Werden Banken „vom Dienstleister zum Bedroher“?

by Dirk Elsner on 5. September 2011

Außer in der Bankbranche selbst und bei einigen Politiker ist überall von aufkommenden Zweifeln am Finanzsystem zu lesen und zu hören. Richtig starke Geschütze fährt mittlerweile auch das Handelsblatt auf, und das in einem Stil, den man sonst nur von der TAZ kennt. Allen voran geht der Chefredakteur der Zeitung, Gabor Steingart, dessen “Polemik” vorvergangenen Freitag die Titelseite zierte:

“Überall, wo echte Menschen echte Produkte herstellen, brummt die Wirtschaft. Doch aber, wo die Finanzexperten der Banken am Werke sind, kommt die Wirtschaft aus dem Knirschen nicht heraus. Der Banker ist vom Dienstleister zum Bedroher geworden.”

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Das sind knackige Worte für die größte Wirtschaftszeitung Deutschlands, die ja einen Teil ihrer Anzeigenerlöse mit der Finanzbranche verdient. Aber hat Steingart recht mit seiner Kritik? Zunächst einmal unterstreicht das Blatt nicht nur in diesem Beitrag, sondern laufend die aktuellen Missstände im Finanzsektor, in dem Eigen- und Fremdbild wohl so weit auseinander liegen, wie nie zuvor.

Ein weiteres Beispiel: Am Montag vergangener Woche verknüpfte der ehemalige Chefredakteur, Bernd Ziesemer, in der Printausgabe die aktuelle Schuldenkrise richtig mit Basel II (ich hatte das zuletzt ausführlich im Juli hier beleuchtet):

„Es waren nicht allein die Verrücktheiten der angeblich so irrationalen Finanzmärkte, die viele europäische Banken in Staatsanleihen getrieben haben, sondern falsche Anreize der Bankenregulierung. Nach den Regeln von Basel II galten Staatsanleihen bisher als vollständig risikofrei. In die vorgeschriebenen Eigenkapitalanforderungen der Bankenging der Bestand an Staatsanleihen mit null ein –solange es sich nur um Papiere in der jeweiligen eigenen Währung des Kreditinstituts handelte. Deshalb konnten griechische Banken lange Zeit wunderbare Kapitalkennziffern melden –schließlich lagen und liegen jede Menge heimischer Staatsanleihen in ihren Büchern.“

Klar, nun könnte man der Politik die Schuld in die Schuhe für falsche Regulierung schieben, freilich hätte die Banken ja nicht alle Freiräume, die ihnen die Regulierung lässt, ausnutzen brauchen. Man hätte nicht einmal ein “vernünftiges” Risikomanagement mit einem funktionierenden Frühwarnsystem benötigt, um hier weniger bestandsgefährdende Risiken einzugehen. Kaufmännische Tugenden, nach denen ein “ordentlicher” Kaufmann seine Risiken zu streuen hat, hätten gereicht.

Wie oben geschrieben, klafft Eigen- und Fremdbild der Finanzbranche weit auseinander. Aktuell hat sich wieder einmal ein Streit entzündet über das Eigenkapital der Banken. Der “IWF befürchtet 200-Milliarden-Loch bei Europas Banken” und sorgt damit für zusätzliche Verunsicherung an den Märkten. Die Begründung des IWF klingt plausibel:

 

“Die Begründung des IWF für seine Einschätzung, die von der offiziellen EU-Linie abweicht: Die Banken bewerteten die Bestände von Anleihen europäischer Schuldenstaaten falsch. Würden sie die tatsächlichen – niedrigeren – Marktpreise zugrunde legen, läge das Eigenkapital der Banken bei bis zu zwölf Prozent weniger.”

