Selbstverständlich können Europäer bloggen, nur anders

by Dirk Elsner on 26. März 2012

Als ich mich gestern daran machte, meinen “Pflicht” als Juror für die Wahl des Finanzblog des Jahres 2012 zu erfüllen, dachte ich zunächst an eine Diskussion über die europäische Blogosphäre, die mich geärgert hat. Und vor Beginn der Juryarbeit musste ich diesen Beitrag starten, weil es vergangene Woche eine Debatte einiger europäischer Wirtschaftsblogs gab, die auf mich abgehoben und befremdlich wirkte.

Der Blog des europäischen “Thinktanks” Bruegel provozierte in einem Eintrag die europäische Blogosphäre mit der Behauptung “Europeans can’t blog”. Ich fand diese Überschrift ausgesprochen überheblich und exemplarisch für den immer noch nicht überwundenen Denkimperialismus einiger Ökonomen. Tatsächlich bezog sich der Eintrag nur auf Blogs wissenschaftlicher Ökonomen, die Überschrift differenzierte dies aber nicht.

Die Autoren und einige weitere Ökonomen, darunter zu meinem Bedauern auch Kantoos, verglichen in der Debatte die europäische Ökonomieblogosphäre mit der US-Szene und findet diese nicht so aktiv wahrgenommen und so vernetzt wie die in den USA. Außerdem bedauerte man, dass unter den europäischen Bloggern keine prominenten Namen wie Paul Krugman seien. Kantoos schlug dann vor, dass ja Hans Werner Sinn den europäischen Krugman spielen könnte.

Ich habe mich in einem Tweet sehr über die arrogante Haltung geärgert und twitterte: „New Bruegel-Blog ist starting quite arrogant and with little knowledge about European Blogosphere. In einem Kommentar auf diesen Tweets auf Eurozoneremarks ergänzte ich das:

“My response on the Bruegel Post was a spontaneous reaction to the headline “Europeans can’t blog”. This title showed me a kind of ignorance of the broad European and especially German blogosphere. I documented for Germany in a mindmap 216 websites of various economic issues. Among them are many excellent blogs by scientists, students, journalists, practitioners, and more. To write “Europeans can’t blog” means to ignore these efforts. I do not know how blogs in Spain, France or Italy are handled, but I agree there is a lack of interconnection by European economists by missing links on the blogs they are using. And specially in Germany there is very rarely cross-national discussion.

Mag seine, dass sich einige bloggende Volkswirte untereinander für nicht blogfähig halten. Die in der Wahl der Headline gewählte Denke passt allenfalls auf den Blog von Bruegel selbst. Der enthält nämlich nichts, was einem typischen Blog entspricht. Weder kann man den besagten Eintrag kommentieren, noch bietet der blogtypische Elemente wie eine Blogroll. Und die Bruegel-Jungs sagen ganz offen, dass sie sich nicht für Kommentare interessieren und sie selbst ebenfalls sich nicht an Kommentaren beteiligen. Hier trägt jemand seine Nase ganz weit oben, übrigens ein weiteres Element, das unter Blogs unüblich ist.

Und klar, in Europa wählen weiter viele Ökonomen aus dem Wissenschaftsbereich die Oldschool der Kommunikation über Fachzeitschriften, Working Paper, Zeitungsartikel und Kongresse. Daraus, den Schluss zu ziehen, Europäer nicht bloggen, beweist aber eine verengte Wahrnehmung über die Relevanz.

Dass ausgerechnet der anonym bloggende Kantoos sich der Position anschließt, wundert mich. Gerade Kantoos zeigt ja, wie man auch anspruchsvolle Diskussionen führen kann und selbst anerkannt wird. Und ob die Qualität einer Blogsphäre davon abhängt, ob einer Professor Sinn oder wer auch immer sich in die “Niederungen” von Blogdiskussionen begibt, halte ich schlicht für ein irrelevantes Kriterium. Gerade die Diskussion, die Bruegel mit dem Eintrag ausgelöst hat, zeigt ja, dass auch die Europäer verstanden haben, wie Blogs funktionieren. Der Eintrag löste ein breite Diskussion aus, die unterstreicht, dass sogar Ökonomen in Fahrt kommen.

