Die deutsche Finanzkrise beginnt im Jahr 1998 in Wilmington (3)

by Gastbeitrag on 16. Oktober 2012

Exklusiver Auszug aus dem 6. Kapitel des Buches: Der größte Raubzug der Geschichte* von Matthias Weik und Marc Friedrich 

Teil 1 hier und Teil 2 hier zum Nachlesen.

2003: Business as usual – und die erste deutsche Bad Bank wird
gegründet

 

2003 läuft alles wie bisher. Das Volumen an strukturierten Wertpapieren der WestLB wird verdoppelt, die Landesbanken in Hamburg und Kiel fusionieren zur HSH Nordbank – sie bewegen jetzt zusammen 22 Milliarden Euro im verbrieften Geschäft. Die Dresdner Bank ist besonders kreativ. Sie gründet eine Restrukturierungseinheit für „ausfallgefährdete und strategisch unwichtige Darlehen“ und lagert somit 17 Milliarden Euro aus. All diese Maßnahmen werden wir alle knapp fünf Jahre später bitter zu spüren bekommen.

Jedoch wird folgende Maßnahme alles in den Schatten stellen: Die Gründung der ersten deutschen Bad Bank

Als Bad Bank (dt. ‚schlechte Bank‘) werden Finanzinstitute bezeichnet, die in Zeiten von Bankenkrisen (bei globaler Auswirkung auch zu Finanzkrisen führend) als reine Abwicklungsbanken gegründet werden, speziell zum Zwecke der Abwicklung bzw. Entsorgung nicht einlösbarer Kreditforderungen und schwieriger Wertpapiere (auch ‚toxischer‘ Papiere), die bei Ausfall in ihrer Gesamtheit die Bonität der betroffenen Banken gefährdet hätten.“ (Quelle: Gablers Wirtschaftslexikon)”

Bereits am 16. Februar 2003 treffen sich in Berlin Bundeskanzler Schröder, Wirtschaftsminister  Clement und Finanzminister Eichel mit den Spitzen der Finanzindustrie zum Krisengespräch über die Schieflage der Banken. Vor allem die HypoVereinsbank (HVB), Dresdner Bank und Commerzbank gelten als gefährdet. Josef Ackermann bringt die Idee einer Bad Bank ins Spiel. Die Hypovereinsbank (HVB) gründet im September 2003 die erste Bad Bank in Deutschland, die Hypo
Real Estate, kurz HRE. Die HVB beginnt ihre gesamten deutschen Schrottimmobilienkredite und US-Hypotheken zusammenzutragen und in einer neuen Einheit zu bündeln. Der HVB-Manager Georg Funke soll die Sparte mit dem ganzen „Schrott“ dann auch noch an die Börse bringen. „Im Börsenprospekt steht: ‚Seit Ankündigung der Abspaltung von der HVB ist die HRE-Bank bei allen drei Ratingagenturen heruntergestuft worden.‘ Beim Finanzstärke-Rating von Moody’s erhält die neue HRE die Note ‚D+‘. Dies hat zur Folge, dass sie bei schwerer Marktlage auf fremde Hilfe angewiesen sein könnte.“ Der Börsenprospekt wird den Aufsichtsbehörden vorgelegt und abgenickt. Im Aufsichtsrat der HVB sitzt auch Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts.

Derivate: Hierbei handelt es sich um Termingeschäfte auf der Grundlage von bestimmten Basiswerten (Underlyings). Der Begriff Derivate (lat. derivare = ableiten) bezieht sich also auf Finanzinstrumente, deren Preis bzw. Kurs von einem ihnen jeweilig zugrunde
liegenden Marktgegenstand als Basiswert abgeleitet wird. (Quelle: Gablers Wirtschaftslexikon)

 

Warren Bufett warnt und keiner hört zu

 

Im März 2003 schreibt Investmentlegende Warren Bufett den Aktionären seiner Holding Berkshire Hathaway einen Brief: „Wir bemühen uns, wachsam gegenüber jedem Risiko einer Megakatastrophe zu sein. Diese Haltung mag uns übertrieben besorgt erscheinen lassen. […]
Unserer Ansicht nach sind Derivate finanzielle Massenvernichtungswaffen, und sie bergen Gefahren, die im Augenblick zwar verborgen, potentiell jedoch todbringend sind.“

Er wird Recht behalten, und trotzdem sind bis zum heutigen Tage diese „Massenvernichtungswafen“ nicht verboten.

Schließung der WestLB wird aus Kostengründen verschoben Da die WestLB in den Jahren 2001 und 2002 vier Milliarden Euro an Kapital verloren hat, wird bereits im Dezember 2003 durchgespielt, was es kosten würde, die Landesbank zu schließen. Der Plan wird schnell verworfen, da er (noch) zu teuer ist. Richtig teuer wird es für den Steuerzahler erst einige Jahre später werden. Es bleibt spannend abzuwarten, wann die Bank endlich geschlossen wird. Dieser Tag wird
voraussichtlich kommen, und es wird ein sehr teurer Tag für uns Steuerzahler werden.

Verbriefung

 

„Bezeichnung für die wertpapiermäßige Unterlegung von Rechten. Wertpapiermäßige Umwandlung von Kredit- u. a. Buchforderungen, Einlagen und dgl. Umwandlung nicht marktfähiger Vermögenswerte in marktfähige Wertpapiere. Typischerw. überträgt die Bank das Kreditrisiko aus dem Sondervermögen, das der Verbriefung zu Grunde liegt, an eine eigens hierfür gegründete Zweckgesellschaft. Eine Truesale-Verbriefung entsteht, wenn die Bank das Sondervermögen mitsamt dem Risiko an die Zweckgesellschaft veräußert. Belässt sie hingegen
die Kreditforderung in der Bilanz und reicht lediglich das mittels Kreditderivat separierte Kreditrisiko an die Zweckgesellschaft weiter, so entsteht eine synthetische Verbriefung. Traditionelle Assetbacked-Securities (ABS) sind Produkte, die eine Vielzahl homogener Titel (bspw. Kreditkarten-, Leasingforderungen) bündeln. Collateralized debt Obligations (CDO) verbriefen i. d. R. weniger und heterogenere Einzeltitel (zumeist Unternehmensforderungen).“ (Quelle: Wirtschaftslexikon 24)

Boston Consulting Group empiehlt Finanzminister Eichel Verbriefungen

 

Im Januar 2004 trifft im Finanzministerium eine vertrauliche Studie der Boston Consulting Group (BCG) mit der Projektnummer 16/03 ein: „Optimale Rahmenbedingungen für einen Verbriefungsmarkt“, lautet ihr Titel. Der Auftrag für die Studie kam von Minister Eichel. Die Empfehlung von BCG lautet folgendermaßen: „Leistungsgestörte Kredite verbriefen“. Dies bedeutet, dass problematische Forderungen „an Abwicklungsgesellschaften verkauft werden. Diese refinanzieren sich ihrerseits über Verbriefungen.“ Die Berater erklären ganz offen,
dass die Banken mit dieser Maßnahme weniger Eigenkapitalpuffer bereithalten müssen. Mit dieser Studie ist der Verbriefungszirkus als finanzpolitisches Programm legitimiert. (Quelle: Capital).

Jörg Asmussen – ich kann alles!

 

Im April 2004 schließen sich die 13 wichtigsten deutschen Banken, unter anderem die KfW, die HSH-Nordbank, die WestLB, die Bayerische Vereinsbank und die Hypo Real Estate, damals noch vertreten durch die Hypovereinsbank, zu einem Verbriefungskartell zusammen mit dem spannenden Namen „True Sale International“ (TSI), eine Handelsplattform und Lobbyvereinigung zur Förderung der Geschäfte mit ABS.

ABS sind Asset Backed Securities –die Mitauslöser der Finanzmarktkrise.

ABS (Asset Backet Securities)

sind verzinsliche Wertpapiere, die durch ofene Forderungen gesichert sind. Durch die Schaffung von ABS wird versucht, Vermögensgegenstände, die bisher nicht liquide waren, handelbar zu machen. Dafür werden beispielsweise offene Kreditforderungen einer Bank zusammengefasst und an eine Finanzierungsgesellschaft verkauft. Diese Finanzierungsgesellschaft erhält das Geld für den Kauf der zusammengefassten Kreditforderungen durch die Ausgabe von verzinslichen Anleihen, die als ABS bezeichnet werden. Die Besitzer der ABS erhalten von der Finanzierungsgesellschaft Zinszahlungen und am Ende der Laufzeit den Anleihebetrag zurückbezahlt. Banken und Unternehmen bringt der Verkauf der ofenen Forderungen den Vorteil, dass sie liquide Mittel bekommen. Wenn zu viele offene Forderungen nicht bedient werden, so dass die Finanzierungsgesellschaft die offenen Zinszahlungen nicht bezahlen kann, drohen
dem ABS Käufer Einnahmeausfälle bis hin zum Totalausfall. (Quelle: Lexikon auf Börsennews.de)

Zu den Gründern gehört neben dem Verbriefungspapst der KfW Dieter Glüder der Ministerialbeamte Jörg Asmussen. Der war bereits Referent unter Hans Eichel, Peer Steinbrück und Oskar Lafontaine und seit einem Jahr Abteilungsleiter im Finanzministerium. Jörg Asmussen
lobt in einem Fachblatt: „Risikogerecht wird für viele Kreditinstitute die Eigenkapitalanforderung an ihre ABS-Bestände sinken.“ Asmussen übernahm mit als jüngster Ministerialdirektor im Berliner Apparat die Leitung der Abteilung für Nationale und Internationale Finanzmarkt- und Währungspolitik. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Von da an war er so etwas wie ein Regierungsbeauftragter für die Förderung von ABS-Finanzprodukten“. Im Beirat der TSI wirkte Asmussen bis zum Sommer 2008. Ferner machte er sich im Aufsichtsrat der KfW verdient. Laut Süddeutsche ist „auf ihn wohl auch jene Passage im schwarz-roten Berliner Koalitionsvertrag von 2005 zurückzuführen, nach der der deutsche Finanzmarkt von ‚überflüssigen‘ Regulierungen
befreit und Produktinnovationen und neue Vertriebswege gefördert werden sollen“.

Parallel zu seinen TSI-Aktivitäten war Asmussen auch noch Mitglied des Aufsichtsrats der KfW-Tochter IKB, die Bank, welche sich am heftigsten auf dem Markt für US-Hypothekendarlehen
verspekulierte und den Steuerzahler ein Vermögen kostete. Hiermit jedoch nicht genug. Herr Asmussens Tag scheint auf jeden Fall wesentlich mehr als 24 Stunden gehabt zu haben. Er saß „im Verwaltungsrat des deutschen Banken-Kontrollgremiums und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), – damit bei Banken wie der IKB nichts schiefging. Ein besonders wachsamer Mann: Dort kontrollierte Jörg Asmussen.“ Neben all diesen Tätigkeiten forcierte er sein Lieblingsthema in Aufsätzen wie zum Beispiel in der „Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen“. Einerseits warb er dort für den „Einsatz neuer Finanzierungsinstrumente“ und andererseits dafür, dass seitens des Finanzministeriums darauf geachtet werden müsse, „dass den Instituten keine unnötigen Prüf- und Dokumentationsplichten entstehen werden, wenn sie in ‚gängige‘ ABS-Produkte mit gutem Rating investieren“. Denn: Es „war uns stets wichtig, dass sich auch der Markt für Asset Backed Securities in Deutschland stärker als bislang entwickelt“.

Später wird ausgerechnet Asmussen den Lenkungsausschuss des Bundestags leiten und mitentscheiden über jene 480 Milliarden Steuergelder, die zur Rettung der Banken bereitgestellt werden. Derjenige, der für den Wahnsinn mitverantwortlich war, darf wenige Jahre später
den Retter spielen. Dass dies so geschehen konnte, erscheint bis heute unerklärlich. Seit Oktober 2011 ist Asmussen Chefvolkswirt im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB).

Wie kein anderer bündelt Asmussen Ämter und Schaltpositionen in einer Person. Man darf sagen, dass er einer der mächtigsten Männer der Bundesrepublik Deutschland ist – von der Öffentlichkeit ungemerkt und völlig unbekannt. Vermutlich werden wir auch in Zukunft noch einiges von
diesem Herrn hören.

Fortsetzung folgt


Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Auszug aus dem Buch erfolgt exklusiv und mit Genehmigung der Autoren und des Verlags. Ich hatte nach einem Mailaustausch mit Marc Friedrich gefragt habe, ob ich dieses Kapitel für den Blick Log übernehmen kann. Dieser Abschnitt enthält an verschiedenen Stellen Anmerkungen zu den Quellen der Aussagen. Aus Vereinfachungsgründen habe ich mich entschieden, die Anmerkungen aus diesem Blogtext rauszulassen. Auch technischen Gründen sind die Kurzzusammenfassungen an den jeweiligen Seitenrändern als Zwischenüberschriften eingefügt.

Kai Oktober 16, 2012 um 12:59 Uhr

ASSmusen – der Name passt.

Eric Schreyer Oktober 16, 2012 um 12:58 Uhr

Informationen und Nachrichten zur Finanzkrise lenken den Blick auf alternative Finanzierungsformen. Über Crowdfunding und Crowdinvesting ist bereits eine Menge geschrieben worden. Jetzt wird es aber wieder interessant, weil es in Kürze auch bei uns in Deutschland die Möglichkeit geben wird, als Mikroinvestor am Private Equity – Markt teilhaben zu können: Bald werden Investments über 100.000 € mit Prospektpflicht angeboten. Grund genug, dieses spannende Thema mal wieder zu beleuchten:

http://www.valuation-in-germany.blogspot.de/2012/10/crowdfunding-die-zukunft-des-geldes.html

Beste Grüße
Eric

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