Die Banken sehen das naturgemäß anders und wehren sich in Deutschland über ihren Verbandschef, wie hier in einem Interview mit der Welt:

“Nein, das ist im Moment nicht notwendig. Die Banken sind gut kapitalisiert. Schließlich ist in den vergangenen Monaten viel passiert: Schon im Vorfeld der Stresstests wurden rund 50 Milliarden Euro von europäischen Banken aufgenommen. Und die neuen Kapitalvorschriften Basel III sind auf dem Weg. Man tut nicht gut daran, Aufgeregtheiten zu provozieren.”

Tatsächlich wirkt dieses Abbügeln nicht glaubhaft, weil Verbandschef Michael Kemmer den zentralen Vorwurf auf die Politik schiebt:

“Nein, ich kann nicht erkennen, dass in den Banken neue Risiken schlummern. Diese Sorge steht im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise. Dadurch sind Staatsanleihen unter Druck geraten, und rein rechnerisch können so weitere Abschreibungen auf die Banken zukommen. Der Ausgangspunkt der Turbulenzen sind aber die Staatsfinanzen. Auf dieses Thema muss sich die Politik konzentrieren.”

Das sind Sätze, mit denen die Finanzbranche ihr Image immer weiter verschlechtert, und das ärgert mittlerweile auch viele Menschen, die im Finanzsektor arbeiten. Denn tatsächlich hat Kemmer nicht Recht und in den Bankbilanzen schlummmern weiterhin große Risiken. Und natürlich weiß jeder, dass ein ganz zentraler Ausgangspunkt für die kriselnden Staatsfinanzen die vielen direkten staatlichen Hilfen für den Finanzsektor sind und für Maßnahmen zur Eindämmung der wesentlich durch den Finanzsektor zu verantwortenden Wirtschaftskrise.

Drei Jahr nach Lehman und vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise hat sich die Situation nicht verbessert. Wieder droht vom Finanzbereich, die Verunsicherung auszugehen, die nun möglichweiser wieder auf die Realwirtschaft überspringen könnte.

Ich halte zwar die Ängste vor einem Lehman 2 allein schon deswegen für überzogen, weil sich Finanzgeschichte nie wirklich wiederholt. Aber die Banken gehen wieder einmal voran im Misstrauen und schränken die Kreditvergabe untereinander ein. Das Vertrauen, das sie für sich einfordern, haben sie selbst nicht einmal. Wie soll man der Finanzwelt so glauben, dass sie nicht erneut für die reale Wirtschaftswelt vom Dienstleister zum Bedroher wird.  Und auch die Finanzmärkte außerhalb der Bankenbranche traut den Instituten ja offensichtlich nicht, wie vergangene Woche der Economist festgestellt hat. Und wie sonst kann man erklären, dass allein der Wert des US-Unternehmens Apple fast so groß ist wie die Marktkapitalisierung der im EURO Stoxx Index erfassten Banken?

Nachtrag

Josef Ackermann hat sicher nicht diesen Beitrag gelesen, vielleicht aber dem im Handelsblatt. Jedenfall gab es sich heute auf einer Bankentagung ungewohnt selbstkritisch gegenüber der Branche. Das Handelsblatt zitiert ihn u.a. so.:

„Ackermann prophezeit der Bankenbranche trotzdem harte Jahre. „Den Marktakteuren sind gewissermaßen ihre mentalen Modelle abhanden gekommen.“ Und er räumt ein: „Wir als Finanzindustrie haben noch keine wirklich überzeugenden Antworten auf die Fragen der Finanzkrise anzubieten.“ Die Aussichten für das zukünftige Wachstum der Erträge seien „eher verhalten“.

Und Ackermann stimmt auch selbstkritische Töne an: „Gerade wir in der Finanzbranche sind gut beraten, uns an die Brust zu klopfen und darüber nachzudenken, inwieweit die Ursachen in unserer Branche liegen.“ Die Banken müssen nach seiner Ansicht ihr Handeln stärker auf die Bedürfnisse der realen Güterwirtschaft ausrichten. Die Fragen nach der Sinnhaftigkeit manch moderner Finanzprodukte und dem Sekundenhandel mit Wertpapieren würden immer lauter und erforderten neue Antworten. Die Finanzindustrie habe noch keine „wirklich überzeugenden Antworten“ auf die Fragen der Politiker und der Öffentlichkeit zu bieten.“

Ähnliche Selbstkritik hörte man aus der Branche bereits 2008/09, geändert hat sich freilich nichts. Schauen wir mal, ob sich nun etwas bewegt.

