Verändert der Wahlsonntag die Tektonik Europas?

by Dirk Elsner on 7. Mai 2012

Earthquake Fault

Erdbebenspalte (Foto: flickr/sevenblock)

Als ich am Sonntag Morgen durch die Presseseiten im Web surfte, da hatte ich nicht den Eindruck, dass Europa vor einem großen Umbruch steht. Dabei ließen bereits die Prognosen der Wahlergebnisse für Griechenland, Frankreich und vielleicht auch Schleswig Holstein durchaus den Schluss zu, dass sich die europäische Tektonik verschiebt.

Und vielleicht haben sich die politischen Parteiplatten sogar im Vorfeld verzogen. Tektonische Verschiebungen finden ja zunächst unter der Oberfläche und im Verborgenen statt. Und erst wenn die Spannungen zu groß werden, nehmen wir sie erschrocken durch Beben und manchmal sogar durch Vulkanausbrüche war. Plötzlich geht nach dem Beben ein Riss durch eine Landschaft, durch die man früher entspannt spazieren konnte.

Aber jetzt zunächst zu den Ergebnissen, die hier jeweils zusammen gefasst sind:

 

 

Wahl Meldungen
Präsidentschaftswahl Frankreich Lost in Europe: „Der Wandel beginnt jetzt“HB: François Hollande ist neuer französischer Präsident
Parlamentswahlen Griechenland HB: Wahlerfolge für Extremisten Politisches Erdbeben in Griechenland
FAZ: SPD-Spitzenkandidat Albig: „Die Schleswig-Holstein-Ampel steht“
Landtagswahlen Schleswig Holstein HB: Kein klarer Sieger Zitterpartie in Kiel
Kommunalwahlen Italien noch keine Meldungen
Parlamentswahlen Serbien FR: Wahl in Serbien: Das große Karussell
Parlamentswahlen Armenien SZ: Russlandfreundliche Partei gewinnt die Wahl

 

Mich bewegt derzeit die aus den Ergebnissen vor allem der Wahlen in Frankreich und Griechenland vielfach gestellt Frage, ob mit den dortigen Regierungen auch Merkels Sparparadigma abgewählt wurde. Wenn sich die praktische Politik in Griechenland, Frankreich und vielleicht bald auch Holland gegen die in den letzten zwei Jahren sehr mühsamen europäischen Beschlüsse und gegen den Geist der Rettungsprogramme wendet, dann könnte es ungemütlich brodeln in Europa.

Wenn nun etwa das neu gewählte griechische Parlament sich mehrheitlich gegen den Sparkurs und gegen die Sanierung des Landes richtet, könnte die in den letzten Jahren in quälenden Verhandlungen erreichten Hilfen für Griechenland implodieren. Wer kann Griechenland schon zwingen, die Bedingungen einzuhalten, die an die Zahlungen aus den Rettungsfonds geknüpft waren? Klar, Griechenland würde dann keine weiteren Hilfstranchen mehr erhalten, die bisherigen Gelder wären verloren und in der Folge würde Griechenland wohl aus dem Euro austreten müssen und/oder eine echte Staatsinsolvenz hinlegen mit noch unbekannten Konsequenzen.

Ökonomisch, so Bernd Ulrich vergangene Woche in der ZEIT, “wäre das mittlerweile vielleicht sogar zu beherrschen, doch würde die Legitimation für weitere Rettungsschirme zugunsten anderer europäischer Länder erheblich sinken.” Ich halte die Aussage für gewagt, denn die Konsequenzen solcher Risse lassen sich nicht voraussagen.

In Frankreich hat Hollande vor der Wahl ziemlich auf die Tonne gehauen. Wofür Hollande in der Wirtschaftspolitik steht, hatte ich bereits vor zwei Wochen geschrieben. Ob Hollande den “industriepolitischen Sozialismus” wirklich so umsetzen wird und damit den offenen Konflikt mit Europa und vor allem Deutschland sucht, ist offen. Jedenfalls steht die deutsch-französische Achse ganz schön unter Spannung.

Vermutlich werden die Schlagzeilen heute und in den nächsten Tagen auf “Gefahr für Europa und Deutschland” stehen. Freilich wird vor den Wahlen und unmittelbar danach stets viel Dampf gemacht. Das ist klar, Wahlen bringen zunächst einmal Veränderungen und Unsicherheit über die praktischen Konsequenzen dieser Verschiebungen.

