Auszug aus “Die Westerwelle”: Wirtschaft berührt jeden Menschen jeden Tag

by Gastbeitrag on 11. September 2011

Vor einigen Wochen bekam der Blick Log eine Empfehlung zum Buch “Die Westerwelle” (Link führt auf Amazon) von Michael Kaiser. Der Titel hat erst einmal wenig mit dem Noch-Außenminister zu tun, aber viel mit Ökonomie und der Sprache der Wirtschaft. Ich habe mich zum Teil köstlich amüsiert. Kaiser, der als mittelständischer Unternehmer im Anlagenbau tätig, kennt die Wirtschaftspraxis gut und holt zu einem Rundumschlag aus, der sich nicht nur gut liest, sondern der der Wirtschaftssprache auch ihre Geheimnisse entreißt. 

Dr. Michael Kaiser hat dem Blick Log auf Anfrage gestattet, Auszüge aus seinem Buch hier als Gastbeitrag zu veröffentlichen. Heute starten wir mit Kapitel 1 und jeder kann sich selbst ein Bild machen.

 

 

01 Wirtschaft berührt jeden Menschen jeden Tag

Es wird gearbeitet und nach Arbeit gesucht, es wird gekauft und verkauft, es wird von jedem Menschen jeden Tag auf das Massivste Wirtschaftspolitik betrieben und gelebt, und trotzdem glauben die wenigsten Menschen, sich mit diesem Thema auszukennen und mitreden zu dürfen. Es gibt wohl keinen Lebensbereich, indem Zahlen und Fremdworte so bewusst und so geschickt eingesetzt werden, um Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen zu vernebeln und unverständlich zu machen. Das Ziel ist einfach: Wenn ich Wirtschaftspolitik ganz ungeheuer kompliziert darstellen kann, vermeide ich nämlich Einmischung und Widerspruch.

Ich vermeide ganz einfach, verstanden zu werden.

Wenn ich nicht verstanden werde, kannst Du mich auch nicht kritisieren. Ich will als Wirtschaftspolitiker ja nicht Deine Zustimmung. Mir reicht, bescheiden wie ich bin, schon, wenn Du mich in Ruhe weiter machen lässt und mich nicht störst.

Wenn ich zum Beispiel sage, dass jemand, der oder die seinen oder ihren Preis für ein Glas Kölsch unendlich erhöht, irgendwann alleine in seiner oder in ihrer Kneipe sitzen wird, ist das banal. Du wirst fragen, ob so was allen Ernstes an Universitäten als Wissenschaft gelehrt wird.

Wenn ich stattdessen aber darauf hinweise, dass es im Marktsegment bestimmter Brauereiprodukte einen abnehmenden Grenznutzen des Konsumenten in Korrelation mit einer erhöhten monetären Bewertung des angebotenen Konsumgutes gibt, sieht die Sache schon anders aus. Das klingt schwierig und Du liest jetzt ehrfürchtig weiter, was ich wiederum gut finde. Denn dadurch bin ich soeben gefühlter Wirtschaftswissenschaftler geworden. Diese Position gilt es zu verteidigen.

Wenn ich weiterhin sage, die Menschen trinken in der Regel lieber Kölsch statt Alt, werden Leute, die nördlich von Neuss leben, glauben, mir widersprechen zu müssen. Wenn Du mit der gleichen Aussage Zustimmung und ehrfürchtiges Nicken erzeugen willst, musst Du das anders formulieren, zum Beispiel so:

Es ist statistisch erwiesen, dass Großstadtbewohner und Bewohnerinnen in der Altersgruppe 19 – 49 Jahre genau 3,8768 Mal mehr Kölsch als Alt Bier im Laufe ihres Lebens trinken.

Die Zahl ist natürlich frei erfunden, Du kannst sie also beliebig verändern, denn das Entscheidende ist, erstens kann Dir keine und keiner das Gegenteil beweisen, und zweitens bist Du mit dieser Äußerung mit einem Schlag niemand mehr, der oder die willkürlich Quatsch erzählt, sondern Du lieferst Fakten. Fakten sind immer gut in der Wirtschaftsdiskussion, wenn Du weißt, wie Du sie produzierst. Wichtig ist, wenn Du Zahlen verwendest, mach was hinter dem Komma. Circa 4 klingt unwissenschaftlich, wie geschätzt oder geraten. 3,8768 – das klingt fundiert, kompetent, genau erforscht, präzise, das macht es, hinter dem Komma ist die Musik.