 

Beate September 5, 2011 um 12:14 Uhr

Ich glaube die eigentlichen Probleme liegen am Arbeitsmarkt, der Einkommensverteilung, und in einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik (Mehrwertsteuer 3% rauf, Unternehmenssteuern senken, Subventionen erhöhen im gleichen Umfang, ….).

Wenn Deutschland weniger konsumiert als es produziert muß es Länder finden die bereit sind sich zu verschulden.
Sonst muß die Produktionsbasis in Deutschland schrumpfen.
Wenn wir also nicht wollen, da immer weniger Länder bereit sind sich zu verschulden, dass unsere Produktionsbasis schrumpft müssen wir die Einkommensverteilung in Deutschland ändern und unseren Arbeitsmarkt reformieren.

dels September 5, 2011 um 13:04 Uhr

Hallo Beate,
mag sein, dass sie richtig liegen. Aber sie sprechen von makroökonomischen Größen, die sich sich nicht einfach steuern lassen.

Mario Nefischer September 5, 2011 um 08:58 Uhr

„Man hätte nicht einmal ein “vernünftiges” Risikomanagement mit einem funktionierenden Frühwarnsystem benötigt, um hier weniger bestandsgefährdende Risiken einzugehen. Kaufmännische Tugenden, nach denen ein “ordentlicher” Kaufmann seine Risiken zu streuen hat, hätten gereicht.“

Dem kann ich mich nicht anschließen.
1. Für eine gute Risikostreuung bedarf es eben eines „vernünftigen“ Risikomanagements: Ohne Risikomessung keine Feststellung von Risikokonzentrationen, ohne Feststellung von Risikokonzentrationen keine Aussteuerung („Management“) möglich.
2. Risikostreuung alleine hätte nicht gereicht, das zeigen die Probleme der österreichischen Banken. In der Hypo Alpe Adria war wohl die Risikostreuung nicht das Problem, sondern eine Kombination an diversen Ausfalls-, Compliance- und operationellen Risiken. Und bei der Kommunalkredit lag es am Geschäftsmodell: ausschließlich kurzfristige Refinanzierung für langfristige Ausleihungen ->nach Lehmann war das Liquditätsrisiko nicht mehr aussteuerbar. Credit Default Swaps taten ihr übriges dazu.

Ich glaube sehrwohl, dass die Wurzel allen übels in den Regulatorien liegt. Die Gier ist eine zeitlose, menschliche Konstante. Man kann (leider) nicht erwarten, dass Finanzmarktteilnehmer nicht jede Möglichkeit zur Gewinnsteigerung ausnützen – der Moral Hazard ist leider Fakt. Und deshalb gibt’s auch für mich nur eine Lösung dieses Problems: Auftrennung der Großbanken, Stärkung der Regionalbanken.

dels September 5, 2011 um 12:57 Uhr

Hallo Herr Nefischer,

die Aussagen zum Risikomanagement und Frühwarnsystem sind ja nicht so gemeint, dass man auf sie hätte verzichten können. Nur wir haben bereits mit Basel II, MaRisk und vielen anderen Regelungen Vorschriften, von denen man früher geglaubt hat, sie stabilisieren das Bankensystem. Habe sie aber nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Banken mit kaufmännischen Sachverstand etwa hätten ihre Risikoposition gegenüber Staatsschuldnern nicht so hoch geschraubt.

Und ich sehe nicht, dass die Regulierung sich derzeit ändert. Im Gegenteil. Basel III verschlimmert die Situation noch. Dazu demnächst mehr hier.

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