Meist wird aber anschließend auf Realpolitik umgeschwenkt, die mehr oder weniger (polit-)ökonomischen Kalkülen folgt. So hofft die FAZ etwa, dass die Ratingagenturen Frankreich auf Sparkurs halten werden. Eric Bonse hat in dem Beitrag “Spiel mit der Angst” heraus gearbeitet, dass Deutschland darauf setzt, Frankreich durch “die Märkte” zu disziplinieren.

Klar, der deutsche Sparkurs ist international umstritten und wird von vielen Ökonomen angegriffen. Es geht dabei letztlich um einen Glaubenskrieg, wie die Krise überwunden werden kann: Mit noch mehr Geld oder mit konsequentem Sparen (das Stichwort ist hier Austeritätspolitik), wie sie vor allem aus Deutschland favorisiert wird.

Deutschland, und das ist die eine Platte der Tektonik, wird sich aber nicht von der Austerität abbringen lassen können. Die Bevölkerung, so zumindest mein gerade durch eine aktuelle Umfrage bestätigter Eindruck, unterstützt die deutsche Politik eines (Achtung Worthülsenalarm) “verantwortungsbewussten Umgangs” mit den Rettungsgeldern. Auch die in die Parlamente drängenden Piraten etwa lehnen die europäischen Rettungsschirme ab. Eine Abkehr von den Sparanforderungen, also die andere Platte der Tektonik, würde die Regierungsparteien weiter schwächen und zu großen Spannungen führen. Nicht auszuschließen ist, dass diese Spannungen sich in einem Beben zwischen Deutschland und den Nachbarn entladen und zu einer (Ab-)Spaltung führen. Wie stark ein solches Beben werden könnte, lässt sich aber kaum vorhersehen.

Die Finanzmärkte haben die Wahlausgänge übrigens schon vergangene Woche verunsichert. Ich fürchte, das wird heute weiter gehen. Ich empfehle dazu den Kommentar von Gerald Braunberger: “Politik und Finanzmärkte wachsen immer weiter zusammen. Die Beteiligten verstehen sich allerdings nicht immer sehr gut. Beide Seiten unterschätzen sich häufig gegenseitig.”

Marsman Mai 7, 2012 um 03:06 Uhr

Hierzu wäre vielleicht auch ein Rückblick auf die letzten vier, fünf Jahre ganz
interessant.
War es nicht so dass 2008 und 2009 ein völlig überraschender Kurswechsel
stattfand wegen der Finanzkrise. Bis dahin haben die Banken eigentlich recht
staatsfeindlich agiert, machten dies lange Zeit zu propagandastischen Schlagworten,
neben dem Dogma von den Märkten. Sie präsentierten sich als die Hühner die goldene Eier legen und was immer schaffen, Arbeitsplätze, usw..

Dann haben die Meinungsmacher zugeschlagen. Erst mal die Zentralbanken als
die Doofen, Unfähigen, hingestellt, die zu dumm und unfähig wären auf die
Finanzkrise zu reagieren, diese aus der Welt zu schaffen.
Und dann haben urplötzlich, das geschah recht plötzlich, die führenden Politiker
die Rolle als Retter entdeckt. Sie hatten damit eine neue und sehr wichtige Rolle,
gefielen sich darin. Sarkozy war wesentlich daran beteiligt, das gefiel ihm
plötzlich.
Und jetzt hat vor allem mal eine ganz enorme Zunahme der Staatsschulden,
und damit eine wesentlich höhere Verpflichtung der Steuerzahler.

Und irgendwie hat man einen Phrasensalat, oft genug Begriffsverwirrung für
den die Medien zuständig sind.
Und in Frankreich gibt es eine stets weiter fortschreitende Medienkrise.
U.a. wurde Anfang dieses Jahres France Soir als Druckausgabe eingestellt,
sie hatte zuletzt nur noch eine künstlich aufrecht gehaltene Auflage von
20 000, bis es dann eben den dem letzten Eigentümer, einem Franko – Russen
zu teuer wurde. (Von wegen einflussreichen, mächtigen Eliten!)

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