Soziale Austauschtheorien als Erklärung für menschliches Verhalten in Gesellschaften

by RalfKeuper on 15. November 2011

Die Theorie des sozialen Austauschs, als deren Hauptvertreter Peter M. Blau (http://bit.ly/rCSJkE) und George Caspar Homans (http://bit.ly/v0uVnb) genannt werden können, erlebte in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre eigentliche Blütezeit.

Insbesondere Peter M. Blau griff dabei auf die Erkenntnisse der Anthropologie zurück, wie sie u.a. von Marcel Mauss ("Die Gabe" http://bit.ly/rQOmyP), James Frazer ("Der goldene Zweig" http://amzn.to/solRU7) oder Claude Lévi-Strauss (http://amzn.to/tsrlx3) veröffentlicht wurden. Demnach lassen sich schon in den archaischen Gesellschaften erste Formen des "sozialen" Austauschs beobachten. Anders als der ökonomische Austausch von Gütern und Dienstleistungen, der erst mit Aufkommen der Marktwirtschaft zu "dem" beherrschenden Transaktionsmechanismus avancierte, beinhaltet der soziale Austausch, nach heutigem Sprachgebrauch, eher "weiche" Faktoren, wie soziale Anerkennung, Status, Rechte, Information, Motivation etc. In archaischen Gesellschaften beispielsweise konnte eine Person ihren überlegenen sozialen Rang einer anderen gegenüber dadurch geltend machen, indem sie den Empfänger mit Geschenken überhäufte. Der Empfänger bzw. der Beschenkte stand dann vor der Herausforderung, sich für die erhaltenen Gaben in mindestens demselben Umfang zu revanchieren, wollte er nicht in der sozialen Rangordnung zurückfallen. Daraus wird u.a. auch deutlich, dass es den sozialen Austausch in Reinform nicht gibt, da auch immer ökonomische Faktoren in die Bewertung der Transaktion durch die Tauschpartner miteinfließen und vice versa.

In seinem Hauptwerk "Exchange and Power in Social Life" (http://bit.ly/rHvYHV & http://amzn.to/vF2PEf) charakterisiert Peter M. Blau den sozialen Austausch wie folgt:

"Social Exchange can be observed everywhere once we are sensitized by this conception to it, not only in market relations but also in friendship and even in love, as we have seen, as well as in many social relations between these extremes in intimacy. […] The institutionalized form the exchange of gits frequently assumes in simpler societies highlights the two general functions of soical as distinct from strictly economic, exchange, namely, to establish bond of friendship and to establish subordination over others."

Insofern bilden die sozialen Austauschprozesse den "Kitt" einer Gesellschaft. Über die sozialen Austauschprozesse erhalten die Interaktionen der Mitglieder einen Rahmen. Mit dem Eintritt in eine soziale Austauschbeziehung schlägt, überspitzt formuliert, die Geburtsstunde des Menschen als einem anerkannten Mitglied der Gesellschaft. Wichtiger Bestandteil zur Aufrechterhaltung einer sozialen Austauschbeziehung ist die Reziprozität, d.h. es werden für Leistungen entsprechende Gegenleistungen erwartet, ohne dass diese im vorhinein genau spezifiziert werden. Blau bezeichnet diesen Zusammenhang dann auch als den Startmechanismus einer sozialen Interaktion:

"The need to reciprocate for benefits received in order to continue receiving them serves as a "starting mechanism" of social interaction and group structure, als Gouldner has pointed out. When people are thrown together, and befor common norms or goals or role expecations have crystallized among them, the advantages to be gained from entering into exchange relations furnish incentives for soical interaction, and the exchange processes serve as mechanisms for regulating social interaction, thus fostering the development of a network of social relations and a rudimentary group structure. […] Social exchange, whether it is in this ceremonial form or not, involves favors that create diffuse future obligations, not precisely spedified ones, and the nature of the return cannot be bargainde about but must be left to the discretion of the one who makes it." (ebd.)

Bedingt dadurch, dass die "Vertragsinhalte" in sozialen Austauschbeziehungen nicht genau bezeichnet werden und im Ermessen des Interaktionspartners liegen, stehen am Anfang einer Tauschbeziehung eher kleine "Investitionen", die bei einem erfolgreichen Verlauf ausgedehnt werden können. Wesentlich hierfür ist das Maß an Vertrauen, dass der Tauschpartner in sein Gegenüber setzen kann. Insofern ist das Vertrauen von entscheidender Bedeutung für die Aufnahme sowie die Fortführung einer sozialen Tauschbeziehung.

 

"Since there is no way to assure an appropriate return for a favor, social exchange requires trusting others to discharge their obligations. .. Typically, however, exchange relations evolve in a slow process, starting with minor transcations in which little trust is rrequired because little risk is involved." (ebd.)

