Große Verwirrung über Haftung deutscher Steuerzahler für Eurokrise und Banken

by Dirk Elsner on 19. August 2013

Für die meisten Beobachter dürfte die bewusste Verwirrung über die Haftungssummen deutscher bzw. europäischer Steuerzahler keine besondere Überraschung sein. Regierung und Opposition scheinen aber vollkommen den Überblick über das verloren zu haben, was sie genehmigt haben.  Die deutschen Haftungsrisiken für die Euro-Rettung liegen laut FAZ mit Bezug auf Regierungskreise bei insgesamt 122 Mrd. Euro und damit deutlich über den offiziellen Zahlen des Finanzministeriums. Im Bankenbrief vom 16.8. war dazu zu lesen:

“Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe in seinem Bericht an den Finanzausschuss des Bundestags von vergangener Woche zwar die Risiken aus den beiden Rettungsfonds EFSF und ESM aufgelistet, heißt es in dem Bericht. Nicht darin eingerechnet seien jedoch Beiträge aus dem 2010 eingerichteten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und bilaterale Kredite an Griechenland, zu denen die Staatsbank KfW bislang 15,2 Milliarden Euro beigesteuert habe. Rechne man diese beiden Posten hinzu, hafte Deutschland mit rund 122 Milliarden Euro, so der Zeitungsbericht. In einer Übersicht im Internet gebe das Ministerium aber nur 95,3 Milliarden Euro an. Nicht berücksichtigt seien in Schäubles Darstellung zudem die gestundeten Zinsen für Darlehen an Krisenländer. In der Koalition gebe es auch Stimmen, die fordern, dass die Fonds entsprechend den Regeln der internationalen Rechnungslegung IFRS Abschreibungen auf ausfallbedrohte Kredite vornehmen.”

Ich erschrak mich wegen der niedrigen Zahl, musste mich aber nicht lange sorgen. Im Wall Street Journal Deutschland rechneten Budgetexperten der Grünen andere Summen zusammen:

"Addiert man hierfür das maximale Haftungsrisiko Deutschlands beim ESM in Höhe von 190 Milliarden Euro mit dem deutschen Gewährleistungsrahmen bei der EFSF in Höhe von 211 Milliarden Euro, kommt man auf 401 Milliarden Euro", rechnete Hinz vor. Auch Risiken aus dem temporären Rettungsschirm EFSM von mehr als 11 Milliarden Euro müssten berücksichtigt werden.”

In der Zwischenzeit war wohl Wolfgang Schäuble durch die Berichterstattung der FAZ irritiert und korrigierte (ebenfalls lt. FAZ) die Zahl nach oben: “Insgesamt betrage der höchstmögliche Haftungsbetrag unverändert 310 Milliarden Euro, sagte Schäubles Sprecherin in Berlin.”

Aber auch diese “korrigierte” Zahl ist viel zu niedrig. Die oben genannten Summen liegen nämlich noch deutlich unter den Haftungspegeln, die das CESIFO-Instituts laufend aktualisiert. Dieser bezieht nämlich noch die Risiken der Target-Salden und den Haftungsanteil für den IWF mit hinein. und kommt auf 637 Mrd. Euro.

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Siegmar Gabriel bläst dann am Wochenende in das Wahlkampfgetöse noch die Haftungszahl von 1 Billion, an die er “glaubt” (Interview mit dem Deutschlandfunk).

Ich finde es hochgradig erschreckend, dass Politiker, die im Bundestag in den letzten Jahren über die direkte und indirekte Staatshaftung abgestimmt haben, unter einem Blackout leiden bzw. nur noch an Zahlen glauben. Die Haftungssummen müssten sich eigentlich ziemlich klar ermitteln lassen, sind aber wohl dem Volk vor der Wahl nicht so einfach zu vermitteln.

