Zum Finanzblog Award auf der re:publica: Schaffen es die Wirtschaftsblogs aus der digitalen Nische?

by Dirk Elsner on 2. Mai 2012

Heute reise ich zusammen mit egghat vom Blog Die wunderbare Welt der Wirtschaft nach Berlin zur re:publica 12. Dort werden am frühen Abend die Gewinner des Finanzblog Award 2012 der Comdirect bekannt gegeben. Ich gehöre zwar mit egghat zu den 11 nominierten Blogs, rechne mir aber gegen die Schwergewichte aus kommerziellen Medien nur Außenseiterchancen aus. Dennoch freue ich mich über die Einladung und den erstmaligen Besuch der #rp12. Dort lässt sich bestimmt der eine oder andere online geknüpfte Kontakt auch offline vertwittern.

Vor der Preisverleihung findet eine Podiumsdiskussion statt unter dem Titel “Finanzblogs: Raus aus der digitalen Nische?!”. Das ist eine prächtige Steilvorlage, die Marc Schmidt bereits in “Finanzblogs 2012 – Wohin geht die Reise?” genutzt hat. Man merkte beim Lesen, dass Marc tief in der Szene steckt. Er hat mir jedenfalls in vielen Passagen aus dem Bloggerherzen gesprochen. Dazu gleich mehr.

Vorab zum Blick auf die Vielfalt der Wirtschaftsblogosphäre hier die Mindmap der deutschsprachigen Wirtschaftsblogs. Unten auf Vergrößern klicken oder diesen Link nehmen.

Befinden sich Finanzblogs überhaupt in einer digitalen Nische? Auch ohne statistisches Material beantworte ich die Frage mit einem klaren und eindeutigen Ja. Finanz- bzw. Wirtschaftsblogs gehören nicht zum Mainstream und längst nicht zu den am besten besuchten Blogs in Deutschland und Europa. Ein Grund dafür liegt sicher darin, dass Wirtschaft- und Finanzen ausgerechnet in Deutschland auch im Mainstream nicht zu den populären Onlinethemen gehören.

Marc nennt außerdem die Themenvielfalt als eine Bremse der Vernetzung. Wir Wirtschaftsblogs vernetzten uns in der Tat über Beiträge und Kommentar-Ping-Pongs vergleichsweise schlecht. Wirkliche und dann auch noch kontroverse Debatten finden selten statt (Ausnahmen wie LTRO, Target, Facebook bestätigen dies letztlich nur). Marc sieht als eine Ursache, dass es zu viele Themen gibt und die Blogs untereinander nicht immer Anknüpfungspunkte finden. Ich sehe das ähnlich. Es ist ausgesprochen selten, dass zwei oder drei Wirtschaftsblogger die gleichen Themen und dann auch noch ganz aktuell aufgreifen. Meist schreibt man aneinander vorbei.

Manchmal sehe ich nicht einmal, mit welchen Themen sich ein anderer Wirtschaftsblog befasst hat. Ich habe mir zwar vor längerer Zeit einen RSS-Feed der Wirtschaftsblogs gebastelt, scanne den aber zu unregelmäßig. Grund ist ein Zeitproblem und vielleicht eine Portion Egoismus. Mich interessieren nämlich erst einmal meine Themen, zu denen ich Lust habe, etwas zu schreiben. Stoße ich dabei auf Beiträge anderer Wirtschaftsblogs, nehme ich das gern auf. Für Reflection-only-Beiträge anderer Blog fehlt mir schlicht die Zeit und auch die Motivation, es sei denn ein Beitrag inspiriert oder provoziert mich zu einer Antwort, wie etwa vor ein paar Wochen der Bruegel-Blog zu “Selbstverständlich können Europäer bloggen, nur anders

Marc hat das Zeitproblem der Wirtschaftsblogs unter dem Titel “Nebenberufs-Blogger”skizziert. Vor allem wir Blogger, die nicht in einem Medienumfeld arbeiten, müssen uns die Zeit für das Bloggen aus unserer Freizeit abknapsen. Wir verdienen unsere Brötchen in einem Beruf und schreiben aus Spaß am Schreiben, dann wenn wir Zeit haben. Bei mir ist das meist am Wochenende und manchmal abends. Leider bleiben so viele spannende Themen liegen. Wie Nebenberufler können leider nicht so aktuell reagieren, wie wir uns das wünschen. Und das kostet natürlich Leser.

