Sehen Wirtschaftsprüfer wirklich das, was wir nicht sehen?

by Dirk Elsner on 2. Oktober 2013

Ich bin ja ein Vielbahnfahrer. Und weil man häufiger als von der Bahn geplant an Bahnhöfen wartet, achtet man auf so manches Plakat. In den letzten Wochen fiel mir häufiger ein Plakat auf, auf dem in schwarz-rot-gold steht:

ICH SEHE W4S, WAS DU N1ICHT SI3HST 

Auf den ersten Blick denkt man, es handele sich um eine Plakatierung der Bundesregierung, wie dies auch der personalmarketing2null-Blog feststellt. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Imagekampagne des Instituts der  Wirtschaftsprüfer (IDW), die das IDW auf der eigenen Webseite kurz vorstellt und dafür sogar eine eigene Webseite geschaltet hat, nämlich Wirtschaftsprüfer.de.  

Die Kampagne und die Informationen auf der Webseite behaupten, dass Wirtschaftsprüfer mehr sehen als andere. Nun ließe sich ein Buch, vermutlich sogar eine Bibliothek darüber füllen, was Wirtschaftsprüfer in den letzten Jahren alles nicht gesehen haben. Die “Finanzkrise legt Schwächen bei Wirtschaftsprüfern offen”, betitelte RiskNet vor drei Jahren einen Beitrag. Nicht aufgedeckte Risiken im Finanzsektor haben bekanntlich weltweit zu Billionen an Staatshilfen für Banken und Staaten geführt. Die ZEIT gab den Kontrolleuren bereits 2008 Mitschuld am Zusammenbruch der Banken. Die Fachzeitschrift DER BETRIEB sprach vor zwei Jahren davon, dass der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer weltweit die wohl tiefste Krise seiner Geschichte erlebt. Und auch die EU-Kommission stellte dem System der Abschlussprüfungen ein schlechtes Testat aus.

Ich kann mich nicht erinnern und habe auch kein Dokument gefunden, dass eine Vereinigung oder Verband der Wirtschaftsprüfer die Fehlgriffe der eigenen Zunft in den letzten Jahren in welcher Form auch immer aufgearbeitet hat. Wie immer, wenn eine Branche in Verruf gerät, wird geschwiegen, was offenbar die beste Strategie ist, weil dann die Debatten schnell erschlaffen oder gar nicht erst entstehen. Für die Wirtschaftsprüfer ist das auch besonders lukrativ, denn sie sind die größten Profiteure aus der Zeit vor und erst Recht aus der Zeit der Finanzkrise und danach. Vor der Finanzkrise gaben Wirtschaftsprüfer ihre Testate für komplexe Konstruktionen, wie etwa Zweckgesellschaften oder spezielle Verbriefungen. Während der heißen Phase der Finanzkrise galt es, auch mit Hilfe von Wirtschaftsprüfern die Bankenrettungsfonds aufzubauen. Und in Folge der strengen Regulierung nach der Finanzkrise winken kräftige Ausweitungen der Prüfungsbudgets, weil viele neue Vorschriften gleich eine Prüfungspflicht eingebaut haben, wie etwa die OTC-Derivateregulierung EMIR (siehe dazu in Vorfreude diese Broschüre von Ernst & Young). An bestimmten Vorschriften, wie insbesondere an denen der internationalen Rechnungslegung, arbeiten Wirtschaftsprüfer direkt mit (siehe hier für US-GAAP).

Kürzlich schrieben Markus Frühauf und Hanno Mußler für die FAZ darüber, wie sich die Europäische Zentralbank auf ihre Rolle als neue Aufsichtsbehörde für 130 (oder 150) große angeblich systemrelevante Banken vorbereitet. Aus dem Artikel wird deutlich, dass sie den von Wirtschaftsprüfern testierten Bilanzen der Banken nicht trauen. Dazu sollte man wissen, dass sich alle Banken prüfen lassen und diese Prüfungsberichte auch bisher bei der Finanzaufsicht einreichen. Die EZB möchte aber nun eine weitere Bilanzprüfung, um Altlasten zu erkennen. „Mit der Bilanzbewertung schaffen wir Transparenz für Investoren – und genau das ist gefragt, um das Vertrauen in den Bankensektor nachhaltig zu stärken“, zitieren die Autoren EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen.

Weil die EZB nicht genügend Personal hat, müsste sie eigentlich für die Prüfung eine der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einsetzen, die “immer wieder als Sonderprüfer für die Finanzaufsicht BaFin oder die Bundesbank tätig” sind. Das Dilemma der EZB: Sie müsste dazu jeweils Wirtschaftsprüfer finden, die nicht gerade aktuell die jeweiligen Banken prüfen oder beraten. Das dürfte schwierig werden, zitieren die Autoren eine Kanzlei. Ich denke, dass wird sogar fast unmöglich, wenn man etwa als Voraussetzung fordert, dass es in den letzten 10 Jahren kein Mandat für die geprüfte Bank gegeben haben darf. Dazu sollte man wissen, dass sich Unternehmen gern von Prüfungsgesellschaften, von denen sie selbst nicht geprüft werden, beraten lassen, damit sie die Anforderungen an die Wirtschaftsprüfung erfüllen können.

Aber selbst wenn das gelingen sollte, so lassen doch aktuelle Aussagen des EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch darauf schließen, dass die EZB keiner Prüfungsgesellschaft vertraut. Die EZB knüpft nämlich die Bilanzprüfung neuerdings an harte Bedingungen. Das Handelsblatt zitiert Mersch: „Wir werden nicht anfangen, bevor die Regierungen sich nicht über Backstopps, also die Notfallfinanzierung von Kapitallücken geeinigt haben, die wir möglicherweise in den Bankbilanzen entdecken.“  Im Klartext bedeutet dies: Die EZB traut den bisherigen Prüfungen der Wirtschaftsprüfer nicht und glaubt sogar, dass Risiken versteckt oder verschleiert, mindestens aber verharmlost werden.

Hoch interessant finde ich, dass im Gespräch für die Prüfung gerade nicht diejenigen sind, die angeblich alles sehen, sondern große Portfoliomanager. Die FAZ schreibt über Blackrock und Pimco. Tatsächlich würde ich das für einen klugen Schachzug halten, denn bereits in der Vergangenheit haben diese die Risiken in den Bankportfolios unter ganz anderen Aspekten analysiert als Wirtschaftsprüfer. Die Blackrocks und Pimcos dieser Welt haben eher die Brille desjenigen auf, der die Risiken tragen soll.

Natürlich könnte man auch hier einwenden, dass Blackrock, Pimco und Co. nicht alles sehen und erst Recht nicht vorhersehen. Ich glaube aber, dass dies bei der derzeitigen Komplexität des Bilanzierungs- und Bewertungsrechts niemand kann. Aber diese Positionierung der EZB macht deutlich, dass man den Prüfungen und Berichten der Wirtschaftsprüfer nicht traut. Sie mögen vielleicht etwas sehen, was wir nicht sehen, sie sagen es aber nicht. Und an diesem Problem müsste die Branche dringend arbeiten. Dann würde eine solche Kampagne auch glaubwürdiger werden.

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