Immerhin, die Bruegel Autoren ruderten in dem Folgeeintrag “Can Europeans blog after all? ein wenig zurück und schrieben am Ende: “In fact, Europeans can probably blog…”. Gerade die Reaktionen haben ja gezeigt, dass es die europäischen Ökonomieblogger gibt und sie auch bloggen können. Vielleicht wird man ja auch eines Tages verstehen, dass Europäer einfach nur anders bloggen. Wir müssen ja nicht ständig US-Maßstäbe auf uns übertragen.

Nachtrag v. 26.3.12

Bei Kantoos gibt es übrigens schon eine Reaktion auf diesen Beitrag mit einer kurzen Kommentierung von mir. Henning Meyer nimmt auf Social Europe auch noch einmal den Ball auf unter: One more Point on Blogging in Europe  und auch Ken von Eurozoneremarks opinion setzt noch einmal nach unter: Yes Europeans learn how to blog

Hier noch meine Ergänzung, die ich bei Kantoos hinterlassen habe:

Ich bin ja dabei, dass sich die Wirtschaftsblogosphäre auf jeden Fall weiter entwickeln muss. Es sollte bei mir auch nicht so rüberkommen, dass ich zufrieden bin mit dem aktuellen Stand. Gerade die Themen Vernetzung zB. durch den gegenseitigen Bezug auf Inhalte, das Kommentieren sehe ich ebenfalls als Defizit und habe ich in anderen Blogeinträge oft kritisiert.

Meine Position bezog sich vor allem auf die doch sehr abgehobene Position von Bruegel, dass Europäer nicht bloggen können, was sie ja mittlerweile ein wenig zurück genommen haben. Und gerade Dein “Gefecht” mit FAZit hat ja in Deutschland schon Ökonomiebloggeschichte geschrieben.

Nun sehe ich das auch nicht allein durch die akademische Brille eines Ökonomen. Ich bin ja eher Praktiker mit einer mittlerweile lang zurück liegenden akademischen Ausbildung. Die akademischen Ökonomen könnten sich ruhig etwas mehr trauen. Als Praktiker muss ich mir viel zu oft noch die Transfers neue ökonomischer Erkenntnisse hart erarbeiten. Und das kostet zu viel Zeit. Hier wünsche ich mir in der Tat mehr.

Nachtrag vom 27.3.12

Heute hat Lothar Lochmaier in seinem Blog Social Baning 2.0 ebenfalls nachgelegt: Wirtschaftsblogs: Europäer können bloggen, aber nicht englisch.

Nachtrag vom 29.3.12

Eine weitere Reaktion gibt es heute vom Wirtschaftswurm: Die Schwierigkeiten, in Europa zu bloggen

Eine erfreuliche Nebenwirkung dieser Debatte gibt es auch. Henning Meser von Social Europe Journal sammelt Links europäischer Blogs ein in dem Beitrag: Mapping European Economics Blogs

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Ich freue mich, wenn Ihr mir über Twitter oder Google+ folgt. Dort können wir auch gern noch weiter diskutieren.

JazzMe März 27, 2012 um 19:02 Uhr

Outstanding.
I completely agree with you Blicklog.

nigecus März 26, 2012 um 22:36 Uhr

Komisch, dass noch niemand ein Kommentar auf den bruegel blog geschrieben hat. Jammert da etwa jemand… 😉

ach komm‘ ich verlinke es nochmal, damit ein paar google hits zusammenkommen

http://www.bruegel.org/blog/detail/article/708-europeans-cant-blog/

Dirk Elsner März 26, 2012 um 11:28 Uhr

Danke Ron für den Hinweis auf Deinen Beitrag. Der ist glaube ich ganz wichtig.

Ron März 26, 2012 um 11:12 Uhr

Das Problem an dem ersten Bruegel-Blogpost war einfach, dass sich ihr Claim auf eine (absichtliche oder unabsichtliche) Fehlinterpretation meines Ursprungs-Beitrags stützt, bei der ich mich darüber gewundert hatte, dass Blogs, die sich mit EU-Themen beschäftigen, vergleichsweise wenig Interaktion finden lässt. Das hatte ich mit einer kleinen Recherche unterleg, die ich ganz klar als nicht notwendigerweise repräsentativ gekennzeichnet hatte.

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