Wofür steht eigentlich Hollande in der Wirtschaftspolitik?

by Dirk Elsner on 23. April 2012

François Hollande en déplacement à Pierrefitte sur Seine, , en Seine Saint Denis pour aborder la thématique de la lutte contre la violence et le décrochage scolaire. Le 13 janvier 2012. ©Benjamin Boccas pour FRANCOISHOLLANDE2012

Foto: Flickr/Fotostream von Francois Hollande CC-Lizenz

Letzte Woche fragte mich Wolfgang Michal, ob ich nicht einmal etwas über die Wirtschaftspolitischen Ansätze der Hauptkonkurrenten bei den französischen Präsidentschaftswahlen schreiben wollte. Ich musste abwinken, weil ich mich so gut wie gar nicht mit der Wahl in Frankreich befasst habe. Nun lese ich in den Schlagzeilen vom Sonntag Abend, dass die ersten Ergebnisse François Hollande auf Erfolg hoffen lassen. Da muss ich erst einmal durchatmen. François Hollande? Ja, über den ich habe ich schon gelesen, aber eigentlich habe ich ihn ignoriert, weil ich nicht geglaubt habe, dass er Sarkozy ablösen könnte. Dabei stehen die Zeichen schon länger auf Hollande (siehe DRADIO: „François Hollande ist der klare Favorit“)

Nun zeigt der erste Wahlgang, dass man sich mit Hollande befassen muss, er liegt nach den aktuellen Hochrechnung knapp vor Nicolas Sarkozy. Und Hollande werden gute Chancen für die Stichwahl am 6. Mai eingeräumt werden. Leider kann ich weder französisch sprechen noch lesen und kann mir so kein Urteil aus Originalquellen machen. Deswegen habe ich mich am Sonntag Abend ein wenig auf die Suche gemacht.

Hollande ist Sozialist und einige Punkte seiner Agenda hat hier die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen gefasst:

“Einen Tag vor Sarkozy hatte Hollande einen Katalog mit insgesamt 35 Maßnahmen vorgestellt, die er noch in seinem ersten Amtsjahr umsetzen möchte. Auf seiner Agenda stehen vor allem eine strengere Regulierung der Finanzbranche und mehr soziale Gerechtigkeit. Im Zuge einer Steuerreform will er einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent auf Jahreseinkommen von über 1 Million Euro einführen. Die Mehreinnahmen will Hollande in das Bildungssystem stecken und damit neue Arbeitsplätze finanzieren. Es sollen 60.000 neue Lehrerstellen und 150.000 staatlich finanzierte Jobs für Berufsanfänger entstehen. Auch will er für Arbeitnehmer, die 41 Beitragsjahre vorweisen können, wieder die Möglichkeit einführen, bereits mit 60 Jahren in Rente zu gehen. Sein erklärtes Ziel ist es, bis 2017 den französischen Haushalt auszugleichen. “

Eine Frage, die man sich unweigerlich stellt ist, wie würde eine Zusammenarbeit der so wichtigen Achse Paris – Berlin aussehen. Merkel hat sich ja unglücklicherweise im Wahlkampf hinter Sarkozy gestellt. Nun scheint es, als müsse sie sich hier mit einem neuen Partner arrangieren. Besteht nun Grund zur Panik für Europa?

Dem Handelsblatt gab Hollande jüngst ein Interview, das hier nachgelesen werden kann. Er will den Fiskalpakt neu verhandeln und ergänzen durch Maßnahmen, die Wachstum und Beschäftigung begünstigen. Während das noch nachvollziehbar ist, stimmen mich inhaltliche Punkte skeptisch. Hollande will in geübter französischer Tradition massiv Industriepolitik betreiben und Europa an einigen Stellen umkrempeln. Er ist für “Project-Bonds“ und versteht darunter europäische Investitionen und zusätzliche Darlehen der Europäischen Investitionsbank für industrielle Vorhaben, Energie und Infrastruktur. Ob er damit auch Eurobonds will, weiß ich nicht. Ich bin strikt gegen Eurobonds und gegen jede gemeinsame Haftung für Aktivitäten, deren Entscheidungen einzelstaatlich verantwortet wurden.

Für sehr bedenklich halte ich seine Position, dass er die Europäische Zentralbank noch stärker instrumentalisieren will, etwa um Spekulation gegen Staatsfinanzen zu bremsen. Das lässt fröhliche Runden zwischen Deutschland und Frankreich erwarten. Das Wall Street Journal befürchtet gar, dass ein Sieg für Hollande die Finanzmärkte erschüttern könnte. Das ist interessant, denn eigentlich wünschen sich ja die Finanzmärkte noch stärkere Interventionen der EZB und am liebsten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Ich würde allerdings auch damit rechnen, dass die Finanzmärkte erst einmal verunsichert auf Hollande reagieren. Sie werden wir wir alle ein paar Tage brauchen, um sich an seine Positionen zu gewöhnen.

