Anfang April fühlte nicht nur ich mich provoziert durch einen Beitrag im Handelsblatt von Sven Prange “Hundert Kreative provozieren die Netzpiraten”. Dort schrieb er u.a. die Sätze: “Es ist kein Zufall, dass viele Blogs und Foren vor allem reproduzieren. Alle schmarotzen aus der reellen Welt.” Kommentiert habe ich das bereits in “Warum mich die Debatte zum Urheberrecht provoziert”. Auf mich wirkte die Debatte insgesamt etwas hochgekocht. Immerhin entsprang daraus eine spannende, bisweilen fantasievolle Online Schlacht zwischen Verlagsvertreter und Teilen des Netzes (siehe dazu diese Sammlung bei Rivva).
Völlig unabhängig von dieser Debatte hatte mich Tina Halberschmidt, Social-Media-Redakteurin beim Handelsblatt, zu einem Besuch in die Kasernenstraße eingeladen. Wer jetzt denkt, jetzt wolle das Handelsblatt Schadensbegrenzung bei den Bloggern betreiben, der irrt. Die Einladung bestand schon lange vor der wilden Netzdebatte. Und ich habe mich darüber gefreut, weil ich nach meinem Besuch 2009 mal wieder Gelegenheit zu einem Blick hinter die Kulissen hatte.
Ich reiste für den Besuch früh an, weil ich an der Morgenkonferenz der Onlineredaktion teilnehmen durfte. Vorbehalte gab es dort überhaupt keine gegen meine Teilnahme. Ich wurde nett begrüßt, einige kannten mich, andere hielten mich für einen neuen Praktikanten.
Die Runde wirkte auf mich, wie schon 2009, hoch professionell, sorgfältig und vielleicht etwas konservativ in der Themenauswahl. Da wurde über die Themen des Tages gesprochen, wann welche Beiträge platziert werden, Selbstkritik geübt und über einige Überschriften nachgedacht. Das lief so ab, wie man sich das sonst so vorstellt. Für Themen, die keinen unmittelbaren Bezug zur Wirtschaft haben, wie an diesem Tag die Halbfinals der Champions League, wurden in der Konferenz wirtschaftliche Aufhänger gesucht.
Wie gesagt, die besprochenen Themen empfand ich mehr oder weniger mainstreammäßig und damit zu unspektakulär. Ich war hier ja nur als stiller Zuhörer geladen. Aber wie ich höre, will man auch einmal Blogger offiziell zu einer der wöchentlichen Themenkonferenzen einzuladen, um Anregungen zu diskutieren. Ich finde nach wie vor haben die deutschen Wirtschaftsonlinemedien einen hohen Nachholbedarf, wenn man mal schaut was blognahe Seiten wie FT Alphaville, das Dealbook der New York Times, Business Insider oder Zero Hedge so zu Finanzmärkte und Ökonomie produzieren. Da werden trockene Themen der Ökonomie und Finanzmärkte richtig spannend und sexy aufbereitet ohne flach zu wirken.
Mit Tina Halberschmidt habe ich dann anschließend beim Kaffee über einige Ideen gesprochen, die ich aber hier nun nicht vertiefen will 😉 Mehr hätte ich natürlich gern erfahren über die interne Debatte in den Handelsblatt Räumen zu der oben angesprochenen Debatte. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass alle Mitarbeiter die Position von Sven Prange, Gabor Steingart oder Oliver Stock teilen. Natürlich war das auch intern ein Thema, verriet Tina. Mit mich interessierenden Details hielt sie sich leider zurück. Ich bin ja kein Journalist und stellte vielleicht nicht hartnäckig genug Fragen. Sie versprach mir aber, wenn ich weitere Fragen hätte, diese gern an Oliver Stock weiterzuleiten.
Insbesondere das Social Media Team von Handelsblatt Online schaut übrigens sehr genau auf die Debatte und ist ja über Facebook und Twitter auch Teil davon. Mein Eindruck aus dem Gespräch und übrigens aus vielen früheren Gesprächen ist, dass man Blogs und andere Social Media Kanäle durchaus sehr ernst nimmt. Die von Prange vertretene Position zu Blogs ist jedenfalls kein Dogma im Onlinebereich.
