Kritik der Wirtschaftswissenschaft: Schnappatmung für Ökonomen

by Dirk Elsner on 20. August 2012

In den letzten Jahren gab es viel Kritik an der Ökonomie und an den Ökonomen. Vor meinem Urlaub enttäuschte die professionelle Wirtschaftswissenschaft mit einem Pamphletgemetzel zur Schuldenkrise. Vergangene Woche hat Dieter Schnaas für die Wirtschaftswoche ordentlich Luft geholt und Dampf abgelassen in seinem Essay “Ökonomen verstehen nichts von Wirtschaft” (Rivva-Reaktionen via Twitter hier). Ohne Rücksicht auf Verluste, fasst Schnaas darin die Kritik an der Ökonomenzunft für meinen Geschmack etwas zu populistisch zusammen und liefert eine beachtliche Zitatensammlung (ich streue eine Auswahl hier unkommentiert ein).

“Wenn es das Ziel der Ökonomen war, die wirtschaftswissenschaftliche Debatte auf das Niveau von Sahra Wagenknecht (Linke) zu heben, so ist ihnen das glänzend gelungen.”

Natürlich ist Schnaas´ Titel provokativ. In den darin zusammen getragenen Positionen wimmelte es nur so von Pauschal(vor-)urteilen. Deswegen aber Schnaas “Geschwurbel” vorzuverwerfen, greift zu kurz. Der Wirtschaftsphilosoph und der Wirtschaftswurm haben sich mit dem Text von Schnaas auseinander gesetzt und seine Positionen unter die Lupe genommen. Der anonym bloggende Philosoph macht dabei freilich das, was er gerne macht, wenn ihm Texte nicht schmecken, er holt seinen akademischen Degen heraus und “bekämpft” damit ungeliebte Positionen. Das kann man machen. Ich sehe es freilich nicht gern, wenn ein Degenfechter gegen einen Schwertkämpfer antritt. Die meisten Texte, die wir in Tageszeitungen, Blogs, Magazinen oder wo auch immer lesen, fallen vermutlich durch, wenn Fachleute diese akademisch sezieren. Sollen die Nichtfachleute deswegen aufhören zu schreiben oder ihre Meinung zu äußeren? Natürlich nicht.

“Aber leider ist der neue Pamphletismus der Ökonomenzunft kein lässlicher Schnitzer, sondern präziser Ausdruck ihrer umfassenden Orientierungsschwäche.”

So wird Schnaas etwa vorgeworfen, er habe keine ökonomische Ausbildung und gar nicht alle relevanten Texte gelesen. Daneben sei sein Text voller Widersprüche. Natürlich muss man Ökonomen auch ohne akademische Weihen kritisieren dürfen und darf dies auch vollkommen unwissenschaftlich tun. Das machen wir alle jeden Tag mit einer Fülle von Themen. Andernfalls müssten wir aufhören, öffentlich zu diskutieren. Wirtschaftswissenschaftler gestalten ähnlich wie Juristen maßgeblich über ihre Einflüsse auf die Gesetzgeber unseren Alltag. Wenn betroffene Menschen mit dieser Gestaltung unzufrieden sind, dann haben sie das Recht und die Pflicht dies zu äußern. Niemand braucht ein Kapitänspatent, der einen Schiffsführer dafür kritisiert, dass er sein Boot auf die Sandbank setzt.

“Nur durch den interdisziplinären Austausch mit Philosophen, Soziologen, Historikern, Literaturwissenschaftlern und Juristen kann die Volkswirtschaft ihre verheerende Verengung zur Business-School-Economy überwinden.“

Schnaas konsolidiert die Kritik an der Ökonomie ohne Rücksicht auf Verluste und zarte Sprossen, die vielleicht eines Tages das Potenzial paradigmatischer Änderungen haben. Das ärgert gerade die Ökonomen zu recht, die sich mit den Veränderungen und Verbesserungen befassen. Menschen wie der Wirtschaftsphilosoph und der Wirtschaftswurm, die dichter an der Ökonomie dran sind, wissen über viele neue Ansätze, die es aber bisher nicht geschafft haben, in den öffentlichkeitswirksamen Mainstream zu sickern. Diese Frage interessiert mich z.B. viel mehr als die Spitzfindigkeiten, mit denen der Wirtschaftsphilosoph oder der Wirtschaftswurm auf Schnaas eindreschen.

