Gastbeitrag von Mario H. Sladek, TriSolutions GmbH*
Die Risikotragfähigkeit der Institute ist Kernkompetenz einer integrierten Gesamtbanksteuerung
Viele Institute sind noch weit davon entfernt die Risikotragfähigkeit im Rahmen der Gesamtbanksteuerung als wesentlichen Wertschöpfungsfaktor zur Generierung von Steuerungsimpulsen für Risiko- und Ertrag zu nutzen oder zu begreifen. Derzeit besteht auch von Seiten der Aufsicht erheblicher Diskussions- und Handlungsbedarf in den Instituten. Dies betrifft beispielsweise eine vorausschauende Risikomessung, die Optimierung der Kapitalbasis und die Einbeziehung der Risikotragfähigkeit in die Entscheidungsprozesse der Geschäfts- und Risikostrategie.
Eine der wichtigsten Baseler Anforderung im Risikomanagement ist die Implementierung von Prozessen zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (Internal Capital Adequacy Assessment Process: ICAAP). Gemäß Säule 1 werden bekanntlich Adress-, Marktpreis- und operationelle Risiken mit regulatorischen Kapital entsprechend den Bestimmungen gemäß §10 KWG und SolvV unterlegt. Die bankaufsichtliche Überprüfung zielt mit Säule 2 insbesondere auf die qualitativen Elemente im Risikomanagement der Banken ab und verlangt darüber hinaus die Messung, Limitierung und Steuerung aller als wesentlich identifizierten Risiken.
Bereits mit der Veröffentlichung des Papiers „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte“ im Dezember 2011 sorgte die Bundesbank für notwendige Transparenz aufsichtlicher Einschätzungen. In ihrem jüngsten Monatsbericht vom März 2013 hat die Bundesbank einen Beitrag über „Bankinterne Methoden zur Ermittlung und Sicherstellung der Risikotragfähigkeit und ihre bankaufsichtliche Bedeutung“ veröffentlicht. Im Kern werden die Anforderungen und die unterschiedlichen Risikotragfähigkeitskalküle, wie sie die MaRisk im AT 4.1 prinzipienbasiert skizzieren, anwenderbezogen einer kritischen Betrachtung unterzogen. Damit unterstreicht die Aufsicht einmal mehr, für wie wichtig sie eine angemessene Kapitalausstattung sowie eine effektive Steuerung der Risikotragfähigkeit der Institute für ein stabiles Finanzsystem erachtet. Folgende Themen werden von der Aufsicht besonders beleuchtet und im Monatsbericht zielorientiert diskutiert:
In der Praxis existieren verschiedene Modellansätze und Perspektiven zur Risikotragfähigkeit
Eine Bank ist im Grundsatz risikotragfähig, wenn sie nach Abzug aller wesentlichen Risiken noch über genügend Substanz verfügt, um ihre Gläubiger im Falle einer ‚Liquidation‘ bedienen zu können oder aber noch zur ‚Fortführung‘ und Umstrukturierung der Geschäfte in der Lage ist. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Die Risikomessung und die Ermittlung der Risikodeckungspotentiale folgen dabei jedoch unterschiedlichen Kalkülen.
Die Bundesbank würdigt die jeweiligen Sichtweisen zum Schutz der Gläubiger in einem Liquidationsszenario (Gone-Concern Approach) und im Fortführungsansatz (Going-Concern Approach) im Hinblick auf eine methodisch konsistente Ab- und Überleitung der zur Deckung der wesentlichen Risiken benötigten Risikodeckungspotentiale. Die Aufsicht macht darauf aufmerksam, dass der Liquidationsansatz bei bilanzorientierter Ableitung des Risikodeckungspotenzials einen methodischen Bruch beinhaltet. Auch der Going-Concern-Ansatz mit wertorientierter Ableitung des Risikodeckungspotentials wird mangels einer konsistenten Überleitungsrechnung methodisch als problematisch angesehen.
