Eckpunkte des Credit Managements (Teil 4): Wie man Bonität der Kunden ermitteln kann

by Dirk Elsner on 27. Oktober 2011

Wir haben im dritten Teil dieser Beitragsreihe gelesen, dass sich die Fähigkeit eines Kunden, seine Verbindlichkeiten vereinbarungsgemäß zu begleichen, nicht zweifelsfrei aus verfügbaren Daten ermitteln lässt. Es kommt freilich aus Sicht des Unternehmens nicht darauf an, für den einzelnen Kunden stets richtig zu liegen, sondern darauf, unter statistischen Aspekten zutreffend die Bonität der Mehrheit der eigenen Kunden annähernd richtig zu schätzen.

Die Bonität, also die Fähigkeit eines, seine Verbindlichkeiten vereinbarungsgemäß zurück zahlen zu können, ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu bietet die umfangreiche Literatur und Praxis der Finanzanalyse vielfältige Beurteilungsindikatoren, mit deren Wiedergabe und Erklärung sich unzählige Seite füllen ließen.

Gern empfohlen werden quantitative Faktoren, wie eine Cash-flow-Analyse oder die  dynamische Kennzahlenanalyse. Und selbstverständlich sind qualitative Faktoren ein wichtiges Kriterium. Eine Auswahl von Indikatoren mit weiteren Literaturhinweisen habe ich vor einiger Zeit in einer Mindmapreihe meines Blogs zusammen gefasst (1. Erfolgssituation, 2. Liquiditätslage, 3. Bilanzsituation).

Diese Kriterien ließen sich beliebig erweitern. Solche und ähnliche Aufstellungen finden sich in vielen Büchern zur Bontitätsbewertung und Kreditwürdigkeitsprüfung. Ihr größter methodischer Fehler ist, dass die Daten vergangenheitsbezogen sind oder einem gewissen Grad subjektiver Wertung unterliegen. Die Schwäche ist nicht tragisch, man sollte sie sich nur zwischendurch bewusst machen und stets mit Überraschungen rechnen. Ergänzend ist es für große Forderungsbeträge empfehlenswert, in die Bewertung eine Finanzplanung für die nächsten Monate und Jahre einbeziehen zu können. Freilich werden einem Kunden, diese Informationen eher selten zugänglich machen.

Ein Dilemma der Analyse bleibt, dass sich daraus nicht widerspruchsfrei ein Bonitätsurteil ableiten lässt. Rating-Agenturen und Auskunfteien versuchen dies durch statistische Verfahren (Stichwort Diskriminanzanalyse) zu heilen. Dazu werden die statistischen Merkmale ins Verhältnis gesetzt zu den Zahlungserfahrungen in der Vergangenheit. Jedoch liegen selbst professionelle Bonitätsspezialisten nicht immer richtig mit ihren Einschätzungen.

Für die meisten Unternehmen lohnt es dennoch nicht, solche aufwendigen Berechnungen selbst anzustellen, zumal dazu umfangreiches Datenmaterial erforderlich ist. Daher macht es Sinn, Bonitätseinschätzung extern einzukaufen. Ich empfehle aber dringend, diese Urteile individuell zu prüfen und ggf. korrigieren. Dazu sollte man eigene Kenntnisse zum Schuldner und die eigenen Zahlungserfahrungen mit dem Kunden, wie etwa Zahlungsgeschwindigkeit und die Ausnutzung von Linien berücksichtigen.

Da es ohnehin keinen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kriterien und dem Ausfall der Forderung gibt, halte ich es für ausreichend, die Kunden selbst auf Basis der ggf. korrigierten externen Bonitätsurteile mit Hilfe eigener Werturteile zu klassifizieren. Viele Unternehmen nennen das Expertenschätzung. Ich würde dazu nicht mehr als 5 bis 7 Ausfallklassen einrichten und diesen Ausfallwahrscheinlichkeiten zuordnen. Das könnte zum Beispiel so aussehen:

Klasse

Beschreibung

Wahrscheinlichkeit für Forderungs-ausfall in den nächsten 3 Jahren

1

Ausfall der Forderung ist höchst unwahrscheinlich, sehr gute Unternehmensdaten, mit denen auch Konjunkturkrisen und längere Verlustperioden überstanden werden können, sehr gute Zahlungserfahrung (keine Mahnungen, sehr schnelle Bezahlung, Limit kaum in Anspruch genommen)

< 0,5%

2

Ausfall der Forderung ist unwahrscheinlich, gute Unternehmensdaten, die Verluste überstehen, kritisch bei dauerhafter Anhäufung von Verlusten, sehr gute Zahlungserfahrung (keine Mahnungen, schnelle Bezahlung, Limit wenig  in Anspruch genommen)

0,5% < P < 1%

3

Ausfall der Forderung eher unwahrscheinlich, jedoch nicht ausgeschlossen, zufrieden stellende Unternehmensdaten, mit denen auch Verluste überstanden werden können, kritisch bei Anhäufung von Verlusten, gute Zahlungserfahrung (vereinzelt Mahnungen, zeitweise schleppende Bezahlung, Limit wird oft in Anspruch genommen)

1% < P > 2%

4

Ausfall der Forderung möglich, mangelhafte Unternehmensdaten, befriedigende Zahlungserfahrung (häufige Mahnungen, schleppende Bezahlung, Limit in großen Umfang in Anspruch genommen und zum Teil überzogen)

2% < P < 5%

5

hohe Wahrscheinlichkeit für Ausfall von Forderungen, ungenügende Unternehmensdaten, sehr schlechte Zahlungserfahrung (häufige Mahnungen bis zu gerichtlichen Mahnverfahren, Limite überzogen)

5% < P < 10%

6

sehr hohe Wahrscheinlichkeit für Ausfall von Forderungen, Bilanz deutet Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit an, sehr schlechte Zahlungserfahrung (Rechnungen werden nicht mehr gezahlt)

10% < P

7

Zahlungsunfähigkeit,
Insolvenzverfahren eröffnet

ausgefallen

     

Wie gesagt, dies ist nur ein Beispiel für eine Klassifizierung. Es sind andere Stufen, andere Beschreibungen, andere Zeiträume und andere Wahrscheinlichkeitszuordnungen denk- und begründbar.

Im fünften und letzten Teil dieser Serie wird es darum gehen, wie man mit diesen Informationen steuern kann.

Diesen Beitrag habe ich ursprünglich für die Webseite der CFOWorld geschrieben.

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