Auszug aus “Die Westerwelle”: Wir basteln uns ein paar Statistiken (2/2)

by Dirk Elsner on 25. September 2011

Heute geht es weiter mit dem vor zwei Wochen vorgestellten Buch “Die Westerwelle” (Link führt auf Amazon) von Michael Kaiser. Hier folgt der zweite Teil des zweiten Kapitels (Teil 1 hier)

02 Wir basteln uns ein paar Statistiken

Bankangestellte, die bewaffnet mit der Gebrauchsanleitung von Basel II ein Unternehmen bewerten, brauchen erfreulicherweise dieses heute in modernen Zeiten angekommen nicht mehr zu besuchen wie das noch in der Steinzeit üblich war. Sie brauchen sich auch nicht mehr mit der Geschäftsidee, mit den handelnden Personen, mit den Märkten, mit den Produkten und mit anderen Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Um das Unternehmen zu bewerten, müssen lediglich die Eckdaten der Bilanz in den Computer eingegeben und von diesem dann ausgewertet werden. Der Einwand, dass eine Bilanz immer nur die Vergangenheit, aber niemals die Gegenwart und erst recht nicht die Zukunft eines Unternehmens darstellt, wird mit dem unschlagbaren Argument, wonach denn mit vertretbarem Aufwand schließlich sonst bewertet werden soll, gekontert.

Sonst müssten Bankangestellte ja raus fahren und sich die Firma, der Kredite gegeben werden sollen, von innen anschauen!

Denn schließlich kann ich meinen Computer ja schlecht nach seinem allgemeinen Eindruck von der Firma Müller & Co fragen. Ich muss ihn ja mit Zahlen füttern, sonst druckt er mir nichts aus und dann stehe ich nackt da.

Basteln wir uns also eine Bilanz. Die sieht konzeptionell dann so aus:

 

AKTIVA                                                                         PASSIVA

EUR                                                                                          EUR

A Anlagevermögen                     A Langfristige Verbindlichkeiten                        

Eigenkapital

0

Darlehen

0

Maschinen

0

Rückstellungen

0

B Umlaufvermögen                    B Kurzfristige Verbindlichkeiten 

Roh-Hilfs-Betriebsstoffe

0

gegenüber dem Staat

0

Forderungen an   Kunden     

0

gegenüber Banken                   

0

Kasse / Bank                                    

0

gegenüber

Lieferanten

0

C Überschuss                                        C Unterdeckung

des laufenden Jahres

0

des laufenden Jahres

0

Bilanzsumme

0

Bilanzsumme

0

 

Es geht los.

Du hast 500 EUR und kaufst eine Kaffeemaschine für 5.000 EUR. Dafür nimmst Du in gleicher Höhe einen Kredit auf. Weil gelegentliche Reparaturen anfallen können, machst Du für 10 % des Kaufpreises der Kaffeemaschine eine Rückstellung. Am Ende des ersten Jahres hast Du für 50 EUR Kaffee auf Lager, Deine Kunden schulden Dir noch 1.000 EUR und in Deiner Kasse sind 100 EUR.

Leider schuldest Du aber dem Finanzamt noch 1.000 EUR, Dein Konto ist mit 2.000 EUR überzogen und Deine Lieferanten kriegen ebenfalls noch 2.000 EUR von Dir.

 

AKTIVA                                                                         PASSIVA

EUR                                                                                          EUR

A Anlagevermögen                     A Langfristige Verbindlichkeiten                        

Eigenkapital

500

Darlehen

5.000

Maschinen

5.000

Rückstellungen

500

B Umlaufvermögen                    B Kurzfristige Verbindlichkeiten 

Roh-Hilfs-Betriebsstoffe

50

gegenüber dem Staat

1.000

Forderungen an    Kunden     

1.000

gegenüber Banken                   

2.000

Kasse / Bank                                    

100

gegenüber

Lieferanten

2.000

C Überschuss                                        C Unterdeckung

des laufenden Jahres

0

des laufenden Jahres

-3.850

Bilanzsumme

6.650

Bilanzsumme

6,650

 

Das Ergebnis wird Dich natürlich nicht gerade beliebt bei Banken,  Geschäftspartnern und Geschäftspartnerinnen machen. Du musst handeln.

 