Wir diskutierten außerdem über die Kommentarkultur. Mich nervt zuweilen die Kommentarkultur in den Onlinemedien. Mein Eindruck ist nicht, dass dort sachlich und themenbezogen diskutiert wird. Mir sind da weiter zu viele Verschwörungstheoretiker, Utopisten und immer mal wieder schimpfende Trolle unterwegs, die nur provozieren wollen. Ich kann daher das derzeit den Kommentaren vorangestellte Anliegen von Oliver Stock verstehen, Kommentare unter Klarnamen zu führen, um die Debattenkultur anzuheben. Jedenfalls soll, so Tina Halberschmidt, die Debattenkultur auf der Facebookseite des Handelsblatts zivilisierter verlaufen. Dennoch will Handelsblatt Online Kommentare grundsätzlich weiter nicht löschen (Ausnahme natürlich Rechtsverstöße etc.), wie das Olaf Storbeck im vergangenen Jahr für den Handelsblog eingeführt hat.
Kommentare bei hb ist schon etwas nervig (heute). „Früher“, da hatte hb ein Forum, wo man Feedback zu HB-Artikel geben konnte. Da wurde meiner Meinung nach auch halbwegs anständig diskutiert. Zumindestens besser als es heute der Fall ist, wo die Artikel (wie bei Blogs) eine Kommentarfunktion haben. Das hb hat damals bei der Umstellung ziemlich viele Diskussionsteilnehmer verloren, weil sie die Umstellung nicht ganz gebacken gekriegt haben.
Ich fühle mich von der „Copy & Paste Kritik“ so ziemlich garnicht angesprochen.
Vielleicht sollte den HB-Redakteure mit dem RBV auseinanersetzen, bevor sie ökonomisch argumentieren:
valuable (wertvoll)
rare (knapp)
inimitable (nicht imitierbar)
non-substitutable (nicht substituierbar)
Wenn diejenigen, die ein Urheberrecht benötigen (d.h. „sie haben es nötig“), weil ihr Gut/Dienstleistung bei diesen Kriterien nicht so doll abschneiden, dann überschätzt der Leistungsersteller sich wohl selbst. Bei der Diskussion des Urheberrechts wird das Geschäftsmodell für betreffenden Güter/Dienstleistungen nicht berücksichtigt, bzw. ein konkretes Geschäftsmodell impliziert, was vielleicht seit des Aufkommen des Internets als Massenphänomen nicht mehr das lukrativste ist.
Was ist denn die Reaktion derjenigen, die ihr Geschäftsmodell nun jetzt nicht mehr so doll funktioniert? Die Musikindustrie hat bspw. Kopierschutz eingeführt, um der Imitierbarkeit direkt entgegenzuwirken. Aber vielleicht wäre es auch besser die Seltenheit und Nicht-Ersetzbarkeit stattdessen zu erhöhen, indem Musiker nur noch Live auftreten und garkeine Studioaufnahmen mehr machen?
Ich will den Betroffenden garkeine tollen Tipps geben (Es ist nicht mein persönliches Problem mich um Geschäftsmodelle anderer zu kümmern). Einen Tipp hätte ich schon: Die Betroffenden sollten aufhören einen Kampf gegen Windmühlen (gegen die Masse) mit Rechtsanwälten zu kämpfen, weil sie diesen Krieg unmöglich gewinnen können. So ein empörtes Geschimpfe, dass die Realitäten nicht den Wünschen entspricht, ist einfach nur ein teurer Weg, um letztlich doch unter zu gehen. Die Wirtschaftshistorie ist voll mit solchen Verlierern die nicht die Zeichen ihrer Zeit erkannten (Die Zukunft gehörte schon immer denjenigen die sich dem Wandel stellten).
Ich habe nun nicht so einen tiefen Einblick in die Arbeit in Düsseldorf, habe aber den Eindruck, beim Handelsblatt ist es nicht anders als in vielen anderen Medien Unternehmen: Es gibt eine Art digitalen Graben. Einige trauen sich den zu überspringen, einige warten noch, weil sie fürchten, in die Schlucht zu fallen, andere wollen gar nicht springen.
Meine Einladung oder auch das Interview heute fande ich sehr fortschrittlich und könnte ja auch mal ein Format sein, um Interviews mit anderen Wirtschaftspraktikern zu führen. Gerade die unmittelbare Beteiligung von Dritten und die Reaktion darauf macht ja den Reiz solcher Experimente aus. Wäre ja mal etwas für Anshun Jain, wenn er sich in Deutschland offiziell der Presse „stellt“.
Interessanter Beitrag, vor allem für einen ehemaligen HB-Redakteur wie mich. Bisher habe ich nicht das Gefühl, dass die Online-Redaktion sehr offen für Anregungen ist; sie lesen ja noch nicht einmal, was ich auf meinem Blog „LostinEUrope“ von mir gebe… Und die Print-Leute tanzen alle nach der Pfeife von Steingart. Immerhin hat Steingart das HB für Social Media geöffnet, das war unter seinem Vorgänger nicht der Fall – mit ein Grund,warum Th. Knüwer („Indiskretion Ehrensache“) die Redaktion verlassen hat!
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