Co-Autorin: Prof. Dr. Ekaterina Svetlova
Wie sind die Risiken von Kapitalanlagen zu bewerten? Die Antworten auf diese Frage fallen heutzutage vielfach mehrdeutiger aus als jemals vorher.
So gilt eine 10jährige Bundesanleihe als sehr sicher, weil sie nur ein äußerst geringes Ausfallrisiko hat. Doch ist sie wirklich sicherer als die Anleihe eines sehr soliden Unternehmens oder diejenige eines anderen Landes mit niedrigen Budgetdefiziten? Und kann man wirklich von einer sicheren Anlage sprechen, wenn die Geldentwertung die Zinszahlungen übersteigen kann? Es ist nicht möglich zu prognostizieren, wie sich die Inflationsrate in den nächsten Jahren entwickelt. Wenn sie höher ausfällt als die Verzinsung, kann man mit diesem Wertpapier die Kaufkraft des angelegten Geldes nicht erhalten.
Gold hingegen hat den Ruf als klassische Absicherung gegen Inflationsrisiken. Doch wird diese Ansicht wirklich durch historische Erfahrungen gestützt? Es gibt Beispiele dafür und dagegen. Und was passiert mit dem Gold, wenn wir keine Inflationswelle bekommen? Eignet sich ein Edelmetall mit so starken Preisschwankungen überhaupt als Absicherungsinstrument?
Mit einer Immobile verbinden viele Anleger die Erwartung einer stabilen und von der Inflation unabhängigen Wertentwicklung. Doch in Wirklichkeit ist die Preisentwicklung sehr stark von lokalen Gegebenheiten und dem Konjunkturverlauf abhängig. Sehr viele Immobilienbesitzer, die sich ihr Objekt am falschen Ort oder zur falschen Zeit gekauft haben, haben schon so manche böse Überraschung erlebt. Zudem sind Erwerb und Unterhalt meistens mit sehr hohen Kosten verbunden. Und wer irgendwann seine Immobile zu einem angemessenen Preis verkaufen will, muss feststellen, dass dies oft sehr lange dauern kann oder sogar gar nicht möglich ist, weil der passende Käufer gerade fehlt.
Kann man mit Aktien wirklich von den Wachstumstrends in der Weltwirtschaft profitieren oder stellen die globalen Entwicklungen für sie eher ein Risiko dar? Die Antwort fällt je nach einzelnem Titel oder Fonds sehr unterschiedlich aus. Und sind Kursschwankungen an der Börse eher ein Risikofaktor oder eröffnen sie günstige Kaufchancen?
Kapitalanlagen sind immer eine Wette auf die Zukunft, und diese ist ungewiss, weil niemand genau prognostizieren kann, was passieren wird. Insbesondere Angst haben Investoren seit je her vor Ereignissen, die dazu führen, dass ihr eingesetztes Kapital gefährdet ist. Dies ist keine neue Erkenntnis, und seitdem es die Möglichkeit gibt, Kapital anzulegen, gibt es auch Versuche, die Verlustpotenziale für Anleger zu erkennen und einzugrenzen.
Die große Finanzkrise seit 2007 hat eine tief greifende Verunsicherung von Anlegern bewirkt. Diese Verunsicherung betrifft nicht nur Privatanleger, auch große institutionelle Investoren und sogar viele Hedgefonds-Manager tun sich derzeit schwer. Denn vieles, was man bisher als selbstverständlich über die Risiken und Chancen von Kapitalanlagen angenommen hatte, wurde in den letzten Jahren infrage gestellt. Risiko scheint eines der Themen zu sein, dass bei vielen Menschen mehr Fragen als Antworten hinterlässt, je eingehender sich mit ihm befassen.
Gerade viele professionelle Anleger mussten in den letzten Jahren feststellen, dass die Risiken ihrer Investments nicht so waren, wie sie es sich eigentlich vorgestellt hatten. Einige Investoren waren sich sogar der Risiken gar nicht bewusst, die mit ihren Kapitalanlagen verbunden sind. Dies lag aber nicht daran, dass sie die Risiken von Kapitalanlagen ignoriert haben. Im Gegenteil waren insbesondere gerade die Investoren oftmals von herben Verlusten betroffen, die sich auf bestimmte Konzepte zur Risikoerkennung und Steuerung verlassen hatten. Scheinbar mathematisch präzise Risikokennzahlen erwiesen sich völlig irreführend.
Aus diesem Grund soll in einer Reihe von Beiträgen untersucht werden, warum das Thema Risiko bei Anlegern derzeit vor allem Verwirrung hinterlässt. Insgesamt zwei Themenkomplexe lassen sich als inhaltliche Gründe für die vorherrschende Verwirrung identifizieren:
1) Selbst Experten ist oft nicht klar, was unter Risiko zu verstehen ist und wie man es erfassen kann.