Ansonsten ist Hollande gegen die Schuldenbremse, will aber den Staatshaushalt ausgleichen, gleichzeitig mit staatlichen Maßnahmen das Wachstum fördern. Kassieren will er dafür unsinnige Steuergeschenke im Umfang von 40 Mrd. Euro. Das klingt gut. Mit 5 Mrd. Euro will er kleine und mittelgroße Betriebe stützen und dieses Geld einsparen bei den Hilfen für Großunternehmen und Banken. Klingt auch gut. Er will aber auch eine europäische Wirtschaftsregierung, wie im Interview mit seinem Kampagnenleiter, dem Europaabgeordneten Stéphane Le Foll, auf die Euros zu lesen ist. Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung lehne ich übrigens strick ab, sie ist das genau Gegenteil von dem Subsidiaritätsprinzips, mit dem uns in den 1990er Jahren Europa zu schmackhaft gemacht worden ist.

Ein Knaller ist, dass er Einkommen ab 1 Mio. Euro mit 75% besteuern will. Damit könnte es erhebliche Probleme geben, vor allem wenn das auf Unternehmen angewendet werden sollte, was ich nicht glaube. Hier wird man mal auf die Details schauen müssen, aber ein solcher Grenzsteuersatz ist heftig und wird ganz sicher nicht die Investitionsneigung erhöhen. Ich muss hier wirklich mal in die neoliberale Mottenkiste greifen, aber warum soll ein mittelständischer Unternehmer hohe Risiken eingehen? Wenn er Erfolg hat und tatsächlich die Mio.-Grenze knacken sollte, dann nimmt ihm der Staat 3/4 der Gewinne ab 1 Mio. weg. Nein. Das passt nicht, zumal er ja auf den persönlichen Risiken sitzen bleibt. Kein Wunder also, dass die Unternehmen abgeschreckt sind.

In einem Porträt bezeichnet ihn das Handelsblatt als nüchtern, bedächtig, ohne Starallüren, manchen zu langweilig oder gar zu schlaff. Das sind alles keine wirklich nachteiligen Eigenschaften. Sarkozy war zuletzt ein opportunistischer Showmensch. Andererseits versuchen neue Kandidaten steht mit Bodenständigkeit und Ehrlichkeit zu punkten, in der politischen Praxis ändert sich das schnell (Paradebeispiel Barack Obama). Warum das bei Hollande anders sein soll, wird mir keiner erklären können.

Als vorläufiges Fazit würde ich sagen: Er wird erst einmal schwieriger mit Hollande in Europa. Angela Merkel wird “Spaß” mit ihm haben. Immerhin sieht Hollande die Bedeutung der deutsch-französischen Achse und will zuerst Deutschland im Fall der Wahl zum Präsidenten besuchen. Frau Merkels Diplomanten-Stab ist vermutlich schon im Rotationsmodus, um das durch Merkels Wahlhilfe für Sarkozy angekratzte Verhältnis zu Hollande zu kitten.

Ich bin gespannt, wie die Finanzmärkte heute reagieren. Genau hinschauen sollte man auf den Kurs des Euros, der gestern schon ein wenig gefallen ist und auf die Risikoprämien für französische Anleihen bzw. überhaupt die Anleihekurse in der Eurozone. Ich halte es für möglich, dass es hier rumpelt. Andererseits könnten die Finanzmärkte schon am Freitag mit einem Sieg Hollandes gerechnet haben oder noch darauf hoffen, dass Sarko in zwei Wochen den Spieß noch einmal umdreht.

Diskutiert mit mir die mögliche Wirtschaftspolitik Hollandes über Twitter oder Google+.


Lesehinweise Sonderseite auf Dradio zur Frankreichwahl

Auf der Seite der Deutschen Welle gibt es weitere interessante Beiträge

Ist Hollandes Europa-Kritik ein Marketing-Trick?

Hollande und Le Pen punkten bei Präsidentschaftswahl

„Hollande möchte außenpolitisch nicht alles kaputt machen“: Interview Hollande-Berater mit Bezug zu Wirtschaft)

„Das Modell Deutschland passt nicht für uns“: interessantes Interview einer Wirtschaftsexpertin zum Reformbedarf in Frankreich)

Revolution nach „deutschem Modell“ Reformideen bei den Gewerkschaften / Autoindustrie)

Kommentar Deutsche Welle: Die Abwahl Sarkozys

 

Eric B. April 23, 2012 um 20:16 Uhr

Sorry, aber diese Analyse ist enttäuschend. Wofür Hollande steht, konnte man schon seit Wochen wissen. Er ist ein typischer liberaler Sozialist französischer Prägung, der viele scheinbar schlimme Sachen fordert bzw. verspricht, es am Ende aber besser machen wird als Sarkozy. Bereits unter dem sozialistischen Premier Jospin wurde mehr privatisiert und liberalisiert als zuvor unter dem Gaullisten Juppé. Hollande will sich an die Sparvorgaben aus Brüssel halten, sie allerdings um ein Wachstumsprogramm ergänzen. Seine Projektbonds sind ein alter Hut, den die EU-Kommission bereits vor einem Jahr vorgeschlagen ist. Sein Wachstumsfokus ist auch nicht neu; OECD und IWF fordern nichts anderes. Die Anleger und Märkte sollten sich besser informieren, bevor sie sich wieder selbst Angst und alles noch schlimmer machen.! Übrigens steht Hollandes Erfolg im 1. Wahlgang für einen Trend in ganz Euroland: überall verlieren Merkels allzu unterwürfige Partner! http://lostineurope.posterous.com/merkels-fluch