 

“Diese Business-School-Economy versteht sich als Lehre der Effizienz, nicht als Lehre von gesellschaftspolitischer Relevanz; mathematische Exzellenz ist ihr wichtiger als sozialwissenschaftliche Bedeutung.”

Ich selbst durfte Anfang des Jahres auf der Veranstaltung “Ökonomie Neu Denken” eine Kostprobe des neuen Denkens erhaschen. Mein Eindruck aus dieser und ähnlichen Veranstaltungen ist, es mangelt gar nicht an neuen Ansätzen und mutigen Ideen in der Ökonomie. Es mangelt eher daran, dass diese neuen Ansätze von etablierten Torwächtern nicht durchgelassen werden. Neue Modelle und Erklärungen haben es schwer in der Wahrnehmung und werden kaum gefördert. Die Medien selbst tragen dazu bei, in dem sie z.B. viel lieber O-Töne wodurch auch immer “renommierter” Ökonomen transportieren. Die immer gleichen “anerkannten” Ökonomen schaffen es auf das Podium bekannter Veranstaltungen und in politische Beratungsgremien. Neuen Ideengebern wird nur selten ein Podiumsplatz auf einer “renommierten” Veranstaltung oder gar einer politischen Ausschussanhörung eingeräumt.

“Gleichzeitig werden Robert Shiller, George Akerlof oder Daniel Kahneman für genau diese „Erkenntnis“ als Innovatoren der Zunft gefeiert und für die „Entdeckung“ der Unvernunft mit Nobelpreisen geehrt. Warum eigentlich? Weil sie die Menschen nicht mehr zu Rationalitätsbündeln degradieren, sondern zu Reizreaktionsmaschinen?”

Ich bin davon überzeugt, dass wir uns zu wenig fragen, nach welchen Mechanismen eigentlich Ideen nach oben geschwemmt und diskutiert werden. Ich glaube, die Qualität einer Idee, eines Modell, eines Lösungsvorschlags oder von was auch immer, ist nur eine Nebenbedingung. Ob sie in den Fokus der “öffentlichen Meinung” oder gar Berücksichtigung findet bei Entscheidungsträgern hängt von vielen Faktoren ab, auf die wir zu wenig achten. Wie auch immer geartete Netzwerkeffekte haben einen wesentlich größeren Einfluss darauf, ob und wie neue Ideen wahrgenommen und eingesetzt werden. Die Qualität eines neuen Ansatzes ist zwar nicht unbedeutend, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Das ist schade, denn viele mutige Ansätze gelangen so gar nicht erst an die Oberfläche.

“Der Staat ist nicht dazu da, die globalen Wettspiele einer Finanzaristokratie zu lizenzieren, die ihre Gewinne einstreicht und ihre Verluste der Allgemeinheit aufbürdet. Und die Finanzmärkte sind nicht dazu da, eine Politik zu finanzieren, die die Illusion von Wachstum nur noch dadurch aufrechterhalten kann, dass sie der Zukunft mit der Aufnahme immer neuer Schulden ihre Reserven stiehlt. “

Wirtschaftsphilosoph August 22, 2012 um 08:05 Uhr

“ Ich sehe es freilich nicht gern, wenn ein Degenfechter gegen einen Schwertkämpfer antritt.“

Haben Sie das schon einmal in der Realität gesehen? Das ist ein ziemlich unfairer Kampf, aber nicht so, wie Sie suggerieren. Das Schwert ist die stärkere Waffe und man muss schon viel besser mit dem Degen sein, um sich zu behaupten. So kommt mir übrigens auch die öffentliche Debatte vor. Dumpfe Sprüche haben es leichter als vernünftige Argumente, die nicht zum ersten Mal von Ihnen als zu schwierig und spitzfindig diskreditiert werden. Dieser Vorwurf ist aber verfehlt, wenn Wirtschaft entsprechend schwierig ist und die Argumente besser sind, statt nur mit Wortgeklingel von den eigentlichen Problemen abzulenken.

