Denn sie wissen nicht was sie tun

by Karl-Heinz Thielmann on 27. September 2013

Ein kleiner Nachtrag zur praktischen Bedeutung von „Dumb German Money“ und „Die große Risikoverwirrung“

Im Euro am Sonntag ist vor ein paar Tagen ein Beitrag unter dem Titel „Experten für schwarze Schwäne – Was Privatanleger von Risikomanagern lernen können (bzw. in der Onlineversion: Wer hat Angst vorm schwarzen Schwan?)“ erschienen, in dem noch einmal auf vielsagende Weise verschiedene Positionen zum Thema Risikomanagement zusammengestellt sind.

Wie richtigerweise in diesem Artikel festgestellt wird, beschränkt sich das Risikomanagement bei Finanzinstituten im Wesentlichen auf Marktpreisrisiken, zu den nicht ganz unwichtigen Themen Ausfall- und Liquiditätsrisiken wird nur die Aussage getroffen, dass man diese nur „mithilfe anderer Experten abschätzen kann.“ Wie man sich aber als Experte qualifiziert, wenn man wesentliche Teile seines Aufgabengebiets nicht beurteilen kann, wird nicht erläutert. Das Thema Inflationsrisiko wurde ganz ignoriert.

Leider liess der Autor offen, welche der von „Experten “ gemachten Statements tatsächlich für Privatanleger hilfreich sind. Dies will ich nun hier nachholen, da sich hieraus wiederum Rückschlüsse auf die Probleme ergeben, die in den Artikeln „Dumb German Money“ sowie in den verschiedenen Beiträgen aus „Die große Risikoverwirrung“ angesprochen werden.

Stefan Mittnik, Finanzprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wird so zitiert: „Viele sogenannte Risikomanager verstehen nicht, was die Kennziffern bedeuten und wo deren Grenzen liegen“. Insbesondere kritisiert er den Umgang mit Korrelationen bei den Risikoberechnungen, denn: „Die Krux ist: Wenn die Börsen in Panik verfallen, steigen die Korrelationen sprunghaft an. Die Investments neigen also dazu, gemeinsam abzustürzen, auch wenn sie in ruhigen Zeiten nicht parallel laufen. ‚Trotzdem rechnen viele Finanzprofis stur mit konstanten Korrelationen‘, warnt Mittnik, ‚und unterschätzen das Verlustrisiko im Crashfall dramatisch.‘ “ Diese Problematik wurde auch in Teil 3 unserer Reihe „Die Große Risikoverwirrung“ besprochen, Prof. Mittnik kann voll zugestimmt werden.

Interessant ist, welche Aussagen aus der Finanzbranche kommen:

1) Das Risikomanagement-Team einer grossen Fondsgesellschaft preist ihre Methodik, auf der Basis von Value-at-Risk-Modellen Stop-Loss-Kurse zu setzen, und dann Aktien, wenn sie denn gefallen sind, zu verkaufen. Hieran kommt dann doch einiges seltsam vor.

Zum einen an den mathematischen Grundlagen: Value at Risk war schon 1998 nach der Pleite von LTCM diskreditiert, spätestens seit der Finanzkrise ist der Unsinn dieses Modells auch breiteren Schichten bekannt (vgl. auch hierzu Teil 3 von „Die große Risikoverwirrung„). Kurioserweise wird eingestanden, dass man mit Value at Risk ganz verschiedene Kennzahlen berechnen kann, je nachdem, wie man es braucht. „Die Aufgabe des Risikomanagers ist es, die passende Methode zu wählen und das Ergebnis korrekt zu interpretieren“. Dies ist Risikoalchemie in Vollendung: Aus einem Portfolio von verschiedenen objektiv aussehenden Methoden und möglichen Resultaten wählt man dann subjektiv diejenige aus, die zu passen scheint.

