Dumb German Money

by Karl-Heinz Thielmann on 17. September 2013

Vor einigen Monaten war die Empörung groß, als Telefonate irischer Pleite-Banker aus dem Jahr 2008 bekannt wurden. In diesen verspotteten sie neben Politikern, Zentralbankern und Finanzaufsehern auch deutsche Investoren, die ihnen bereitwillig Geld geliehen hatten. Insbesondere amüsierte sie, dass die Deutschen einer Garantie des irischen Staates für Bankeinlagen vertrauten. Denn ihnen war klar, dass ihr Bankrott über diese Garantie auch die irische Staatspleite bedeutet hätte, wäre 2010 nicht die EU zu Hilfe geeilt.

Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und andere deutsche Spitzenpolitiker äußerten ihre Verachtung über die Arroganz der der Banker. Einigen Pressekommentatoren fiel allerdings auf, dass abschätzige Bemerkungen über Kunden in der internationalen Finanzbranche nicht selten sind. So hatte ja auch vor einigen Monaten der Ex-Goldman Sachs Banker Greg Smith enthüllt, dass seine ehemaligen Kollegen ihre Klienten als „Muppets“ – also als manipulierbare Puppen – bezeichneten. Speziell aus Deutschland stammende Investoren werden allerdings als besonders vertrottelt angesehen. „Dumb German Money“ (manchmal auch als „Stupid German Money“ bezeichnet) ist seit Jahren schon ein fester Begriff an den globalen Finanzmärkten.

Dieser Begriff wurde ursprünglich von US-amerikanischen Filmproduzenten für Gelder aus geschlossenen Medienfonds geprägt, die im grauen Kapitalmarkt in Deutschland aufgelegt wurden. Hiermit wurden vorwiegend erfolglose Filme produziert, an denen sich aufgrund der großzügigen Fondsgelder für Produzenten und Initiatoren trotzdem eine goldene Nase verdienen lies. Die Anleger gingen natürlich leer aus.

Seitdem wurde dieser Begriff auf eine Vielzahl von Finanztransaktionen ausgeweitet, mit denen deutsche Anleger oder Banken Geld verlieren konnten. Ob nun kurz vor dem Platzen der Immobilienblasen in USA oder Spanien noch schnell Finanzierungen für bankrottverdächtige Großprojekte angeschoben werden mussten, ob griechische Staatsanleihen gekauft wurden, immer waren deutsche Banken an vorderster Front mit dabei. Wenn chinesische Schwindelfirmen an die Börse gingen, dann machen sie dies nicht in Schanghai, sondern in Frankfurt, weil hier die Leichtgläubigen Schlange standen. Wenn Geld für überflüssige Schiffe, Riesenräder in Singapur oder unrentable Ölsandprojekte in Kanada benötigt wurde, dann sammelte man dies nicht in den Heimatländern der Initiatoren ein, sondern bei deutschen Zahnärzten, Lehrern und Ingenieuren.

Das DIW in Berlin hat vor Kurzem ermittelt, was deutsche Investoren alleine im Ausland verloren haben. Die Kalkulationen haben seit 1999 einen Verlust von ca. 400 Mrd. € ergeben. Rechnet man seit 2006, also unmittelbar vor dem Ausbruch der Finanzkrise, waren es ca. 600 Mrd. €. Für eine Exportnation wie Deutschland ist es normal, dass Kapital im Ausland investiert wird. Nicht normal hingegen ist es, wenn dieses Kapital stattdessen sinnlos verbrannt wird.

Doch nicht nur im Ausland haben Deutsche vielfältige Möglichkeiten gefunden, Kapital zu vernichten. Ob Ostimmobilien, Strategiezertifikate oder Mittelstandsanleihen; Jahr um Jahr gab und gibt es neue inländische Anlageprodukte, mit denen Investoren ihr Erspartes in den Sand setzen können. Schätzungen über die Größenordnung fehlen aber bisher.