2) Zweites gibt es ganz grundsätzliche Missverständnisse aus der falschen oder irreführenden Anwendung von theoretischen Risikokonzepten in der Praxis. In Hinblick auf Kapitalanlagen haben sich hierbei insbesondere zwei Themenkomplexe als wichtig erwiesen:
a) Wie sind die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen sich Risikoanalyse vollzieht? Hierbei ist zwischen den Verhältnissen für interne Risikomanager und externe Risikobewertern wie z. B. Rating-Agenturen zu unterscheiden.
b) Unterschiedliche Investoren verfolgen verschiedene Anlageziele, womit auch jeweils andere Risiken für sie relevant sind. Dennoch erfolgt die Risikobetrachtung zumeist unabhängig von den Zielen eines Anlegers. Hierdurch kommt es zum einen zu missverständlichen Risikoeinschätzungen im Bezug auf den Zeithorizont des Investors, zum anderen in Bezug auf das mit „Benchmarking“ verbundene relative Risikodenken.
Für Anleger muss die allgemeine Risikoverwirrung jedoch nicht bedeuten, dass die Auseinandersetzung mit der Zukunft aussichtslos ist. Drei Investoren, David F. Swenson, Warren Buffett und Nassim N. Taleb haben in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Vorgehensweisen entwickelt, um in einem unsicheren Umfeld als Anleger erfolgreich zu sein. Deshalb wird zum Abschluss dieser Artikelserie ein Blick auf ihre Ansätze gegeben und überprüft, inwieweit sie sich auf normale Anleger übertragen lassen.
Die Begriffsverwirrung beim Investor: von tausendundeiner Risikoart
Wenn sich ein Kapitalanleger heutzutage über mögliche Verlustquellen für sein Investment informieren will und die Risikohinweise bei den entsprechenden Anbietern oder sonstige Risiko-Informationen liest, wird er mit einer Vielzahl von einzelnen Begriffen konfrontiert. Hier nur einige Beispiele:
Ausfallrisiko, Bewertungsrisiko, Bonitätsrisiko, Diversifikation, Emittentenrisiko, Fat-Tail-Risiko, Garantierisiko, Inflationsrisiko, Klumpenrisiko, Konjunkturrisiko, Kostenrisiko, Kreditrisiko, Kursrisiko, Länderrisiko, Liquiditätsrisiko, Managementrisiko, Marktrisiko, maximaler Verlust, Risikostreuung, Short-Fall Risiko, steuerliches Risiko, systematisches Risiko, Totalverlustrisiko, Transferrisiko, unsystematisches Risiko, Value at Risk, Volatilität, Währungsrisiko, Zinsänderungsrisiko, usw.
Allein die Diskussion dieser Begriffe würde den Rahmen dieser Reihe sprengen und den Leser vermutlich genauso langweilen wie die üblichen Risikohinweise in Bankbroschüren. Denn diese dienen vor allem einem Zweck: Das juristische Risiko des Bereitstellers zu vermindern, wegen Fehlinformation verklagt zu werden. Unter dem Vorwand einer möglichst umfassenden Information wird der Anleger mit ihm unverständlichen Begriffen bombardiert, ohne sie aber verstehbar aufzubereiten oder auch Zusammenhänge zwischen verschiedenen Risiken oder zwischen Risiken und Ertragsmöglichkeiten transparent aufzuzeigen.
Dabei ist ein genaues Verständnis der potenziellen Ursachen für mögliche Vermögensverluste essenziell dafür, gerade wenig erfahrene Anleger vor bösen Überraschungen zu bewahren. So zeigen insbesondere die Erfahrungen aus der Pleite von Lehman Brothers 2008 zwei eklatante Mängel im Risikoverständnis von Anlegern und ihren Beratern:
1) Vielen Investoren war zwar das Kursrisiko ihrer Anlage bekannt, sie waren sich aber nicht des Emittentenrisikos aus Zertifikaten von Lehman Brothers bewusst.
2) Gerade viele Kleinanleger hatten ihre Anlagen in eines oder sehr wenige riskante Papiere konzentriert und damit massiv gegen den relativ simplen Grundsatz der Risikostreuung verstoßen.
Die Vielzahl von möglichen Risiken, ihrer unterschiedlichen Ursachen und verschiedenen Ausprägungsformen hat nicht nur für private Anleger in den vergangenen Jahren zu bösen Überraschungen geführt. Gerade viele professionelle Anleger, die sich mit bestimmten Risiken auseinandergesetzt hatten, haben sich in jüngster Zeit im Risiko-Begriffswirrwarr verheddert. Selbst wer sich gegen bestimmte Risiken absicherte, musste später feststellen, dass Verluste dann da auftraten, wo sie nicht erwartet wurden.
Doch was hat zu diesen Problemen geführt? Haben Ökonomie, Mathematik und Statistik überhaupt klar beschrieben, was Risiko ist und wie es zu messen ist? Haben sich die Methoden der Risikomessung als zuverlässig erwiesen? Und gab es vielleicht noch andere Schwierigkeiten im praktischen Umgang mit Risiken?
Diese Fragen sollen in den nächsten Folgen unserer Reihe beantwortet werden.
Die Reihe: „Die große Risikoverwirrung“ basiert auf einer Artiklelserie, die in „Mit ruhiger Hand“ zwischen Mai und Juli 2013 erschienen ist. Sie wurde für „blicklog“ noch einmal überarbeitet. Die Orginaltexte stehen in einer Sonderausgabe als Download zur Verfügung.
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