Die Risikomessung umfasst eine Reihe unterschiedlicher Aspekte bei der Risikotragfähigkeit
Das Liquiditäts- und Refinanzierungskostenrisiko ist im Ergebnis der Finanzkrise stark in den regulatorischen Fokus der Bankenaufsicht gerückt. Auch wenn das Liquiditätsrisiko mit Basel III durch Einführung neuer Kennzahlen (LCR und NSFR) stärker reglementiert wird, werden das Risiko des Anstieges der Refinanzierungskosten (Liquiditätsfristentransformationsrisiko) und deren Berücksichtigung im Rahmen der Gesamtbanksteuerung (Funds Transfer Price System) in vielen Häusern noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Zur Messung von Risiken sind dem Geschäfts- und Risikomodell entsprechende Risikoquantifizierungsverfahren zu Grunde zu legen. Dem Proportionalitätsaspekt folgend, können kleinere Institute auch einfache bzw. standardisierte Verfahren anwenden. Falls sich diese Institute für fortgeschrittene Verfahren entscheiden greifen hier jedoch die strengeren Maßstäbe an die Modellgüte, -validierung und Datenqualität. Dies betrifft vor allen den kritischen und ressourcenintensiveren Umgang mit eingesetzten Risikoquantifizierungsverfahren und deren Weiterentwicklung.
Der Nachweis von Überschneidungen zwischen Migrations- und Spreadrisiken ist in den Instituten nicht zweifelsfrei erbracht. Kreditrisiken lassen sich bekanntlich als Ausfall-, Migrations- und Spreadrisiken messen. Das Spreadrisiko kommt grundsätzlich in zwei Ausprägungen zum Vorschein: (a) Vorwegnahme einer Ratingänderung oder (b) als kurzfristige – teilweise extreme – Marktpreisschwankung, ohne dass hier die Fundamentaldaten des Emittenten betroffen sein müssen. Zwischen beiden Ausprägungen ist zu unterscheiden. Spreadänderungen müssen also nicht zwangsweise zu Bonitätsänderungen führen. Ratingänderungen bzw. bonitätsabhängige Migrationen sind in aller Regel träge. Der Nachweis eines zeitnahen Zusammenhangs zwischen Spreadveränderung und Migrationsveränderung über die in Ansatz gebrachte Haltedauer hinweg ist nicht trivial.
Die größte Herausforderung besteht aber immer noch wegen der erforderlichen Länge der Zeitreihen
bei der Bestimmung der Korrelationsparameter, insbesondere wenn diese aus Ausfalldaten geschätzt werden sollen.
Das Pool-Verfahren bei Kreditportfoliomodellen sieht die Aufsicht als problematisch an, da eine einheitliche Definition und Erfassung von Ausfällen und vergleichbarer Sicherheitenbewertung nicht gewährleistet werden kann. Die Aufsicht stellt in Frage, ob in verschiedenen Regionen dieselben Korrelationen verwendet werden können.
Komplexe Produkte verlangen eine adäquate Berücksichtigung in der Marktpreisrisikomessung. Die Aufsicht bemerkt, dass die etablierten Verfahren und beim Neuproduktprozess in vielen Fällen unzureichend sind.
Bei der Bestimmung der Risikotragfähigkeit wird bemängelt, dass dem ökonomischen Prinzip bei der Integration der Marktpreisrisiken bezüglich der Dimensionierung der Haltedauer unzureichend entsprochen wird. Die Aufsicht hegt zudem Zweifel an der Absicht und der Fähigkeit der Institute, Marktpreisrisikopositionen länger geschlossen zu halten, aus welchen eine kritischere Betrachtung des Geschäftsmodells und der Ertragsquellen resultiert.
Die Aufsicht hebt hervor, dass zur Steuerung des Zinsänderungsrisikos der regulatorische Zinsschock (gemäß Rundschreiben zum Zinsschock: RSZÄR 11/2011) nicht ausreicht, da dieser ausschließlich auf die Parallelverschiebung abstellt.
Mittels valider Korrelationsparameter können kapitalschonende Diversifikationseffekte bei der Berechnung des Risikokapitalbedarfs in Ansatz gebracht werden. Eine valide bzw. empirische Herleitung ist in vielen Fällen jedoch nicht gegeben. Das Gesamtrisiko kann unter bestimmten Umständen auch die Summe der geschätzten Einzelrisiken überschreiten.
Viele der derzeitigen Risikoquantifizierungsverfahren messen Risiken vergangenheitsbasiert. Die Steuerung der Risiken ist aber auf die Zukunft ausgerichtet. Daher mahnt die Aufsicht zur kritischen Reflexion der eingesetzten Verfahren im Hinblick auf deren Beschränkungen und Grenzen im Rahmen der Modellvalidierung.