Die Neigung der Deutschen, unrentable Kapitalanlagen zu machen, hat schwerwiegende ökonomische Konsequenzen. Trotz der enormen Wirtschaftskraft Deutschland, trotz der ausgeprägten Sparsamkeit der Einwohner ist die Vermögensbildung hier im Vergleich mit anderen europäischen Ländern klar unterdurchschnittlich, wie unlängst Zahlen der EZB zeigten.

Warum sind die Deutschen immer die Ersten, die „hier“ schreien, wenn skrupellose Investmentbanker nach „Muppets“ suchen, die sie manipulieren und denen sie das Geld aus der Tasche ziehen können? Wieso gibt es gerade in Deutschland einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Bankern, Vermögensverwaltern oder Privatanlegern, die ihre Gelder zielsicher in verlustreiche Anlagen stecken?

Insgesamt lassen sich drei Gruppen von Investoren mit unterschiedlichen Motivationen identifizieren, die für die ungeheure Vermögensvernichtung in Deutschland verantwortlich sind:

– die Risikonaiven, die festverzinslich mit sicher verwechseln;
– die Zocker, die von Gewinngier getrieben auf höchst spekulative Anlagen setzen;
– die Pseudowissenschaftlichen, die Finanzmathematik anwenden, ohne sie zu verstehen.

Die erste Gruppe der Risikonaiven ist sowohl bei privaten wie auch institutionellen Investoren weitverbreitet. Sie suchen Anlagen, die einigermaßen stabile Zinszahlungen versprechen, die höher sind als bei konventionellen „sicheren“ Pfandbriefen oder Bundesanleihen. Dass mit diesen Anlagen dann aber signifikant höhere Ausfallrisiken eingegangen werden, wird ignoriert bzw. unterschätzt. Insbesondere wenn man von einem Risikoverständnis ausgeht, das auf Volatilität basiert, sehen diese Investments sicherer aus, als sie sind. Ob es sich um Mittelstandsanleihen, Discountzertifikate oder geschlossene Fonds handelt, sie schwanken meist nur sehr gering im Kurs und fallen auch über längere Zeiträume nur gelegentlich aus. Wenn aber etwas Unerwartetes passiert, dann kollabieren diese Anlagen auf einmal und generieren fürchterliche und nachhaltige Verluste.

Die Gruppe der Zocker sind vor allem bei privaten Anlegern anzutreffen. Sie saugen aus der Finanzpresse und Börsenbriefen Tipps zum schnellen Reichwerden. Dabei springen sie aber oft auf längst bekannte Trends auf, nicht selten kurz vor deren Ende. Egal ob es sich um Solaraktien, Internetwerte, Chinatitel oder dubiose Goldminen geht, deutsche Kleinanleger lassen sich immer wieder bereitwillig dazu verleiten, zu Höchstkursen in Zockeraktien oder damit zusammenhängenden Optionsscheinen einzusteigen.

Die Pseudowissenschaftlichen sind selten, haben sich gerade bei professionellen Anlegern breitgemacht. Damit sind sie in der Lage, auch fremdes Geld in nicht unerheblichem Umfang zu vernichten. Sie versuchen, mittels finanzmathematischer Verfahren Mechanismen zu identifizieren, mit denen man die Kapitalmärkte überlisten kann. Ob es sich dabei nun um Optimierungsverfahren, Trendfolgesysteme oder Asset Allocation Modelle handelt, regelmäßig liegen sie damit schief und generieren Verluste.

Ihr großes Mantra ist der sog. „Backtest“. Hierbei handelt es sich um die Überprüfung einer Anlagestrategie mit Vergangenheitsdaten. Unzählige Strategien, die im Backtest wunderbar funktioniert haben, sind später in der Praxis kläglich gescheitert. Den den Pseudowissenschaftlichen fehlt ein Verständnis dafür, dass die von ihnen ermittelten Regeln und Strategien immer nur in einem bestimmten Kontext stimmen. Aus dem Zusammenhang gerissene Daten produzieren auch mit den besten wissenschaftlichen Methoden nur Unfug.