Zwingend zum Haftungspegel* gehören die durch Deutschland und die Eurostaaten übernommenen Risiken für das europäische Bankensystems. Wir haben in den letzten Jahren doch gesehen, wie schnell die Risiken der Banken von Staaten übernommen werden. Ich erinnere bei der Gelegenheit an eine Information der EU aus dem Dezember letzten Jahres über staatliche Beihilfen für das Bankensystem. In dem Bericht hießt es:

 

In der Zeit vom 1. Oktober 2008 15 bis zum 1. Oktober 2012 genehmigte die Kommission Beihilfen in Höhe von 5.058,9 Mrd. EUR (40,3 % des EU – BIP) für den Finanzsektor. Der größte Teil dieser Beihilfen (3394 Mrd. EUR bzw. 27,7 % des EU – BIP) wurde 2008 hauptsächlich in Form von Garantien für Anleihen und kurzfristige Verbindlichkeiten von Banken genehmigt.

Hier ist vollkommen unklar, welcher Betrag hier noch offen ist bzw. auch für künftige Krisen noch zur Verfügung steht. Markus Frühauf stellte am Freitag für die FAZ zusammen, dass Deutsche Banken 646 Milliarden Euro als Hilfsrahmen in der Finanzkrise benötigten. 259 Milliarden Euro nahmen sie in Anspruch. Er schätzt, dass davon 50 Mrd. beim Steuerzahler hängen geblieben sind. Wie das zusammen passt mit dem Gesamtvolumen von 480 Mrd. Euro, die die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (=FMSA) auf ihrer Homepage ohne weitere Differenzierung ausweist, ist ebenfalls unklar.

Es wäre fein notwendig, dass eine ohnehin mit Steuergeldern finanzierte Institution regelmäßig die gesamten Haftungsvolumen (für Staaten und Banken sowie direkt und indirekt wie etwa über EZB, IWF, Förderbanken etc.) öffentlich reportet und laufend aktualisiert. Im Prinzip ist die Darstellung von CESifo schon gut. Sie müsste aber dringend ergänzt werden um die direkten und indirekten Bankenhilfen auch der Bundesländer. Es kann nicht angehen, dass dies Medien und Blogs übernehmen.

Wenn noch jemand ein paar Links hat mit Dokumenten auf die Staatshilfen, dann nur her damit. Vielleicht schaffen wir es im Netz mit vereinten Kräften etwas Licht in den Haftungsdschungel zu bringen.


Klar ist, dass es unterschiedliche Haftungslevel gibt. So muss man etwa einen genehmigten Rahmen unterscheiden von auf Basis dieses Rahmen gewährten konkreten Garantien bzw. direkt in Form von Krediten gewährten Hilfen für Staaten und Banken. Garantien wiederum muss man differenzieren nach Inanspruchnahme. Und selbst eine in Anspruch genommene Garantie bzw. gewährter Kredit heißt nicht automatisch, dass das gesamte Geld für die Steuerzahler verloren ist. Aber mit jeder Stufe steigt das Verlustrisiko.

Stefan Wehmeier August 24, 2013 um 22:11 Uhr

Falls sich irgendjemand fragt, wozu „Hilfskredite“ und „Rettungsschirme“ gut sein sollen:

1. Die „hohe Politik“ ist weitaus dümmer, als es sich der „Normalbürger“ vorzustellen wagt, und Dummheit ist ein unvergleichlich gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.

2. Es geht nicht um Griechenland, Portugal oder Spanien und schon gar nicht um das in diesen Ländern (noch) arbeitende Volk, sondern darum, das „Vertrauen der Anleger“ für das Konstrukt „Europäische Währungsunion“ so lange wie irgend möglich zu erhalten, koste es, was es wolle.

3. Sobald das „Vertrauen der Anleger“ endgültig verloren geht, was in einer Zinsgeld-Ökonomie, über die „Spitzenpolitiker“ und „Wirtschaftsexperten“ nicht hinausdenken können, prinzipiell unvermeidlich ist, kommt es zur größten anzunehmenden Katastrophe der Weltkulturgeschichte:

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html

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