Dirk Elsner August 23, 2012 um 21:20 Uhr

Das sollte jetzt kein Angriff sein. Ich bewundere ja Ihre Positionen und mag auch wie Sie in der Sache argumentieren. Manchmal schimmert aber aus Passagen Ihrer Texte eine etwas herabsetzende Schreibe durch. Das ist mein Bauchgefühl. Nach meinem Eindruck legen Sie zu oft an Texte in Zeitschriften und Blogs wissenschaftliche Ansprüche. Und das leisten die meisten Texte nicht. Und sie sollten das auch nicht, weil viele Texte dann nur noch von Fachleuten verstanden werden.
Ich stimme ansonsten voll zu: Wirtschaft ist schwierig ist und noch schwieriger ist es die Argumente rüber zu bringen.

Vielleicht passt es sogar mit dem Degenfechter und Säbelkämpfer. Der Degenfechter fechtet in meinen Augen eleganter. Aber er verliert trotz der Eleganz gegen den groben Säbel. So ist das doch leider auch in der Wirtschaftspraxis und der Politik.

Artus Ph. Rosenbusch August 27, 2012 um 15:53 Uhr

@ Dirk Elsner:

ficht.. Der Degenfachter ficht.

FDominicus August 20, 2012 um 12:30 Uhr

Nun das hat wer geschrieben? Diejenigen die „mehr Macht“ wollten. Also macht man es sich einfach, man ignoriert alle Einmischungen die von denen ausgeübt wurden die früher schon „mehr Macht“ wollten. Also hatte man dann „früher“ keine Eingriffe. Das hat dann nicht geklappt und dann hat man eine Rechtfertigung für neue Eingriffe.

Eine liberale Marktwirtschaft mit Korporatismus, Nepotismus oder Merkantilismus gleich zu stellen ist ein ziemlich geschickter Schachzug. Kein Liberaler hat je gefordert, Konzerne zu schützen. Ich jedenfalls kenne nicht eine Stelle in irgendeinem Buch von von Mises, Hayek und Rothbard wo gefordert wird, daß der Staat bestimmte Firmen/Banken etc protegieren sollte. Aber da wird sich wohl im „national“Liberalismus oder bei linken Liberalen etwas finden lassen.

Nur hat es mit Marktwirtschaft dann nichts mehr zu tun. Wer heute noch behauptet wir hätten tatsächlich Markt, kann mir gerne erklären warum es so viele Banken noch gibt die schon Pleite sind (HRE, Landesbanken, Commerzbank). Das hat mit liberal nichts mehr zu tun.

mountainstevie August 20, 2012 um 09:17 Uhr

wie häufig, wenn ökonomen ihr versagen kommentieren, zeigt sich, dass sie sich nicht wirklich bewusst sind, „nur“ ein teilbereich der sozialwissenschaften zu sein. der mainstream bemüht sich zumindest in die nähe von naturwissenschaft zu gelangen, durch eine (übertriebene oder unvollständige?) mathematisierung (vrgl. auch blogbeitrag „Mainstream-Ökonomie auf dem Stand der Newtonschen Gesetze?“). und so scheint mir auch der beitrag von hr elsner v.a. sein unwohlsein auszudrücken, weil das problem zwar irgendwie durchdrückt, aber doch nicht richtig fassbar scheint, weshalb der beitrag wohl auch unbefriedigend im ungefähren bleibt!
jedem soziologen dürfte jedoch klar sein, dass es sich hierbei um machtstrukturen handelt, welche eine monopolisierzung der ideen geradezu erzwingen.
leider scheint mir hier nicht der platz zu sein um das thema umfassend auszuführen, deshalb empfehle ich dazu das ausgezeichnete büchlein von norbert häring „markt und macht“!