Dirk Elsner April 23, 2012 um 20:24 Uhr

Moin Eric,
das ist hier ein Blog. Ich kann doch keine tiefe politische Analyse hier leisten und will das auch gar nicht. Ich zeige hier nur, wie ich mich dem Thema nähere. Bis gestern habe ich nicht eine Sekunde Zeit für Hollande verwendet. Und ich schätze mal viele andere Leute auch nicht.

nurmalso April 23, 2012 um 11:34 Uhr

Dirk,
Peter Diamond et al. al haben ein paper im Journal of Econ Perspectives, in dem sie den optimalen Steuersatz für die USA – Steuermaximierung unter Beachtung der Ausweichreaktionen, i.e. Elastitizitäten – berechnen. Für die oberste Einkommensklasse ist das um die 70%.
http://pubs.aeaweb.org/doi/pdfplus/10.1257/jep.25.4.165

Im Studium hatten wir mal als Übungsaufgabe die theoretische Herleitung der Laffer-Kurve aufzuzeigen. Neoliberaler geht’s nun wrklich nicht. Mit den empirischen Werten für Elastizitäten etc. (für Mitte 90er USA) kam man auch auf Werte weit jenseits der 60%.

Volkswirtschaftliches Wehklagen über Hollande in diesem Punkt halte ich daher eher für falsch (Klar, ich kenne jetzt nicht die französischen Daten.) Daß die Reichensteuer so kommt, glaube ich aber trotzdem nicht 😉

Bezüglich ener formellen Wirtschaftsregierung stimme ich Dir einerseits zu. Andererseits gibt es ja schon eine institutionelle Lücke bezüglich der Koordinierung der Wirtschafts- und Finazpolitiken im Euroraum. Diese Lücke wird momentan durch ad hoc Entscheidungen auf Gipfeln gefüllt. Hat auch nur bedingt was mit dem Subsidiaritätsprinzip zu tun. Eine Diskussion bezüglich funktunionalen Anforderungen und demokratischen Implikationen wäre m.E. sehr begrüßenswert.

Daniel Florian April 23, 2012 um 08:48 Uhr

In der Süddeutschen Zeitung von heute waren einige interessante Artikel zur Frankreich-Wahl. Ein wichtiger Punkt um die scheinbar extremen Forderungen der Kandidaten zu verstehen ist das Wahlsystem: weil es in der ersten Runde viele Kandidaten gibt, war es eine erfolgversprechende Strategie für Hollande, möglichst extreme Forderungen zu machen, um etwa dem Linken Mélenchon das Wasser abzugraben. Vor diesem Hintergrund ist die 75%-Steuer zu sehen. Vor dem zweiten Wahlgang wird man allerdings sehen, dass sowohl Hollande als auch Sarkozy in die Mitte rücken. Also: es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, vor allem, wenn der Koch gerade im Wahlkampf ist!

alex13wetter April 23, 2012 um 08:06 Uhr

Moin,

lesenswert auch der Artikel dazu v. Thomas Fricke in der FTD: http://www.ftd.de/politik/europa/:thomas-fricke-nur-keine-angst-vor-hollande/70025013.html
Er hat keine Angst vor Hollande (DAX und Euro im Moment schon) 😉

vera April 23, 2012 um 01:43 Uhr

@marsman
Vom französischen Standpunkt ist interessant, wer Le Pens Stimmen bekommt, da sind auch viele Linke dabei.

vera April 23, 2012 um 01:41 Uhr

Chirac ist damals™ mit ähnlichen Ambitionen angetreten. Er hat etwa zwei Jahre durchgehalten. Die französische Industrie ist sehr mächtig.

Marsman April 23, 2012 um 01:36 Uhr

Eine vielleicht doch nicht so unwichtige Rolle könnten in weiterer Folge die
Wahlen für die Nationalversammlung und den Senat (zweite Kammer) spielen.
Französische Präsidenten agieren gerne mit als „republikanische Monarchen“,
wie zuletzt Sarkozy aber in demokratischen parlamentarischen Alltag bedarf es
dann halt doch der Abstimmung im Parlament. Aus diesem Grund können die
Bedenken jetzt, wie soweit zurecht geäussert, sich dann zerstreuen.

Die Medienberichterstattung und Kommentierung lässt da wieder mal ziemlich zu
wünschen übrig. U.a. wegen der Aufregung den vielen Stimmen für Marine Le Pen.
Bei früheren Wahlen hat sich regelmässig herausgestellt dass es dabei vielfach
nur um Proteststimmen im ersten Wahldurchgang ging. Auch was die Rechte
betrifft wird sich dies bei den Wahlen der beiden Kammern, den Abgeordneten
zeigen. Es könnte auch diesmal wieder so wie bei früheren Wahlen.

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