ganz strenger Verfechter eines extrem marktliberalen Kurses, wie ihn etwa EZB-Direktor Jürgen Stark im Handelsblatt-Interview vertritt: „Euro-Bonds kleistern die Probleme nur zu“.

Die Politik lässt sich derzeit von den “Finanzmärkten” zu sehr treiben und hat sich das selbst eingebrockt. Aber wenn sogar der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer sagt: „Die Politiker müssen die fundamentalen Probleme angehen. Wenn die Regierungen sich weiter von den Märkten treiben lassen, ist die Währungsunion nicht zu retten“, dann sollte das nachdenklich stimmen.

Die “Finanzmärkte” reagieren auch deswegen so erratisch, weil die Politik nicht klar in ihren Aussagen ist. Wenn die Politik sich an die europäischen Regeln halten würde und dies auch nachhaltig so kommuniziert, dann würde das den “Märkten” zwar nicht gefallen, weil sie nun die selbst eingegangenen Risiken tragen müssen, sie würden dies aber mittelfristig akzeptieren.

Nachtrag

Meine persönlichen Bauchmerzen mit Eurobonds hatte ich zuletzt in diesem Eintrag dargestellt. Frank Wiebe stellt heute im Handelsblatt „Sieben Argumente gegen Euro-Bonds“ vor.

enigma August 23, 2011 um 14:36 Uhr

Ich wiederhole hier noch mal einen Konzeptvorschlag, den ich vor Wochen schon mal im Herdentrieb angedeutet habe.

Aufgrund der festgestellten Defizite bei der Einführung der Währungsunion, die sich benennen lassen können als

– die Installierung eines nach demokratischen Verfahren (ein Land, eine Stimme) organisierten Abstimmungsprozesses, der zu einer systematischen Unterlegenheit der Stabilitätsfraktion im EZB-Rat führt,

– der Bias der nationalen Zentralbanken, hauptsächlich die Staatsanleihen des „eigenen“ Staates vorbehaltlos als „Sicherheit“ für die Ausgabe von Zentralbankgeld zu akzeptieren,

– die Bereitstellung von Liquidität sowohl für Außenhandelsdefizite sowie für Kapitalflucht über den bedingungslosen Liquiditätsbeistand des TARGET2-Systems

– die Festlegung des Primärziels des EZB-Systems auf die Erhaltung der Stabilität der Währung, verstanden als 2%-Ziel eines die EURO-Zone umfassenden Preisindex unter Vernachlässigung der wesentlich virulenteren Aufgabe der bonitätstechnischen Überwachung der Kreditinstitute (man erinnere sich an die vergleichsweise Lächerlichkeit der Gründe, wegen derer seinerzeit die Herstatt-Bank in die Pleite getrieben wurde),

ließen sich angesichts der offenbar untauglichen Versuche, eine Stabilisierung der EURO-Zone (furchtbares Wort, klingt nach SBZ) mit Hilfe von „Rettungsschirmen“ zu erzielen in Erwägung folgender Gründe:

– daß die Überschuldung der hamaca-Fraktion (um nicht PIGS zu sagen, dolce far niente ist aber auch nicht schlecht) einer Entlastung bedarf, da sich die erreichten Schuldenstände in Zukunft als zu große Belastung zur Aufrechterhaltung eines friedlichen Gemeinwesens erweisen werden,

– daß die Erfüllung von Verträgen die Grundlage gesellschaftlicher Kooperationsbeziehungen ist

– daß eine Abschreibung von Forderungen gegen die öffentliche Hand eine Abschreibung von Forderungen auch und insbesondere „kleinerer“ Sparer zur Folge hat, die über Lebensversicherungen und Pensionsfonds einen verhältnismäßig großen Anteil an der Finanzierung der staatlichen Defizite hatten (Warum? Na, wegen mündelsicher und so…)