Das Ergebnis des Ganzen ist, dass am Ende jeder Irrsinn, wie abstrus er auch sein mag, als wissenschaftlich fundierte geradezu mit mathematisch anmutender Präzision berechnete Erkenntnis verkauft werden kann und die Öffentlichkeit sich in frustrierter Ratlosigkeit zurückzieht. Das ist auch so gewollt.

Besser wäre natürlich, wenn die Öffentlichkeit auch noch beeindruckt zustimmen würde.

Das tut sie inzwischen verständlicherweise nicht mehr. Wenn ich regelmäßig Millionen Schulden und Dauerarbeitslosigkeit als Regierung präsentieren muss, wenn ich regelmäßig von einer Firmenpleite in die nächste Finanzkrise taumele, kann ich zwar mit viel Fremdworten und noch mehr Zahlen die Sache so vernebeln, dass die Öffentlichkeit irgendwann aufgibt und denkt: Kapier ich nicht, aber das vage Gefühl, dass hier was falsch läuft, bleibt. Immerhin.

Dass kaum jemand allgemein verständlich über Wirtschaft redet, liegt also zunächst mal daran, dass die, die darüber reden, gar nicht verstanden werden wollen. Sie wollen Gewerkschaftsbeiträge, Subventionen, Zuschüsse, Kredite oder Wahlstimmen, ganz sicher Verständnis, aber ein Verstehen brauchen sie in etwa so sehr wie einen Haifisch in der Badewanne.

Wie mache ich also wirtschaftliche Zusammenhänge so unverständlich, dass ich meine Interessen gerade dann durchgesetzt bekomme, wenn die Logik und der gesunde Menschenverstand bereits in Tränen ausgebrochen sind und überlegen, welche Selbstmord Methode die Schnellste ist? Wenn meine Forderungen und meine Programme in immer abstruseren Gegensatz zu den Grundgedanken einer Marktwirtschaft oder überhaupt eines tragfähigen Wirtschaftens laufen?

Es gibt da ein paar ganz einfache Tricks. Du kannst Sie alle nach kurzem Training selber anwenden. Alle sind von unzähligen Vorstandsvorsitzenden, Aufsichtsräten, Interessensverbänden und politisch Tätigen getestet und für geeignet befunden worden.

Der erste Trick besteht in der Verwendung von Fremdworten. Es gibt da ein herrliches Beispiel, das ich kürzlich im Internet gefunden habe.

Zunächst mal der Gedanke auf Deutsch und in einfachen Worten: Da bietet jemand im Netz der staunenden Öffentlichkeit an, US – Dollar gegen Euro einzutauschen, und zwar zu einem geradezu bizarr günstigen Wechselkurs. Wer auf diesem Wege reich werden will, muss nur vertrauensvoll einer ihm oder ihr völlig unbekannten Person ganz viele US – Dollar schicken und das Versprechen, dass schon in Kürze ganz viele Euros auf sein oder ihr Konto zurück fließen, folgt umgehend. Da fällt natürlich niemand drauf rein. Also muss ein wenig an der Verpackung des Geschäfts gearbeitet werden.

Zunächst nennt sich der Anbieter oder die Anbieterin fortan erst einmal Dollar Provider oder Dollar Providerin. Das klingt schon mal ganz anders. Zweitens stellt er oder sie ein ganz kompliziertes Vertragswerk ins Netz. Auf Englisch und so, dass es niemand versteht. Mindestens 20 Punkte enthaltend. Kein Passus kürzer als 30 Zeilen. Jetzt wird aus einem dreisten Trickbetrug ein kompliziertes, höchst lukratives Geschäft für kluge Eingeweihte. Die Dummen sind jetzt nicht mehr die, die darauf reinfallen, sondern die, die zu blöde sind, um das Vertragswerk und damit die Geschäftsidee zu verstehen.