Damit meine ich natürlich nicht, dass Du irgendetwas an Deiner Firma ändern sollst oder dass Du künftig mehr Kaffee kochen oder billiger einkaufen oder was ganz anderes machen musst. Nein, Du musst Deine Bilanz in Ordnung bringen. Also erst mal lackierst Du die Kaffeemaschine neu und nennst sie künftig Ultimate Automatic Coffee Production Line (UACPL). Damit verdoppelst Du ihren Wert. Dann erhöhst Du Deine Forderungen, indem Du in der letzten Dezember Woche Kaffee an Obdachlose verteilst und denen eine Woche später entsprechende Rechnungen übergibst mit dem Hinweis natürlich, dass sie sich keinen Stress machen sollen, weil sie die erst dann bezahlen müssen, wenn sie wieder Wohnung und Arbeit haben und dann zufällig in der Gegend sind. Damit verdreifachst Du Deinen Forderungsbestand. Schließlich erhöhst Du den Wert Deiner Kaffeevorräte auf 200 EUR, weil Du im neuen Jahr weniger Pulver pro Tasse verwenden wirst, zu viel Koffein ist schließlich auch ungesund und als Nebeneffekt wirst Du mit Deinen Vorräten immerhin viermal so viel Kaffee verkaufen wie bisher. Das wird zu Reklamationen führen und folglich wirst Du Deinen Lieferanten die Hälfte ihrer Forderungen abziehen, was Deine Verbindlichkeiten an diese auf 1.000 EUR reduziert. Gegen die Steuerforderung legst Du Widerspruch ein und bewertest diese Verbindlichkeit damit als zweifelhaft und somit nur noch zu 50 %. Du kannst nach Fertigstellung der Bilanz den Widerspruch ja immer noch zurück ziehen. Sehen wir uns jetzt das neue Ergebnis nach dem ersten Jahr Deiner Geschäftstätigkeit an:

 

AKTIVA                                                                         PASSIVA

EUR                                                                                          EUR

A Anlagevermögen                     A Langfristige Verbindlichkeiten                        

Eigenkapital

500

Darlehen

5.000

Maschinen

10.000

Rückstellungen

500

B Umlaufvermögen                    B Kurzfristige Verbindlichkeiten 

Roh-Hilfs-Betriebsstoffe

200

gegenüber dem Staat

500

Forderungen an

Kunden     

3.000

gegenüber Banken                   

2.000

Kasse / Bank                                    

100

gegenüber

Lieferanten

1.000

C Überschuss                                        C Unterdeckung

des laufenden Jahres

-4.800

des laufenden Jahres

 

Bilanzsumme

9.000

Bilanzsumme

9.000

 

Du hast aus einem Verlust einen ganz ordentlichen Überschuss gemacht und Deine Bilanzsumme gleichzeitig erhöht. Du bist sicherlich zufrieden, Deine Bank ist es und Deine Geschäftspartner und Partnerinnen sind es auch.

 

Du bist wirklich zufrieden?

 

Nein, Du bist es nicht. Du hast zwar jetzt eine Super Bilanz, aber das bedeutet auch, dass Du Super Steuern zahlen musst, Gewerbesteuer, Einkommenssteuer und was sonst noch Alles in Frage kommt. Also musst Du noch mal an die Arbeit. Der Überschuss muss exakt an den Punkt, wo die Grenzwerte der abnehmenden Zufriedenheit der Bank (wegen Verschlechterung der Einstufung von Dir) und der zunehmenden Unzufriedenheit des Finanzamtes (wegen Verschlechterung der Steuer Einnahmen durch Dich) übereinstimmen. Die Banken nennen Einstufung übrigens lieber Rating. Das ist zwar das Gleiche, klingt aber komplizierter (Du erinnerst Dich hoffentlich noch an das einleitende Kapitel des Buches). Also – zurück zur Bearbeitung Deines ausgewiesenen Überschusses: Das kriegst Du ganz einfach hin. Weil Du ja nicht mehr eine Kaffeemaschine, sondern eine UACPL betreibst, wird jede und jeder einsehen, dass Du eine höhere Rückstellung für Reparaturen und Verschleiß, als eben noch vorgesehen, bildest. Das Neunfache ist absolut angemessen. Wirf kurz noch einen Blick auf die neue Bilanz, die jetzt so aussieht: 


 

 AKTIVA                                                                         PASSIVA

EUR                                                                                          EUR

A Anlagevermögen                     A Langfristige Verbindlichkeiten                        

Eigenkapital

500

Darlehen

5.000

Maschinen

10.000

Rückstellungen

4.500

B Umlaufvermögen                    B Kurzfristige Verbindlichkeiten 

Roh-Hilfs-Betriebsstoffe

200

gegenüber dem Staat

500

Forderungen an   Kunden     

3.000

gegenüber Banken                   

2.000

Kasse / Bank                                    

100

gegenüber

Lieferanten

1.000

C Überschuss                                        C Unterdeckung

des laufenden Jahres

-800

des laufenden Jahres

 

Bilanzsumme

13.000

Bilanzsumme

13.000

 

Die Bilanzsumme hat sich jetzt schon gegenüber der Ursprungsbilanz verdoppelt, Dein Überschuss ist steueroptimiert und es bleibt nur, Dir das Beste für eine erfolgreiche Zukunft zu wünschen.

 

Du hast den richtigen Start gemacht.

 

Erinnerst Du Dich daran, wie zu Beginn der Finanzkrise 2009 plötzlich täglich neue Wertberichtigungen und damit immer höherer Finanzbedarf von betroffenen Geldinstituten gemeldet wurden? Wie viele große sich als im Grundsatz kerngesund präsentierende Firmen den Staat auf einmal um vorübergehende Hilfe baten und nach einer eingehenden Bilanz- und Konzeptanalyse plötzlich nackte Panik bei den Beteiligten auslösten und immer ein viel höherer Kapitalbedarf als eigentlich geplant dabei heraus kam?

 

Du siehst, dass Dein kreativer Bilanz Ansatz Vorbild für großes ist.

 

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