– daß die EURO-Zone finanztechnisch bisher noch nicht in gleicher Weise überschuldet ist, wie die USDollar-Zone, da es eben KEINE EURO-Bonds gibt (was darauf hinweist, daß EURO-Bonds auch nur Zeit kaufen, bis wegen der Gier der hamaca-Staaten auch hier die Überschuldung zum Problem wird, schätze mal 5 Jahre, mehr nicht)

und

– daß die Errichtung einer tragfähigen und nachhaltigen europäischen Währung zwar bisher noch nicht geglückt ist, jedoch die Möglichkeit der Nachjustierung wegen der Nichtexistenz der EURO-Bonds noch immer vorhanden ist,

und in Einsicht der gemachten Fehler folgende stabilitätsgerechten Maßnahmen durchführen:

A) Zur Abwehr der derzeitigen Turbulenzen an den Kapitalmärkten wäre es sachgerecht und erforderlich EINMALIG einen „EURO-Konzeption-Illusionsfonds“ aufzulegen, der von ALLEN Staaten der EURO-Zone einen Teil des Schuldenstandes übernimmt und so die Staatsschuldenquoten tendenziell Richtung Maastricht-konformen 60% drückt. (Wenn Finnland danach bei 20% Staatsschuldenquote ist, muß das auch keinen bedrücken)

B) Zur Konsolidierung der laufenden Defizite könnte dieser Teil der Staatsschulden als ‚consols‘ umgewidmet zu einem „Erinnerungszinssatz“ von 0,1% (alternativ zu 10%, wobei die Zinsgewinne nach Einhaltung der Stabilitätskriterien verteilt werden) von der EZB gehalten werden, die

C) im Gegenzug ihre Vollzuteilungspolitik aufgibt und Zentralbankgeld wieder im Zinstenderverfahren amerikanischen Typs vergibt womit sich automatisch der Zinsfächer, der sich nach der Bonität der jeweiligen Geschäftsbank richtet, wieder aufspreizt, und außerdem die Zunahme des Zentralbankgeldvolumens tendenziell wieder rückgängig gemacht wird.

D) ELA-Fazilitäten dürfen nur zu einem Prohibitivzins von etwa 20% vergeben werden, deren Erträge nach dem Stabilitätskriterium verteilt werden.

E) TARGET2-Kredite werden nicht nach dem EZB-Refinanzierungssatz sondern nach banküblichen Sätzen plus Stabilitätsprämie vergeben.

F) Das „Demokratieproblem“ des EZB-Systems wird dahingehend behoben, daß die Stimmgewichte nach Maßgabe z.B. der Quote am EZB-System bestimmt werden.

(Das mag vielleicht nicht allen gefallen, aber die Ausgestaltung einer stabilitätsorientierten Währungsordnung kann auf diejenigen, die diese ohnehin nur als Plünderungsobjekt ansehen, durchaus verzichten. Denn Geldpolitik ist keine Spielwiese für demokratische Experimente. Hilfreich bei dieser Geschichte ist es sich daran zu erinnern, daß die Unabhängigkeit der deutschen Bundesbank seinerzeit konzipiert wurde, um der deutschen Wirtschaftsentwicklung – jenseits des Föderalstaatsprinzips – einen Hemmschuh zu verpassen, da angenommen wurde, daß konservative Geldpolitik wegen Liquiditätsengpässen das Wirtschaftswachstum bzw. das Wiedererstarken Deutschands behindern würde. Warum ist es anders gekommen? Nun, weil diese Welt halt keine Lust hat nach den Vorstellungen der Quantitätstheoretiker zu funktionieren!)

Möglicherweise tragen diese Fingerübungen dazu bei die Debatte um die EURO-Zone wieder auf die Füße zu stellen und den größten anzunehmenden Unfall – die Etablierung eines EU-Finanzministeriums – überflüssig zu machen. Wo finanzielle Dinge anständig geregelt sind, wird ein „EU-Finanzminister“ entbehrlich. Denn in der Geldpolitik geht es nicht primär darum, wer, wo, wofür, für wen und durch welche Kanäle für welche dubiosen Zwecke man Geld durchschleust, für das man selber nicht verantwortlich zeichnet. Ziel von Geldpolitik ist die Etablierung eines einheitlichen Bonitätsniveaus, welches die Grundvoraussetzung ist, daß interregionale Salden einer Währungsgemeinschaft eben nicht zu strukturellen Defiziten führen. Das verweist darauf, daß nicht Liquidität das Problem ist, sondern die Aufrechterhaltung wertloser Forderungen (wie man es am Beispiel Japan sehr schön studieren kann).