Beate August 20, 2012 um 07:41 Uhr

Soziale Marktwirtschaft.

Wer könnte etwas gegen das Wort ‚SOZIAL‘ haben?

Nun, ist es aber so, die aktuelle Eurokrise zeigt, welche verherrenden Folgen der STANDORTWETTBEWERB für das Soziale hat.

Das Soziale wird vernichtet.
Und Wohlstand wird nicht für alle Einkommensdezile geschaffen.

Was durchaus im Sinn der Leser der Wirtschaftswoche ist.

Sarah Wagenknechts Positionen als unwissenschaftlich zu diffamieren, sei es drum.

Ich habe aus diesem Beitrag nichts aber nichts gelernt, was tun, damit es den Menschen besser geht!

Stefan Wehmeier August 20, 2012 um 05:48 Uhr

„Der historische Liberalismus hat versagt – nicht als Liberalismus, sondern in seiner verhängnisvollen Verquickung mit dem Kapitalismus. Er hat versagt – nicht weil er zuviel, sondern weil er zu wenig Freiheit verwirklichte. Hier liegt der folgenschwere Trugschluss der sozialistischen Gegenströmung. Die liberalistische Wirtschaft war in Wahrheit keine freie, sondern eine vermachtete Wirtschaft, vermachtet durch Monopolbildung, kapitalistische Machtballungen, durch Konzerne und Trusts, die das Wirtschaftsleben über Preise, Zinsen und Löhne nach ihren eigenen Interessen bestimmten. Wo durch Monopole und Oligopole, durch Konzerne und Trusts der freie Wettbewerb entstellt und gefälscht, die freie Konkurrenzwirtschaft unterbunden und zerstört wird, da fehlt die elementare Grundlage eines liberalistischen Systems im ursprünglichen, klaren und eindeutigen Sinn dieses Wortes.

Der Sozialismus ersetzt die private Vermachtung durch die staatliche Vermachtung der Wirtschaft mit dem Ergebnis, dass die soziale Gerechtigkeit keinesfalls erhöht, aber die automatische und rationelle Funktionstüchtigkeit der Wirtschaft entscheidend geschwächt wird. Der historische Weg, die unerwünschten sozialen Auswirkungen einer fehlerhaften Wirtschaftsordnung durch politische Maßnahmen und staatliche Eingriffe zu beseitigen, musste notwendig scheitern. Eine brauchbare Sozialordnung kann nicht mit bürokratischen Mitteln erzwungen werden, sondern nur aus einer richtig funktionierenden Wirtschaftsordnung erwachsen. Nur eine natürliche, dynamische Gesellschaftsordnung auf der gesicherten Basis einer natürlichen, dynamischen Wirtschaftsordnung ist stabil und kann ohne großen Aufwand an bürokratischen Mitteln und gesetzlichen Regelungen nachträglich noch politisch-rechtlich gesichert werden, soweit dies überhaupt noch erforderlich ist.“

Das obige Zitat stammt nicht aus dem Jahr 2012, sondern aus der Magna Charta der Sozialen Marktwirtschaft von 1951. Der vollständige Text („Persönliche Freiheit und Sozialordnung“), der insbesondere bei Politikern vollständig in Vergessenheit geriet, sei allen empfohlen, die bis heute nicht wissen, was die Soziale Marktwirtschaft ist, die nie verwirklicht wurde, obwohl sie allen (noch) bestehenden Wirtschaftsformen grundsätzlich überlegen ist. Die gegenwärtige „Finanzkrise“ (korrekt: beginnende globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) musste zwangsläufig entstehen und ist nur durch die Verwirklichung der echten Sozialen Marktwirtschaft (freie Marktwirtschaft ohne Kapitalismus) zu beenden:

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2012/08/personliche-freiheit-und-sozialordnung.html

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