Die Bestimmung und Planung von Risikodeckungspotenzialen birgt noch immer Unschärfen
Bei der Bestimmung der Risikodeckungsmasse weist die Aufsicht u.a. darauf hin, dass eine undifferenzierte Berücksichtigung von Plangewinnen als Risikodeckungspotenzial in der Perspektive Going Concern im Widerspruch zur substanzbasierten Risikotragfähigkeitsbetrachtung steht. Eine Berücksichtigung kann nur in dem Umfang erfolgen, als dass nachweisbar konservative Abschläge von den Plangewinnen vorgenommen werden.
Laut MaRisk haben die Institute einen mehrjährigen Kapitalplanungsprozess zu implementieren. Die Bundesbank stellt fest, dass dabei auch eine lediglich grobe Abschätzung des Kapitalbedarfs in gewissen Grenzen als angemessen gelten kann. Dabei sollte die Betrachtung der Risiken im Rahmen einer integrierten Sicht nicht vernachlässigt werden. Der Umfang der Kapitalplanung sollte sich zudem nicht ausschließlich nur auf die regulatorischen Komponenten beziehen.
Fazit
Obgleich die Aufsicht kein eigenes Modell zur Risikomessung gem. Säule 2 in Aussicht stellt, wird sie den Druck auf die Banken zur ertrags- und risikoorientierten Ausgestaltung ihrer Risikosteuerungskonzepte und -prozesse weiter erhöhen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einem effektiven, nachvollziehbaren und konsistenten Einsatz von Ertrags-, Risiko- und Kapitalsteuerungsinstrumenten.
Die Aufsicht verstärkt ihren Fokus zudem auf das Thema Datenhaltung sowie Management-Informationssysteme. Das Basel Committee on Banking Supervision hat hierzu im Januar 2013 die von der Task Force on SIB Supervision of the Standards Implementation Group erarbeiteten Grundsätze (BCBS 239) for Effective Risk Data Aggregation and Risk Reporting veröffentlicht.
Dabei stellt die Aufsicht klar, dass künftig auch vom systematischen Einsatz von Kapitalzuschlägen durch die Aufsicht Gebrauch gemacht wird, falls die Risikosteuerungsprozesse mängelbehaftet sind.
Der Autor:
Mario H. Sladek ist Berater bei der TriSolutions GmbH, einer auf Risikomanagement und Gesamtbanksteuerung spezialisierten Unternehmensberatung. Die Schwerpunkte seiner Beratertätigkeit liegen in der strategischen Gesamtbank- und Risikosteuerung (ICAAP) und bei der ganzheitlichen Umsetzung von regulatorischen Anforderungen (u.a. MaRisk, Basel II/III). Davor arbeitete Herr Sladek viele Jahre im Risiko- und Auditmanagement international tätiger Groß- und Investmentbanken im In- und Ausland. Sein Betriebswirtschaftsstudium absolvierte er an der Fachhochschule der Deutschen Bundesbank.
@Nixda
Die Kritik kann ich jetzt überhaupt nicht nachvollziehen
Was ist denn die Alternative. Keine Risikomodell, also vollkommen im Blindflug fahren?
Und sollen die Banken gegen die Gesetze verstoßen, die gerade immer die Kritiker des Finanzsektors gefordert haben und jetzt zu den strengen Auflagen führen?
Natürlich kann und muss man über die Qualität der Modelle ständig nachdenken. Aber wenn man sich die regulatorischen Zwänge im Detail anschaut, dann wird der Spielraum immer kleiner.
Ist das Kauderwelsch ernst gemeint oder eine Glosse?
Wir brauchen keine neue Modelle, hinter denen sich die Banken verstecken können mit den dezenten Hinweis, nur sie könnten diese verstehen, Wir brauchen auch keine Konstruktionen „…die die Risikotragfähigkeit im Rahmen der Gesamtbanksteuerung als wesentlichen Wertschöpfungsfaktor zur Generierung von Steuerungsimpulsen für Risiko- und Ertrag nutzen.“
Die Vergangenheit haben gezeigt, dass die Modelle zur Risikoabschätzung untauglich waren. Wenn wir jetzt andere verwenden bleibt das Risiko, dass sich diese mit ähnlichen Folgen als ebenso untauglich erweisen.
Ich glaube schon, dass sich die Banken ernsthaft mit ihren Risiken auseinandersetzen müssen. Und da Bankgeschäfte nun mal risikobehaftet sind, müssen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Die Aufsicht wirkt darauf hin, dass diesem Umstand adäquat Rechnung getragen wird und dass Schönrechnen nicht passiert. Was ist daran Glosse?
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