Die Methodik, fallende Aktien weiter zu verkaufen, ist nichts anderes als die sog. „Portfolio Insurance“, die schon beim Crash 1987 entscheidend zur Finanzmarktdestabilisierung beigetragen haben. Für mich ist eine solche Vorgehensweise einen Manifestation des Herdentriebs, der die Turbulenzen auf den Kapitalmärkten in den vergangenen 5 Jahren so extrem verstärkt hat. Dieses Risikomanagment ist für Finanzkrisen und desaströse Anlageergebnisse mitverantwortlich. Angeblich haben viele deutsche Institutionen vor 2 Jahren bei einem DAX vom 5.500 ihre Aktien verkauft und warten seitdem auf den Wiedereinstieg. Waren dies die Ratgeber?

2) Dem Risikomanager einer anderen Fondsgesellschaft ist immerhin auch aufgefallen, dass Korrelationen langfristig nicht mehr stabil sind. Die Konsequenz: Man verwendet jetzt bei der Korrelationsanalyse nur noch Zeitreihen von einem Jahr, weil man dann Veränderungen schneller erkennt. Leider kann auch er nicht erklären, was Analysen, bei denen sich ständig alles ändert, überhaupt noch eine Aussagekraft haben. Es sei denn, man hat viele Produkte, die „flexibel auf Marktbewegungen reagieren“. Dann macht es natürlich Sinn, einen Rechtfertigungsmechanismus zu schaffen, mit dem man immer neue Transaktionen begründen kann. Es würde mich ansonsten auch noch mal interessieren, wie man, wenn man nur kurze Zeiträume betrachtet, Scheinkorrelationen von echten Korrelationen unterscheidet.

3) Immerhin bei der KAG einer Versicherung gibt es Hoffnung. „Was da alles passieren kann, ist mit Kennzahlen allein nicht zu erfassen“, wird Peter Schenk, Risikochef bei der MEAG in München zitiert. Er setzt verstärkt auf Stresstests und Szenarioanalysen. Quantitative Methoden können sinnvoll sein, wenn man um ihre Beschränktheit weiss, und dies schein man verstanden zu haben. Immerhin beim größten Rückversicherer der Welt entsteht der Eindruck, dass man sich mit dem Thema Risiko etwas besser auszukennt als in der übrigen Branche.

Als Empfehlung für den Privatanleger lässt sich ableiten, professionelles Risikomanagement eher als Drohung den als Dienstleistung zu verstehen. Die Lage ist aber auch noch nicht hoffnungslos, wie man sieht, gibt es zumindest ein wenig Erkenntnisfortschritt. Allerdings scheint die Qualität des Risikoverständnisses abzunehmen, je mehr man sich in der Praxis mit Kundengeldern befasst. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

P.S.: Den großen Preis beim Wettbewerb „Wie doof kann man eigentlich sein beim Thema Risikomanagement“ hat aber nicht die Finanzindustrie gewonnen, sondern die Wirtschaftspresse. So musste ich unlängst bei einer großen Düsseldorfer Finanzzeitung ein Loblied auf die Absicherung von DAX-ETFs mittels kurz laufender Verkaufsoptionen lesen. Einen Absicherung mit Optionen, die eine einmonatige Restlaufzeit haben, kostet knapp 2% im Monat, ist also „vergleichsweise günstig“. Irgendwie scheint sich beim Autor noch nicht herumgesprochen zu haben, dass der Zeitaum einen Monat vor dem Verfall auch derjenige ist mit den größten Zeitwertverlusten. Zudem hätte ich gerne gewusst, wie er herausfindet, in welchem Monat man sich absichern sollte und in welchem nicht. Ansonsten muss man, wenn der Crash dann doch nicht gleich kommt, die Sicherung laufen lassen, was bei 2% Absicherungskosten im Monat und 8% durchschnittlicher Jahresrendite natürlich ein Supergeschäft ist (für die Bank).

Wer Spaß daran hat, kann ja mal nachrechnen, wie oft man sich mit solchen DAX-Verkaufsoptionen „absichern“ kann, bis man a) 50% und b) 99% seines Kapitals verzockt hat.

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