Die zehn beliebtesten Ausreden der Finanzindustrie

by Karl-Heinz Thielmann on 18. Juni 2013

1) „Das konnte man nicht vorhersehen“

Schiffsfonds, Ost-Immobilien, Solaraktien; alle haben eines gemeinsam: Sie sind vor geraumer Zeit mit optimistischen Prognoserechnungen an Anleger verkauft worden, die danach einem Scherbenhaufen zurückerhielten. Zwar stieg die Nachfrage nach Schiffen, Wohnungen oder alternativer Energie oftmals wie erwartet. Dummerweise erhöhte sich aber das Angebot noch schneller, weil ganz viele Anleger genau das gleiche machten: massiv in die Ausweitung der Kapazitäten zu investieren. Und dann passierte das, was in der Marktwirtschaft immer passiert: Statt Knappheit herrschte Überangebot; der Preis fiel, anstatt zu steigen. Diejenigen, die zu eng kalkuliert hatten, machten böse Verluste. Und der Finanzberater, der einem die Anlage verkauft hatte, saß dann da, zuckte mit den Schultern und sagte: „Das konnte man nicht vorhersehen.“ Stimmt vielleicht, aber möglicherweise hätte man schon damit rechnen können, dass nicht immer alles nach Plan läuft.

Eine seit der Finanzkrise sehr beliebte Variation von „Das konnte man nicht vorhersehen“ ist „der schwarze Schwan“. Sie wird verwendet, wenn nicht einfache Anlageberater, sondern hoch bezahlte Risikomathematiker völlig danebenliegen und Geld in Höhe von mindestens 1 Milliarde US$ vernichten.

2) „Die Federal Reserve“

Wenn Aktien und Renten steigen, liegt es daran, dass erwartet wird, dass die Notenbank der USA, auch Federal Reserve bzw. kurz Fed genannt, den Geldhahn weiter aufdreht. Wenn Aktien und Renten fallen, liegt es daran, dass erwartet wird, dass die Fed den Geldhahn wieder zudreht.

Auf diese kurzen Sätze kann man 2/3 der Börsenberichterstattung dieser Tage reduzieren. Meistens macht die Fed garnichts und ist damit für die meisten Finanzmarktakteure gefährlich unberechenbar.

Möglicherweise werden an der Börse aber noch irgendwann einmal wieder andere Dinge wichtig als die Fed. Oder die Unsicherheit. Doch dazu später.

3) „Angela Merkel“

Die Bundeskanzlerin ist inzwischen zur Universalausrede für alles Mögliche avanciert, vom deutschen Versagen beim Schlager-Grand-Prix bis zum desolaten Zustand der SPD. Mit ihrer Europolitik hat sie aber auch eine unverzichtbare Rolle als Sündenbock an den Finanzmärkten übernommen. Den einen ist sie zu hart, den anderen zu weich. Einigen ist sie zu unentschlossen, wiederum anderen zu unnachgiebig. Auf jeden Fall macht sie alles falsch, wobei jeder eine eigene Meinung davon hat, was sie nun hätte besser machen können. Unter Wertpapierhändlern, Vermögensverwaltern, Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten hat Angela Merkel damit inzwischen die gleiche Funktion übernommen wie der Bundestrainer unter Fußballfans. Jeder kann sich stundenlang darüber auslassen, was er alles anders und besser machen würde. Damit kann dann auch jeder das Gefühl bekommen, er könnte die Welt retten, wenn man ihn nur lassen würde.

4) „Unsicherheit“

Wenn Aktien steigen und Renten fallen, liegt es daran, dass erwartet wird, dass die Unsicherheit sinkt. Wenn Aktien fallen und Renten steigen, liegt es daran, dass erwartet wird, dass die Unsicherheit steigt.

Auf diese Sätze kann man 1/3 der Börsenberichterstattung dieser Tage reduzieren und beschreibt damit den Teil der Statements, der sich nicht auf die Fed bezieht. Zu Zeiten der Finanzkrise war es allerdings umgekehrt. Damals wurden die Börsenbewegungen vorwiegend mit Unsicherheit erklärt und nur selten mit der Fed. Falls irgendwann einmal 100% der Marktbewegungen mit der Fed erklärt werden und keine mehr mit Unsicherheit, ist dies ein Zeichen für eine anstehende Börsenwende. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit.

5) „Fat Finger“

Fat Finger ist die offensichtlich peinlichste Ausrede. Daher ist sie schon fast nicht mehr als Ausrede zu bezeichnen, sondern eher schon als Eingeständnis. Wie auch immer, ein Fat Finger bedeutet, dass ein Banker (oder eine Bankerin) mit dem Patschehändchen die falsche Taste gedrückt hat und hieraufhin versehentlich Finanztransaktionen in bizarren Größenordnungen durchgeführt werden. Wenn Kurse zwischenzeitlich abstürzen wie beim „Flash Crash“ im Mai 2010, dann werden gerne mal fehlerhaft aufgegebene Trades als Grund genannt. Meistens stimmt dies auch.

Gelegentlich passieren Fat Finger aber auch außerhalb der Börse, werden i. d. R. besser vertuscht. Außer bei bei der Frankfurter Volksbank, wo einmal ein Mitarbeiter während der Arbeit eingeschlafen ist und beim Ruhen auf der Tastatur eine Überweisung von 222.222.222,22 Euro losgeschickt hat.

Eine Innovation der Neuzeit ist der Fat Finger bei Programmierern. 2012 führte eine Softwareumstellung beim High Frequency Trader Knight Capital dazu, dass die Handelsprogramme durchdrehten und der Firma einen Verlust von 440 Mio. US$ bescherten.

6) „Die Kunden wollen es nicht anders“

Stimmt, es gibt immer noch zu viele Kunden, die nicht Volkswirtschaft oder Finanzierung oder Ähnliches studiert haben oder nicht regelmäßig „Finanztest“ lesen. Die kennen sich einfach nicht richtig aus. Wenn sie dann mit ihren naiven Vorstellungen zu einem Finanzberater kommen, ist es aus didaktischen Gründen viel sinnvoller, ihnen erstmal nicht die ganzen komplexen Zusammenhänge zwischen Risiken, Chancen und Kosten zu erklären. Das verwirrt nur unnötig. Wenn man ihnen stattdessen mit unrealistischen Renditeprognosen ein hochriskantes und überteuertes Anlageobjekt andreht, dann haben die Kunden die Möglichkeit, wirklich etwas fürs Leben zu lernen, und das ganz ohne Fachausbildung. Denn, wie schon das Sprichwort sagt: Nur aus Schaden wird man wirklich klug!

7) „Das BaFin / Verbraucherschutz/ Geldwäsche etc.“

Alles wird komplizierter im Finanzwesen, und daran sind natürlich die übereifrigen Regulierer oder die blöden Bestimmungen zum Verbraucherschutz bzw. gegen Geldwäsche schuld. Auf sie ist zurückzuführen, dass man als Bankkunde Tausende von Formularen auffüllen muss. Wegen ihnen bekommt man unverständliche dicke Bücher mit Durchführungsvorschriften und Risikohinweisen in die Hand gedrückt, bevor man irgendetwas machen darf. Vor allem sind sie schuld daran, dass man als Kunde ständig irgendwo unterschreiben muss, dass alles Mögliche mit dem der Bank anvertrauten Geld passieren kann, aber die Bank oder ihre Mitarbeiter keinesfalls in irgendeiner Form etwas verstehen oder verantwortlich gemacht werden können.

Auf keinen Fall schuld an der Misere haben die Bankmitarbeiter, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Abläufe zu bürokratisieren oder neue Formulare zu entwerfen. Den eigentlich sind das ganz lockere Leute. Am Wochenende und am Feierabend. Wenn man sie nur lässt. Eigentlich.

8) „Die Rating-Agenturen“

Insbesondere bei festverzinslichen Wertpapieren wird gerne vor der Anlageentscheidung auf das sogenannte Rating geschaut, das heißt die standardisierte Bewertung von Ausfallrisiken durch unabhängige Agenturen. Leider hat gerade die Finanzkrise offenbart, dass viele von diesen angeblich unabhängigen Einschätzungen keinerlei Bezug zum tatsächlichen Risikogehalt hatten. Was liegt dann näher, als die Schuld für ein Fehlinvestment auf ein irreführendes Rating zu schieben?

Rating-Agenturen sind langsam, prozyklisch und von ihrer Methodik her höchst zweifelhaft. Ihre Werturteile reflektieren weniger zukünftige Risiken als vergangene Entwicklungen. Sie liegen ziemlich oft daneben. Dies ist jedoch allgemein bekannt. Insbesondere bei institutionellen Investoren, die sich vor allem auf Ratings berufen, ist dies kein Geheimnis. Insofern ist es oberfaul, wenn gerade Finanzmarktprofis ihre Fehlentscheidungen mit irreführenden Ratings rechtfertigen. Sie hätten es besser wissen müssen.

