OTC-Regulierung EMIR: Bankenaufsicht sieht durch Colla­teral Transformation neue Risiken für das Finanzsystem

by Dirk Elsner on 20. Juni 2013

Solche Beiträge wie dieser hier sind eigentlich Gift für die Besucherzahlen dieses Blogs. Alle lesen gern etwas darüber, wenn man die Banken an die Regulierungskette legt und den wilden Börsenhandel zähmt. Kaum jemand mag sich aber mit den Details der Regeln befassen. Das haben anscheinend auch nicht die G20-Staaten gemacht, als sie 2009 in Pittsburgh beschlossen, das sogenannte außerbörsliche Derivategeschäft strenger zu regulieren.

Das was die Staatschefs der Industriestaaten damals in wenigen Zeilen (hier ab Seite 8) forderten, haben mittlerweile Politiker und Bürokraten weltweit auf einige tausend Seiten an Gesetzen, Umsetzungsvorschriften und Erläuterungen aufgeblasen. Dennoch hat der deutschen Aufsichtsbehörde Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bisher kein Mitgliedstaat die Beschlüsse der G20 vollständig umgesetzt. In ihrem Journal schreibt die Aufsichtsbehörde (S. 10):

“Zwar seien die EU und Deutschland mit der Verordnung über OTC-Derivate, Zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation – EMIR ) mit der rechtlichen Umsetzung bereits weit fortgeschritten. Die globale Regulierungslandkarte ähnele aber einem Flickenteppich.”

Mit EMIR ist übrigens die Umsetzung der G20-Beschlüsse in Europa gemeint. Zu EMIR gehört eine Verordnung, nationale Gesetze und weitere aufsichtsrechtlicher Vorgaben (Branchenjargon: technische Standards).

Die Regulierung der OTC-Derivate sollte allerdings keine ABM-Maßnahme für Aufsichtsbehörden und eine Wirtschaftsförderung für Zentrale Gegenparteien sein, sondern auch die Finanzmärkte sicherer machen. Ich hatte in einer Kolumne für das Wall Street Journal daran bereits Zweifel geäußert: Wie EMIR die Fragilität der Finanzmärkte erhöht.

Auch in der Börsen-Zeitung war Skepsis nicht zu überlesen, als sie im April schrieb:

“Ob indes jegliches systemische Risiko zu beseitigen sein wird, bleibt fraglich. Denn mit den CCP ist gerade eine neue Generation unbekannter Marktteilnehmer geboren worden. Insoweit bleibt nur zu hoffen, dass sich die Anforderungen an die CCP selbst als praxistauglich erweisen und die Kontrolle der Clearingplattformen durch die zuständigen Aufsichtsbehörden gelingen wird. “

Mittlerweile hat die BaFin selbst nachgelegt mit Kritik an EMIR. Laut Börsen-Zeitung vom 4.6. beobachtet die Behörde, die übrigens bei der Erarbeitung der Vorschriften kaum mitreden durfte, die Folgen von EMIR mit Skepsis. Konkret geht es um die sogenannten Besicherungsanforderungen für Derivate. EMIR verlangt, dass die möglichen Verpflichtungen aus Derivategeschäften mit erstklassigen Sicherheiten unterlegt werden. Da aber das für Sicherheiten zur Verfügung stehende Material begrenzt ist, müssen sich Banken und andere Marktteilnehmer diese Sicherheiten beschaffen. Dies machen sie u.a. über Colla­teral Transformation.

Nach einem Bericht im Finance Magazin schätzt der Weltwährungsfonds IWF und Finanzmarktexperten, dass der zusätzliche Bedarf an “sicheren Assets” durch EMIR und andere neue Vorschriften (Basel III) weltweit mehrere Billionen Dollar erreichen könnte. So viel gibt der Markt allerdings nicht her. Darüber sind etwa viele Industrieunternehmen gar nicht darauf eingestellt, Sicherheiten für ihre Derivategeschäfte zu hinterlegen. Banken bieten daher Marktteilnehmern, die für ihre Geschäfte über zu wenig Sicherheiten verfügen, erstklassige Sicherheiten im Tausch gegen Wertpapiere mit schlechterer Bonität an, natürlich gegen entsprechende Entgelte. Dadurch werden laut BaFin Jurist Stefan Pan­koke auf einer Veranstaltung der Be­hörde in Frankfurt „neue Risiken ins Bankensystem her­eingegeben“, obwohl die Verrech­nungspflicht über CCP doch gerade mit dem Ziel eingeführt werde, sol­che systemischen Verflechtungen zu verringern” (Börsen-Zeitung).

Nach Informationen des Finance-Magazins bieten mindestens sieben Finanzinstitute in den USA bereits das „Upgrading“ von Sicherheiten an. Darunter Goldman Sachs, Morgan Stanley und auch die Deutsche Bank.

Ohne jetzt auf die Details der Regulierung zu schauen, vermeidet EMIR somit die Risiken im Finanzsektor nicht, sondern verlagert sie auf andere Marktteilnehmer, also etwa auf diejenigen, die gute Sicherheiten verleihen. EMIR verlangt zwar von Marktteilnehmern (übrigens auch von Nichtbanken) eine umfassende Offenlegung der Geschäfte in sogenannte Transaktionsregister, die durch Colla­teral Transformation verlagerten Risiken werden dadurch freilich nicht erfasst.

Die Pflicht, Geschäfte bestimmte Geschäftspartnern mit zusätzlichen Sicherheiten zu unterlegen, führt übrigens dazu, dass ganz normale Gläubiger von Banken bzw. Unternehmen, schlechter gestellt werden, wenn ihr Institut in eine Schieflage gerät.

Absurd wird das neue System übrigens auch durch eine am Mittwoch bekannt gewordene Forderung der ohnehin durch EMIR bevorzugten Clearinghäuser, im Fall von Bankenpleiten vor einem Schuldenschnitt geschützt zu werden. Im Klartext bedeutet dies: Die Forderungen der Clearinghäuser sollen trotz hinterlegter Sicherheiten von einem Bail in ausgenommen werden. Das würde bedeuten, die übrigen ohnehin benachteiligten Gläubiger haften  für eine höhere Summe.

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