Marsman August 23, 2011 um 11:52 Uhr

Ein ehemaliger Reuters Reporter begann zu rebellieren gegen das was er ‚Fraudcast news‘
nennt. Er hat vor sein Buch dazu gleich frei online zu stellen.

Roy Greenslade der dies im Guardian vorstellte vermerkte dazu:
Some of the chapter headings also point to his concerns – Doorstepping journalism… Europhile turned foul… Fear and greed correspondent… Our democratic delusions.

Sounds like an interesting enterprise and, clearly, he is eager to have as much participation as possible.
http://www.guardian.co.uk/media/greenslade/2011/aug/23/press-freedom-newspapers

Eric B. August 23, 2011 um 08:12 Uhr

In diesem Blog ausgerechnet Steingart zu zitieren, ist wenig glaubwürdig. Der Chef des HB hat erst zur unbedingten Rettung Griechenlands aufgerufen, dann die Vereinigten Staaten von Europa deklariert, dann von einem „Versailles ohne Krieg“ schwadroniert -um sich nun als deutscher Euro-Patriot und Eurobond-Gegner zu outen. – Was den EU-Vertrag betrifft: Er bezieht sich eben auf die EU, nicht aber auf bilaterale Vereinbarungen. Wenn die 17 Länder der Eurozone gemeinsame Bonds einführen wollen und diese nach einem eindeutigen Schlüssel verteilen, ist das m.E. kein Problem. So sieht es übrigens auch eine Mehrheit im Europaparlament und EU-Währungskommissar Rehn. – Letzte Anmerkung: Wie kann man sich ernsthaft als strengen Vertreter eines extrem marktliberalen Kurses bezeichnen und zugleich die „erratischen“ Finanzmärkte kritisieren? Das passt doch nicht zusammen…

dels August 23, 2011 um 13:35 Uhr

@Eric B.
Warum ist es unglaubwürdig Steingart zu zitieren. Ich muss ja nicht immer jemanden zitieren, von dem ich immer und ewig alle Positionen teile. Das oben angeführte Zitat entspricht aber genau meiner Auffassung und ich hätte es nicht besser ausdrücken können.

Ihre rechtliche Wertung teile ich nicht. Hinter dem Art. 125 stand eine klare politische Absicht und ökonomische Notwendigkeit. Diese wird derzeit durch die Eurozone unterlaufen. Ich sehe hier erheblichen Rechtfertigungsbedarf.

Ich kritisiere nicht das eratische an den Finanzmärkten, sondern stelle das oben eigentlich nur fest. Ich kritisiere vor allem, dass sich die Politik von eratischen Märkten treiben lässt.

Guenni7 August 23, 2011 um 00:55 Uhr

Die Eurobonds verallgemeinschaften einfach nur alle Risiken,
und nimmt jedweden Druck von den Ländern, die nicht ordentlich hauswirtschaften.

Mir fällt aber auf, das Du mit dieser m.E. richtigen Meinung in einem anderen
Eintrag den „Wirtschaftswurm“ empfiehlst, der die entgegengesetzte Meinung
vertritt…?

dels August 23, 2011 um 13:37 Uhr

Ja, macht ja nichts das ich den Wirtschaftswurt unten aufführe. Das ist ein sehr guter Blog. Und selbstverständlich bedeutet dies noch lange nicht, dass ich alle seine Positionen teile. Die Sammlung unten soll ja vor allem dazu dienen, sich ein Bild machen zu können. Und für ein möglichst vollständides Bild gehören möglichst verschiedene Sichtweise dazu.

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