Auch im geschäftlichen Alltag hilft die englische Sprache, wenn es darum geht, heiße Luft wertvoll zu verpacken. Mein Erdkundelehrer hat zwar immer behauptet, aus Scheiße könne man kein Gold machen, was auch immer irgendwie einleuchtend klang. Diese These ist aber seit dem Siegeszug der englischen Sprache durch das inländische Wirtschaftsgeschehen völlig überholt. Es fängt im Kleinen an, dass jemand nicht in einer Besprechung ist, das wäre ja ohne größere Bedeutung, nein, er oder sie befindet sich in einem Meeting. Erwartungswerte werden durch Forecastings ersetzt, Ziele durch Targets oder Goals, Amortisierungen werden zu Return of Investments, da wo mittelalterlich strukturierte Menschen noch nach Leistung schauen, wird performt. Das ist die Verpackungsseite des Ganzen. Das Ziel ist erreicht, wenn den Inhalt der Verpackung niemanden mehr interessiert. Am besten reicherst Du das Ganze noch mit vielen bunten Excel Tabellen an, rot steht für schlecht, blau steht für gut, wenn Du Kurven und Graphiken verwenden solltest, was immer zu empfehlen ist. Was Du darstellst, ist übrigens völlig egal. Hauptsache alles, was rot ist, ist Vergangenheit und alles, was blau ist, kennzeichnet die Zukunft.

Aber es gibt immer noch Dinge, die kann ich noch so gut verpacken, die klingen irgendwie nicht gut, Arbeitslosigkeit, Konkurs oder Schulden etwa. Dabei ist das nur eine Frage der Betrachtung. Wenn ich zum Beispiel Massenentlassungen als strukturelle Anpassungsmaßnahmen, einen Konkurs als geordnete Insolvenz in Eigenverantwortung und Schulden als die notwendige Aufstockung des Fremdkapitals erläutere, verschwindet der negative Beigeschmack. Es ist eben ein Unterschied, ob ich a) eine schlechte Nachricht, b) keine gute Nachricht oder c) eine notwendige Anpassungsmaßnahme verkünde.

Jetzt muss ich nur noch erreichen, dass das, was ich tatsächliche mache, nicht das Gehirn meiner Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen, sondern höchstens deren Ohren erreicht. Dazu brauche ich lediglich ein einfaches Übersetzungsprogramm.

Wenn ich zum Beispiel keine Pferdekutschen mehr verkaufen kann, weil seit einiger Zeit Autos produziert werden und ich diese Entwicklung irgendwie nicht mitbekommen habe, bedeutet das in Wirklichkeit, dass meine Absatzerwartungen in Betrachtung kumulierter Zeitverläufe zu korrigieren sind, weil in der finalen Phase des Produktlebenszyklus meines Gutes verstärkt durch externe Anbieter Substitutionsprodukte für logistische Anforderungen einer verstärkten Allokation zugeführt werden.

Stelle Dir jetzt noch das Ganze mit englischen Vokabeln angereichert vor! Ich sehe, wir haben uns verstanden.

Der zweite Trick ist das Arbeiten mit Statistiken, und in diesem Fall gilt, wenn nicht selbst entwickelt, Finger weg, Augen und Ohren zuhalten und bloß nichts glauben. Niemand Geringerer als Winston Churchill hat einmal gesagt, nur den Statistiken darfst Du trauen, die vor ihrer Veröffentlichung von Dir höchstpersönlich gefälscht worden sind. Jedoch, die moderne Wirtschaftswissenschaft erlaubt es, mit Statistiken ehrlicher ja geradezu liebevoll umzugehen.

Kapitel 2 folgt nächsten Sonntag unter dem Titel: Wir basteln uns ein paar Statistiken

dels September 11, 2011 um 13:26 Uhr

Diskussion zu diesem Text hat sich übrigens bei Google+ entfacht
https://plus.google.com/107867733308024650216/posts/9Nf6fvkvcnf?hl=de

dels September 11, 2011 um 10:10 Uhr

@alex Danke für den Hinweis
Ich kenne diese Vermutungen auch. Das ändert ja aber nichts an der Verwendung, zumal dieser Spruch ja Bestandteil der Alltagssprache ist. Und viele wissen nicht einmal, dass Churchill der Spruch zugeschrieben wird.

alex September 11, 2011 um 09:43 Uhr

Das Churchill Zitat ist sehr warscheinlich eine Erfindung der Nazi Propaganda.
Siehe http://www.statistik.baden-wuerttemberg.de/Veroeffentl/Monatshefte/essay.asp?xYear=2004&xMonth=11&eNr=11

Comments on this entry are closed.

{ 2 trackbacks }

Previous post:

Next post: