Keine Angst vor der Krise!

by Karl-Heinz Thielmann on 19. März 2013

Derzeit richtet sich der Blick aller Ökonomen, Wirtschaftsjournalisten und anderer Kommentatoren auf die desolate Lage bei den Staatsfinanzen in Europa und in den USA. Eines scheint klar: Defizite in den gegenwärtigen Größenordnungen sind langfristig nicht durchzuhalten. Sanierungsmaßnahmen bedingen Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Beides kostet Wirtschaftswachstum, auf die Bürger der entwickelten Volkswirtschaften kommen harte Jahre zu. Die Eurokrise erscheint nur wie die Spitze eines Eisbergs.

Auch die BRIC-Staaten, Wachstumslokomotiven des vergangenen Jahrzehnts, machen langsam schlapp. Indien kämpft mit Korruption und einer maroden Infrastruktur, in China steigen die Löhne und mehren sich die Zweifel gegenüber dem Finanzsystem. Russland krankt an einem Mangel an Rechtsstaatlichkeit, Brasilien an einer zunehmend interventionistischen und inflationstreibenden Wirtschaftspolitik. Und dann basteln irgendwo auf der Welt noch Diktaturen an ihren Atombomben und drohen damit, alles ins Chaos zu stürzen.

Stehen wir am Beginn einer neuen globalen Strukturkrise? Aber selbst wenn, was wäre so schlimm daran?

Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schleppen wir uns von Krise zu Krise. Erste Ölkrise 1973, zweite Ölkrise 1979. 1982 kam dann die Schuldenkrise in Lateinamerika. 1986 begann in den USA als Folge eines überhitzten Immobilienmarktes die Savings- and Loans- Krise, in deren Folge 1/5 der US-amerikanischen Sparkassen pleitegingen und das ganze US-Finanzsystem kurz vor dem Kollaps stand. 1987 gab es den ersten durch Programmhandel verursachten Börsenkrach. 1990 hatten wir die Kuwaitkrise, 1992 die Krise des Europäischen Währungssystems. 1998 waren dann Russland und Asien dran mit ihrer Krise. Im gleichen Jahr ging LTCM pleite, das Weltfinanzsystem stand kurz vor dem Kollaps. 2001 bewirkte die Kombination aus Terroranschlägen, Bilanzskandalen und platzender Internetblase die nächste Krise. 2007 kam eine weitere Immobilienkrise in den USA, diesmal mit globalen Auswirkungen: die Finanzkrise 2008 und ein Teil-Kollaps des Weltfinanzsystems. Genau wie 20 Jahre vorher folgten die Europäer mit ihrer Währungskrise ein paar Jahre später. Zwischenzeitlich stand die Welt mehrfach kurz vor dem Atomkrieg, diverse schwere Industrieunfälle von Seveso bis Fukushima verseuchten die Umwelt.

Trotz aller Krisen und Desaster hat sich das globale Bruttosozialprodukt in den vergangenen 40 Jahren versechsfacht. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1970 verdoppelt und wächst weiter. Der Anteil der Hungernden hieran geht kontinuierlich zurück. Während noch vor 20 Jahren jeder fünfte Mensch zu wenig zu essen hatte, ist dies derzeit nur noch bei jedem achten der Fall. Das sind zwar immer noch zu viele. Man sieht aber, welchen Fortschritt wir schon gemacht haben. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist seit 1970 weltweit von ca. 60 Jahren auf ca. 70 Jahre gestiegen; in wohlhabendenden Ländern wie Deutschland von ca. 70 Jahren auf ca. 80 Jahre. Während wir uns also von einer Katastrophe zum nächsten Debakel hangeln, geht es also immer mehr Menschen materiell immer besser und sie leben länger.

Wie kann es sein, dass die Abfolge globalen Krisen scheinbar so wirkungslos auf den Fortschritt der Menschheit geblieben ist. Oder sind Krisen auf lange Sicht vielleicht sogar hilfreich für die Wirtschaftsentwicklung?

Ein Land, das schwer darunter leidet, dass es in den letzen Jahren alles zur Krisenvermeidung getan hat, ist Japan. Diese Nation hat nach dem Zweiten Weltkrieg einen spektakulären Aufschwung erlebt. In den 80er Jahren dann kam es zu einem massiven Zufluss spekulativen Kapitals, das die Preise von Wertpapieren und Immobilien künstlich aufblähte. Als die Blase in den 90er Jahre platze, wurden die entstehenden Verluste jedoch weitestgehend nicht anerkannt. Stattdessen versuchten Banken und Unternehmen, sich durch die künstliche Überbewertung von Vermögenswerten über die Zeit zu retten. Die Notenbank stützte das Finanzsystem durch extrem niedrige Zinsen, der Staat kompensierte den Nachfrageausfall durch schuldenfinanzierte Ausgaben. Dies vermied zwar einen heftigen Einbruch, führte aber auch dazu, dass die notwendige Bereinigung in Japan nie stattfand. Die japanische Wirtschaft stagniert praktisch seit 20 Jahren, nur die starke Stellung der Exportunternehmen verhindert Schlimmeres. Inzwischen liegt die Staatsverschuldung bei über 230% des BIP, eine in keiner Weise durchhaltbare Größenordnung. Würden die patriotischen Japaner nicht eisern sparen und unbeirrt ihr Geld in Staatsanleihen stecken, wäre das Land schon längst pleite. Die neue Regierung versucht jetzt, die Stagnation mit mehr schuldenfinanzierte Staatsausgaben und noch mehr Gelddrucken durch die Notenbank zu überwinden. Dies ist so offensichtlich zum Scheitern verurteilt wie alles, was die Vorgänger versucht haben. Japan wird davon erdrückt, dass es nie die Altlasten aus den Boomzeiten bereinigt und einen Neuanfang versucht hat.

Wirtschaftskrisen sind Selbstreinigungsprozesse des Kapitalismus. Wer Krisen nicht zulässt, zementiert alte ineffiziente Strukturen. In schwierigen Zeiten kommt hingegen die Stunde von findigen Unternehmern, die mit kreativen Ideen neue Märkte entwickeln und damit die weitere ökonomische Entwicklung erst ermöglichen. So führten erst die Ölkrisen zur Entwicklung von Energiespartechnologien, die einen sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen dieser Welt ermöglichen und damit die Voraussetzung geschaffen haben, dass so viele Menschen in den vergangenen Jahren tatsächlich ihren Wohlstand steigern konnten.

Natürlich sind Wirtschaftskrisen für die unmittelbar Betroffenen sehr hart. Aber sie sind immer das Resultat von massiven Fehlsteuerungen in der Vergangenheit. Und sie eröffnen die Möglichkeit, dass etwas Neues und Besseres an die Stelle des Alten tritt. Wie das Beispiel Japan zeigt, hilft es nichts, wenn man sich unangenehme Wahrheiten nicht eingesteht. Schweden steckte 1992 tief in der ökonomischen Misere, Süd-Korea 1998. Beide Länder haben aber die richtigen Konsequenzen hieraus gezogen und sind jetzt starke Wirtschaftsnationen. Die Euro-Politik war bisher von einem Verleugnen der realen Probleme geprägt. Dies hat nicht funktioniert, weil man mit Austerität keine Strukturprobleme beseitigen kann. Der wirtschaftliche Absturz Südeuropas ist ein Realitätsschock. Diesen sollte man aber zulassen, damit Spanien, Italien etc. sich wieder auf ihre eigentlichen Stärken besinnen. Davon gibt es sehr viele. Und wir Deutschen sollen den Krisenländern Zeit geben, ihren Weg zu finden, und sie nicht aus Sorge um unsere Spargroschen als säumige Schuldner drangsalieren. Dann haben wir alle wieder eine gemeinsame Zukunft in einem besseren Europa vor uns.

Der Beitrag erscheint ebenfalls in “Mit ruhiger Hand” Nummer 11 am 4. März 2013

Zoran Depic März 19, 2013 um 23:59 Uhr

Der Euro wird stagnieren, dank der des deutschen Wirtschaftswachstums, aber der Dollar nicht.
Kleinere europäische Länder, die noch keinen Euro haben, wie Ungarn, Bulgarien oder Rumänien gehen runter. Vor allem Ungarn ist gefährdet, dank den vielen unortodoxen politischen Entscheidungen, welche verhindern, ausländische Kapital ins Land zu bringen.. sehr schade:(

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