Eine kleine Ökonomie des Opportunismus oder wie JP Morgan Jefferson County in die Pleite trieb

by Dirk Elsner on 16. November 2011

Ende vergangener Woche war zu lesen, dass die BayernLB 52 Mio. US$ an die US-Kommune in Jefferson verliehen hat. Jefferson County steht mittlerweile vor der Pleite.  Mich interessiert heute nicht die Frage, warum ausgerechnet eine deutsche Landesbank so intensive Geschäfte mit einer US-Kommune betreibt (vielleicht liegt es daran, dass dort auch Oktoberfest gefeiert wird). Spannender finde ich eher, dass hier JP Morgan kräftig mitgeholfen hat, die Gemeinde „auszusaugen“. Das Handelsblatt beschrieb dies am vergangenen Freitag so:

“In Jefferson County investierte man in ein neues Abwassersystem, dessen Verbindlichkeiten nun rund drei Milliarden Dollar der Gesamtverschuldung ausmachen. Um das Abwassersystem zu finanzieren, wählte man eine komplizierte Struktur aus Anleihen und Derivateabsicherungen, die inmitten der Finanzkrise kollabierte und zu steigenden Zinskosten führte. Heute kennt man den Grund dafür, warum der Distrikt diese Art der Finanzierung wählte: Der ehemalige Commissioner Larry Langford hatte sich bestechen lassen und wurde dafür bereits verurteilt. Zwei Banker von JP Morgan sehen sich derzeit einem Rechtsstreit mit der Finanzmarktaufsicht SEC gegenüber, die ihnen vorwirft, Freunden von Langford acht Millionen Dollar an versteckten Zahlungen verschafft zu haben. JP Morgan selbst zahlte in einem Vergleich mit der SEC 722 Millionen Dollar. “

Eine etwas ausführlichere Darstellung dazu bieten der Wall Street Examiner und In the Public Interest. Die Anklageschrift der SEC gegen die Mitarbeiter von JP Morgan ist hier zu finden.

Die keineswegs neuen Erkenntnisse über JP Morgan sind ein passendes Beispiel für Intransparenz und opportunistisches Verhalten. Gerade der Opportunismus gehört ja zu den Verhaltensannahmen der “Neuen Institutionenökonomik”, die ich  zu den Grundlagen meiner ökonomischen Denke zähle. Oliver Williamson hat bekanntlich den Opportunismus für die Ökonomie salonfähig gemacht. Sabine Greindl und Petra Hiermansperger schreiben dazu im Arbeitspapier “Opportunismus in der Neuen Institutionenökonomik”:

Williamson versteht unter Opportunismus:

 “Allgemeiner gesagt, bezieht sich Opportunismus auf die unvollständige oder verzerrte Weitergabe von Informationen, insbesondere auf vorsätzliche Versuche, irrezuführen, zu verzerren, verbergen, verschleiern oder sonst wie zu verwirren. Er ist für Zustände echter oder künstlich herbeigeführter Informationsasymmetrie verantwortlich“ (WILLIAMSON 1990, S. 54)

“WILLIAMSON definiert Opportunismus als eine Art der Verfolgung des Eigeninteresses. Er unterscheidet bei der Verfolgung des Eigeninteresses die drei Stufen Opportunismus, schlichte Verfolgung von Eigeninteresse und Gehorsam. Dabei stellt Gehorsam die schwächste Form dar. Hier tendiert die Verfolgung des Eigeninteresses gegen Null. Als halbstarke Form sieht WILLIAMSON die schlichte Verfolgung des Eigeninteresses. Diese erfolgt regelgebunden und bei voller Transparenz über die jeweiligen Interessen. Es wird ehrlich informiert und einmal abgegebene Versprechen werden auch gehalten. Die stärkste Form bei der Verfolgung des Eigeninteresses, die dem Transaktionskostenansatz zugrunde gelegt wird, ist der Opportunismus (ganzer Absatz: WILLIAMSON 1990, S. 53f.).”

Der Opportunismus hat erhebliche Konsequenzen, wie Greindl und Hiermansperger erläutern:

“Die Bereitschaft eines Wirtschaftssubjektes, sich Vorteile, gegebenenfalls auch auf Kosten des Kooperationspartners, zu verschaffen ist eine entscheidende Ursache für Verhaltensunsicherheit bei der Abwicklung von Geschäften. Würde es keinen Opportunismus geben, könnte man grundsätzlich von regelgerechtem Verhalten ausgehen. In einer Kooperation entsteht Verhaltensunsicherheit, da beide Partner über Handlungsspielräume verfügen von denen der Kooperationspartner nicht automatisch erwarten kann, dass sie im Sinne der Partnerschaft ausgefüllt werden. So gibt es a priori keine vollständige Sicherheit darüber, ob der jeweilige Partner die verabredeten Ziele der Zusammenarbeit tatsächlich verfolgt. Ein zentrales Risiko dabei ist der Opportunismus (DOLLES 2005, S. 5 f.).”  

Bezogen auf Jefferson hat der konkrete Fall einen erheblichen Vertrauensschaden angerichtet, den sich JP Morgan zurechnen lassen muss. Für Banken insgesamt entsteht ein Problem daraus, weil immer wieder solche Fälle auftauchen und für erhebliche Unsicherheit bei Kunden sorgen. Im Zweifel werden sie vielleicht sogar sinnvolle Geschäfte nicht abschließen, weil das Vertrauensverhältnis gestört ist. JP Morgan hat zwar durch das Verhalten einen kurzfristigen Erfolg realisiert, jedoch mittel- und langfristig erhebliche Kosten erzeugt.

Literatur:

WILLIAMSON, O. E., Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, Unternehmen, Märkte, Kooperationen. Tübingen 1990.

DOLLES, H., Spielt Vertrauen eine Rolle? Analysen deutsch-japanischer Unternehmenskooperationen. Working Paper 02/5. Tôkyô 2002

Rene November 16, 2011 um 14:51 Uhr

Sehr schöner Artikel, aber der Normalbürger kann das alles überhaupt nicht einschätzen und muss einfach mit den Folgen leben.

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