Die Schuld auf Rating-Agenturen zu schieben ist daher auch nicht identisch mit „Das konnte man nicht vorhersehen“. Da Rating-Änderungen meist gewissen Mustern folgen, sind zumindest sie relativ gut prognostizierbar. Es entspricht mehr einem „das wollten wir nicht vorhersehen“, was sich allerdings nicht so gut anhört.

9) „Technische Probleme“

Technische Probleme sind ein Grundübel der modernen Welt. Sie eignen sich deshalb nicht nur als Ausrede in der Finanzindustrie, sondern werden von allen Unternehmen gerne genutzt, die viel mit unzufriedenen Kunden zu tun haben – wie Telekomkonzerne oder Bahnreiseunternehmen. Denn natürlich ist immer die Maschine schuld, wenn aus Kostengründen billige, aber unzuverlässige Hardware eingesetzt wird; die Mitarbeiter von IT-Abteilungen nur aus Nerds bestehen, die zu doof für eine richtige Computerfirma waren; sowie IT-Infrastrukturen mit schlecht oder gar nicht funktionierenden Schnittstellen geschaffen werden.

Technische Probleme sind vor allem hilfreich, wenn man dem Kunden vorgaukeln möchte, dass man sich ernsthaft um sein Anliegen bemühen möchte, nur leider aufgrund höherer Mächte (technische Probleme kommen nun einmal wie ein Blitz aus heiterem Himmel) jetzt gerade nicht dazu in Lage ist.

10) „Der Euro“

Der Euro als Ausrede hängt eng mit der Ausrede „Angela Merkel“ zusammen, wird aber doch unterschiedlich gebraucht. Im Alltag ist der Euro z. B. daran schuld, dass die Eiskugel beim Italiener um die Ecke jedes Jahr um 10 Cent teurer wird. Angela Merkel hingegen wird im Alltag eher diffus wahrgenommen. An den Finanzmärkten ist das anders: Hier ist immer Angela Merkel daran schuld, wenn die italienischen Staatsanleihen jeden Tag um 10 Cent billiger werden. Der Euro hingegen wird – je nach Standpunkt – entweder als eine diffuse Drohung oder als unabwendbarer Schicksalsschlag wahrgenommen.

Schlussanmerkung: Glücklicherweise haben wir – zumindest in Deutschland – noch nie von kriminellem Verhalten als Ausrede in der Finanzindustrie gehört. Zumindest in dieser Hinsicht kann man also beruhigt sein…

egghat Juni 19, 2013 um 13:45 Uhr

Na eins fehlt. (Wirklich).

Bedauerlicher Einzelfall/Einzeltäter.

(LIBOR/Schwarzgeldwäsche/Kerviel/…)

Nixda Juni 18, 2013 um 19:48 Uhr

Sehr guter Beitrag!

Simon Juni 18, 2013 um 14:40 Uhr

An der 6. Ausrede, „die Kunden wollen es nicht anders“ ist schon etwas Wahres dran: Bei anderen komplexen Produkten wie Autos informiert sich doch der deutsche Michel wochenlang im Voraus um sich dann beim Verkaufsgespräch im Autohaus mit dem Verkäufer zu messen. Für die Meisten sind doch auch die Bestandteile, wie ein komplexer Verbrennungsmotor, keine Blackbox: Es ist schon ungefähr klar, was eine Zündkerze macht, was ein Turobolader ist oder dass sich ein Diesel anders anfühlt als ein Benziner.

Ich finde, dass man im Finanzbereich durchaus verlangen darf, dass sich die Leute etwas informieren. Bei der Menge an negativer Presse, dürfte ein wenig Skepsis gegeben sein.