Ich kenne in Deutschland leider bisher keinen Wirtschaftsblogger, der so erfolgreich ist, dass er sein Haushaltseinkommen allein aus den Blog bestreiten möchte oder könnte. Warum das nicht so leicht ist, hat jüngst gerade Robert Basic in einem Beitrag auf seinem Blog gut herausgearbeitet. Für die meisten Wirtschaftsblogs bleibt ihr Blog ein Hobby und idealerweise ein Instrument um das eigene Renommee ein wenig zu pflegen. 

Und weil so gut wie alle Wirtschaftsblogs in Deutschland nebenbei betrieben werden, werden sie vorerst in der Nische bleiben. Dort kommen sie nach meiner Auffassung erst raus, wenn sie sich Professionalisieren, wie etwa einige angelsächsische Blogs. Ich nenne da mal meine üblichen Verdächtigen wie FT Alphaville, Zero Hedge, Credit Writedowns, das Dealbook der New York Times oder Business Insider. Das sind hoch professionelle und erfrischende Blogformate, die mehrere Beiträge täglich publizieren und durch hohe inhaltliche Qualität bekannt und erfolgreich sind. Freilich sind zwei davon sind in große Medienkonzerne eingebunden und den ökonomischen Erfolg der anderen Seiten kenne ich gar nicht.

Aber die Professionalisierung der Blogs, zu der mit Sicherheit einige Blogger bereits wären, ist nur die eine Seite der Entwicklung. Es mangelt trotz der im Vergleich zu den USA deutlich niedrigeren Veröffentlichungsfrequenz ebenfalls an einer weiten Akzeptanz der Wirtschaftsblogs in einer breiteren Leserschaft. Gerade die sich oft an Wirtschaftspraktiker richtenden Webseiten werden gar nicht intensiv von der eigentlichen Zielgruppe gelesen. Gefühlte 90 bis 95% der Wirtschaftspraktiker aus dem Nichtmedienbereich können immer noch nichts mit dem Blogbegriff anfangen oder halten Blogger für IT-Nerds. Auf Nachfrage kennen die Wenigsten eine Webseite (außer von anderen Unternehmen) zu den Spezialthemen, mit denen sie sich befassen. Das ist erschreckend und zeigt, dass hier für Blogs ein gewaltiges Potential steckt.

Ich weiß nicht genau, woher die Vorbehalte kommen. Vielleicht ist eine Ursache, dass man in Deutschland zunächst ein wodurch auch immer aufgebautes traditionelles Renommee bzw. einen Promistatus benötigt, um überhaupt glaubhaft wahrgenommen und gelesen zu werden. Allein qualitativ hochwertige Inhalte erreichen keine breite Akzeptanz, wenn die Autoren nicht bekannt sind. In Deutschland empfehlen und zitieren Verbände, Unternehmen, Politiker oder Medien gern “renommierte Experten”. Wie die zu diesem Status gekommen sind, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle, wie die inhaltliche Qualität ihrer Aussagen.

Daneben mangelt es in Deutschland in der Wirtschaftspraxis an einer Kultur, Wissen mit anderen zu teilen. Wer das macht, gilt in vielen Augen noch als subversiv. Viele Berufsprofis aus der Wirtschaft schreiben weder für Blogs noch kommentieren sie darauf. Austausch findet allenfalls in geschlossenen Zirkeln statt, die mehr Zustimmung versprechen und die Gefahr sich zu blamieren, minimieren. Das ist schade, denn gerade zu vielen professionellen Wirtschaftsthemen könnte man sich über Blogs und andere Netz-Communities noch viel intensiver austauschen.

Wirtschaftsblogs werden vorerst weiter in einer digitalen Nische bleiben. Der Weg daraus mag vielen Bloggern mühsam erscheinen. Wer nur bloggen will, um bekannt zu werden und hohe Klickzahlen zu generieren, dem empfehle ich entweder aufzuhören oder sich ein anderes Themenfeld zu suchen. Für viel wichtiger halte ich die Leidenschaft für das Veröffentlichen von Beiträgen und die Lust am Austausch mit einer kleinen aber feinen und hoch spannenden Community. Wer da ein wenig Durchhaltevermögen zeigt, der erntet eine hohe soziale Rendite, wie das Bloggerkollege Lothar Lochmaier nennt.  Und die soziale Rendite kann man zum Beispiel auf solchen Veranstaltungen wie der re:publica ernten, in dem man sich dort mit anderen Blogkollegen trifft. Und darauf freue ich mich heute.

PS

Vom heutigen Tag der re:publica wird es auf Google+ oder Twitter etwas zu lesen geben. Und natürlich freue ich mich heute über jeden Offline-Kontakt in Berlin.

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