Erschreckend an den Pseudowissenschaftlichen ist ihre mangelnde Lernfähigkeit, da sie sich selbst für wissenschaftlich halten und damit glauben, Andern überlegen zu sein. Wenn ihre Ergebnisse nicht stimmen, muss die Realität falsch oder noch nicht richtig erfasst sein. Logische Konsequenz aus dem Scheitern ist für sie, weiter in den bereits ausgetretenen Pfaden zu forschen und noch kompliziertere Modelle zu entwickeln, die dann aber später noch grandioser scheitern. Insofern ist es den Pseudowissenschaftlichen gelungen, einen Teufelskreis aus Forschung, neuen komplizierten Investmentstrategien und Kapitalvernichtung zu generieren. Und wir Deutschen mit unserer ausgesprochenen Wissenschaftsgläubigkeit schauen fasziniert zu und stecken immer mehr Geld hinein.

Charakteristisch für alle Gruppen ist, dass sie schlauer sein wollen als diejenigen, die auf konventionelle Anlagen wie Renten, Aktien oder Immobilien vertrauen. Damit überlisten sie sich aber nur selbst. Weiterhin vereint alle drei Gruppen eine unreflektierte Zahlengläubigkeit. Egal ob man ihnen absurde Renditeprognosen, irreführende Risikokennzahlen oder undurchschaubare Optimierungsmodelle präsentiert, sie nehmen Zahlen immer für bare Münze, ohne zu prüfen, wie diese zustande kommen und was sie wirklich bedeuten. Unabhängig davon, ob sie aus dubiosen Umfragen, bunten Werbebroschüren oder nüchternen Excel-Spreadsheets stammen, Zahlen werden geglaubt und nicht wirklich hinterfragt. Wenn sie sich dann hinterher als Kokolores herausstellen, sind immer „unvorhersehbare Ereignisse“ daran schuld.

In der Presse wird oft die mangelnde Finanzbildung in Deutschland beklagt. Diese ist bei „Otto-Normalverbraucher“ allerdings weder besser noch schlechter als in anderen Ländern. Katastrophal hingegen ist die Finanzbildung bei vielen sogenannten Finanzexperten, die Investmentprodukte herstellen und vermarkten, welche für Anleger unkalkulierbare Verlustmöglichkeiten mit sich bringen. Insofern ist es völlig rational für einen Kleinanleger, lieber das Geld auf dem Sparbuch zu lassen, anstatt es einen Anlagespezialisten zur Vernichtung anzuvertrauen.

Die deutsche Industrie spielt im globalen Kontext in der Champions League, weite Teile der Finanzbranche aber in der Kreisklasse. Für private oder institutionelle Anleger, die mehr wollen als nur Sparbucherträge, ist es extrem schwierig, innerhalb der Kakofonie von Expertenstimmen diejenigen herauszufiltern, die wirklich kompetent sind. Dies ist sogar fast noch schwieriger, als sich selbst Fachwissen anzueignen und die Kapitalanlage in die eigene Hand zu nehmen. Für eine führende Wirtschaftsnation kann der Finanzheimwerker aber keine Lösung sein.

„Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“ lautet ein beliebtes Sprichwort. Leider ist hiervon bisher nichts zu merken. Wenn die deutsche Finanzbranche aber nicht anerkennt, was in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist, und bereit ist hieraus zu lernen, wird „Dumb German Money“ ein fester Begriff an den internationalen Kapitalmärkten bleiben. Ich persönlich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir vielleicht eines Tages einmal sogar „Intelligent German Money“ haben werden. Dazu gehört aber auch, dass wir alle uns nicht mehr mit der ignoranten Art und Weise zufriedengeben, mit der hier in Deutschland Geld vernichtet wird.