Die Herkunft des Gedankens ist wohl, dass wir Kapitalerträge und Arbeitseinkommen als unterschiedlich wahrnehmen. Finanzprodukte sollen sich gesetzlich verordnet magisch vermehren. Ich finde das falsch. Gerne staatlich beaufsichtigte Sozialsysteme und Rente, die das Nötigste abdecken und die Leute auffangen, aber darüber hinaus sollten wir Kapital genauso behandeln wie Arbeit: Gleiche Besteuerung, gleiche Eigenverantwortung. Man sucht sich sein Investment/Beruf und nimmt eben nicht das erstbeste, was einem Irgendjemand andreht, sondern „verwirklicht sich selbst“.

bingo Juni 18, 2013 um 06:58 Uhr

Dabei ist das mit der Finanzkrise doch ganz einfach. Es geht immer so lange gut bis das System zusammenbricht weil ein andauerndes Wachstum nicht realistisch ist. Irgendwann hat einfach jeder zwei Toaster, drei Autos und fünf Handys.
Und wenn auch keiner mehr ein Auto haben will mit dem man gleichzeitig bügeln, föhnen und grillen kann, muß das System eben wieder „resettet“ werden.
Der beste Weg dort hin ist natürlich immer ein großer Krieg, weil man auf diese Weise auch gleichzeitig die lästigen, überschüssigen Menschen loswird.

Danach geht das Spiel wieder von vorne los. Zuletzt vor dem zweiten Weltkrieg, und davor vor dem ersten Weltkrieg. Das weiß doch mittlerweile jedes Kind. Und momentan arbeiten die Amis mit Hochtouren am dritten großen Krieg indem sie einfach „scheinbar“ wahllos sämtliche Länder in Nahost mit Krieg überziehen. Und „wir“ deutschen sind mal wieder so blöd dem „Führer“ zu folgen und an diesem Massenmord teilzunehmen Das ist doch alles ein alter Hut. Also – bereitet Euch schon mal darauf vor zu sterben oder zumindest den Dreck den die Amis diesmal hinterlassen wieder aufzuräumen.

Die Frage ob die USA im Zuge ihrer permanenten Ölfindung und Weltherrschaftsgeilheit nicht auch schon den ersten und zweiten Weltkrieg zumindest durch Mauscheleien hervorgerufen haben sei mal dahingestellt. Jedenfalls kamen den Amis diese beiden Weltkriege sehr zu gute bei ihrem langjährigen Endziel den Iran zu besitzen. Aber das ist ein langes Thema und lässt Platz für diverse Spekulationen in alle möglichen Richtungen.

Fakt ist nur – die meisten, die das jetzt gerade lesen sind bald tot.

Habnix Juni 18, 2013 um 07:25 Uhr

Nein, man wird nicht nur die lästigen scheinbar überschüssigen Menschen los.Vielmehr geht es darum das durch Krieg der ja Zerstörung Not und Elend bringt wodurch Menschen genötigt werden die entstandene Not durch Materialverkauf die Not und das Elend zu lindern. Dazu noch die Zerstörung die ausgeglichen werden muss.Es entsteht wieder bedarf.

Aber meine lieben Mitmenschen macht euch so gut wie möglich alles selbst.Energie und Nahrung ist das wichtigste.Energie mit Wasserrad,Windrad Sonnenenegie(Solarzellen) so fern möglich und es ist einiges möglich.

bingo Juni 18, 2013 um 09:22 Uhr

@ Habnix
prinzipiell schon richtig, aber wenn hier weltweit alles zusammenbricht, dann gibt es auch niemanden mehr, der Dir deine Solarzellen repariert wenn sie kaputt gehen. also besser schon mal auf weniger Strom einstellen. Da man eh Wasser brauchen wird sollte man auf wasserkraft setzen, falls man die scheiße tatsächlich überlebt.
Die berühmte geschichte mit den zwei Fliegen und der Klappe. Dann mu0ß man nur noch jedem die Hand abhacken, der einem das Wasser umleiten oder sonstwie wegnehmen will.

FDominicus Juni 18, 2013 um 05:55 Uhr

Bei 1 muß ich wohl der bessere Experte sein. Mir wurde das auch angeboten und ich brauchte nicht sehr lange um mich davon zu überzeugen, lieber die Finger davon zu lassen.

2 ist nun mal Basiswissen. Über die Hälfte der Problem liegen ursächlich am Geldmonopol von Staaten die andere Hälfte 😉 in der Einmischung von Staaten in das Leben jedes Einzelnen und den unhaltbaren Versprechungen (abzulesen an den explodierenden Schuldenbergen)

Wie es bei einer Kombination dann aussieht kann man bei ZH heute lesen:
http://www.zerohedge.com/news/2013-06-17/rotting-decaying-and-bankrupt-%E2%80%93-if-you-want-see-future-america-just-look-detroit

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