Für Blau liegt der Unterschied zwischen einer "klassischen" ökonomischen und einer sozialen Austauschbeziehung im hier dargestellten Sinne u.a. darin, dass bei letzterer Faktoren mit deutlichem Bezug zu ethischem Verhalten prägend sind:

"Only social exchange tends to engender feelings of personal obligation, gratitude, and trust; pureley economic exchange as such does not" (ebd.)

Nach Blau entzieht sich die Bewertung einer sozialen Austauschbeziehung damit weitgehend einer Betrachtung nach monetär messbaren Kosten-Nutzen-Aspekten:

"Since social benefits have no exact price, and since the utility of a given benefit cannot be clearly separated from that of other rewards derived from a social association, it seems difficult to apply the economic principles of maximizing utilities to social exchange". (ebd.)

Wenngleich eine exakte Messung der Belohnungen und Kosten, die aus sozialen Austauschbeziehungen resultieren, nicht möglich ist und das Verhalten der Interaktionspartner dem Maximierungsprinzip zumindest auf den ersten Blick, nicht zu unterliegen scheint, spielen Kosten-Nutzen Betrachtungen hierbei sehr wohl eine Rolle.

Belohnungen, die im Rahmen einer sozialen Austauschbeziehung gewährt werden können, sind soziale Anerkennung (z.B. persönliche Hilfestellungen, Motivation, persönliche Fürsprache), Status (z.B. Entscheidungsbefugnisse), Rechte (z.B. Konzessionen, Landnutzung), Schutz (z.B vor physischen Übergriffen) sowie die Gewährung des Zutritts zu Kreisen, die hohe soziale Belohungen garantieren (vgl. das symbolische Kapital von Pierre Bourdieu http://bit.ly/vdNq5i). Zu den Kosten, die im Verlauf einer sozialen Austauschbeziehung anfallen, zählen die entgangenen Möglichkeiten durch die Unterordnung unter die Normen einer bestimmten Gruppe und damit ein möglicher Verlust, wenn auf die "falsche" Gruppe mit ihrem Anführer gesetzt wurde (vgl. "The Social Psychology of Groups" von Thibaut & Kelley http://bit.ly/vEiozR). Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass für einen Interaktionspartner bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Tauschpartner die Attraktivität der Gruppe und deren Anführer von herausragender Bedeutung ist, was zu offenen oder verdeckten Konflikten führen kann.

"There is a conflict between the obligations to repciprocate and the obligation to accept favors, since the only way an individual who is not in a position to reciprocate appropriately for benefits offered to him could protect himself against the dire consequences of lack of reciprociation would be not to accept the offers. Yet this combination of two apparantlly incompatible conditions is what makes it possible for largess to become a source of superordination over others, that is, for the distribution of gifts and services to others to be a means of establishing superiority over them. […] The underlying assumption is that the chief´s leadership provides important benefits to the community, and their tribute to him, both in the form of valuables and in the form of deference, is a repayment of their continuous indebtedness to him. Instiutionalized power commands services which a superior can use to provide benefits to subordinates insufficient for establishing equality with the superior. Unilateral giving procedures status differences between fomer peers. but once superior status is securely grounded in the social structure its occupant can demand unilateral services without endangering his superordinate status". (ebd.)

Neben den interpersonellen sind es für Blau auch die intrapersonellen Konflikte, die eine soziale Austauschbeziehung schwer belasten können. Durch die Anerkennung des höheren Ranges eines Übergeordneten und die Eingliederung in die seiner Führung unterliegenden Gruppe, gibt das Individuum einen Großteil seiner Autonomie ab. Das wiegt um so schwerer, je weniger Alternativen dem Individuum zur Verfügung. stehen. In archaischen, ihrem Ursprung nach geschlossenen Gesellschaft ist deren Anzahl sehr überschaubar. Damit kann von Wahlfreiheit, wie sie für eine offenen Gesellschaft kennzeichnend ist, kaum die Rede sein.

Trotz der genannten Einschränkungen hat die Theorie des sozialen Austauschs m.E. noch nicht ausgedient, da sie vieles zur Erklärung von Mechanismen beitragen kann, die für ein Fortbestehen einer Gesellschaft von ebenso großer Bedeutung sind wie rein ökonomische Faktoren, nicht zuletzt auch deshalb, da beide Tauschformen einander bedingen bzw. miteinander verwoben sind.

RalfKeuper November 16, 2011 um 08:30 Uhr

Soeben entdeckt: „Social Exchange of Cultural Capital
A Study of Knowledge Power on Twitter“ http://prezi.com/vzykb9wismma/social-exchange-of-cultural-capital/ Podcast: http://cobra4.open.ac.uk/DTMD2011/Audio/Session%203/Horan.mp3

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