Die EZB-Studie zur Vermögensbildung in Europa heißt: „The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey“; Statistics Paper Series NO 2 / April 2013 und ist abrufbar hier: (http://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/ecbsp2en.pdf?82169ee8a91182dca538abfd4b27f19c)
Die DIW-Zahlen zu Vermögensverlusten der Deutschen im Ausland sind dem DIW Wochenbericht Nr. 26 2013 entnommen http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.423458.de/13-26.pdf

Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 17 vom 2. September 2013.

Nixda September 18, 2013 um 20:28 Uhr

Schön das uns das DIW diese Erkenntnis schenkt. Wenn ich mich recht erinnere, war es das DIW in vorderster Front, dass den Wirtschaftsstandort Deutschland in dieser Zeit systematisch totgeredet hatte, und das viele Auslandskapital in den USA, dass ja auch nur Spiegelbild des Handelsbilanzdefizits ist, als Zeichen der Attraktivität des Investitionsstandortes USA im Vergleich zum untergangsgeweihten Deutschland gedeutet hat. Mit diesem Rückenwind ließen sich natürlich auch die windigsten Anlagen in den USA verkaufen.

Übrigens ist die Erkenntnis des DIW auch alles andere als neu. In den interessierten Blogs im Internet wurde bereits vor der Lehmankrise das Faktum diskutiert, das die NIPA in USA oder Deutschland sich eben nicht entsprechend den Handelsbilanzzahlen entwickeln. Am skurrlisten war dabei noch hiesige die Interpretation, dass das an dem intelligenteren Investmentverhalten der amerikanische Anleger wegen des besser entwickelten Finanzsystem läge, das amerikanische Anlagen im Ausland sich besser rentieren als umgekehrt. Offensichtlich war es aber wohl doch eher die weiter entwickelte Fähigkeit des Finanzsystems ihre Kunden über den Tisch zu ziehen. Aber da haben die Deutschen mittlerweile aufgeholt.

Das das DIW erst etwa 5 Jahre nach Hobbybloggern zu diesen Ergebnissen kommt, ist ebenfalls keine Überraschung, sondern leider ganz typisch für die Qualität der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung in Deutschland.

Karl-Heinz Thielmann September 19, 2013 um 08:02 Uhr

Natürlich ist die Erkenntnis nicht neu und ich mag auch nicht alles, was vom DIW kommt, allerdings hat das DIW jetzt erstmals das Phänomen des „Dumb German Money“ mit einer konkreten Zahl versehen, die auch die Dimensionen des Desasters deutlich macht. Im übrigen teile ich auch nicht die Ansicht, dass es in angloamerikanischen Ländern eine „weiter entwickelte Fähigkeit des Finanzsystems ihre Kunden über den Tisch zu ziehen“ gibt. Im Gegenteil: Anlegerschutz ist dort viel besser verankert. Einen „grauen Kapitalmarkt“ und „strukturierte Produkte“ wie hier, die für die Geldvernichtung hauptverantwortlich sind, kennt man dort nicht bzw. sind für Privatanleger nicht zugelassen.

Thorsten Munk September 18, 2013 um 19:33 Uhr

Wohl war. Aber die wichtigste Gruppe fehlt: die Steuervermeider. Mit der Aussicht auf Steuerersparniss scheint sich eine Vielzahl an Menschen zu den absurdesten Sparmodellen verleiten zu lassen.

Karl-Heinz Thielmann September 19, 2013 um 08:07 Uhr

„Steuersparmodelle“ – zumindest legale – sind heute nicht mehr so bedeutsam wie früher, deswegen bin ich darauf nicht gesondert eingegangen. Sie lassen sich aber unter „risikonaiv“ mit zusammenfassen. Es ist allerdings richtig, dass bis vor einigen Jahren eine Steuerersparnis das Hauptmotiv für „Dumb German Money” war. Der Begriff geht ja auf angeblich steuersparende Medienfonds zurück.

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