Spanien – Italien 4:0

by Karl-Heinz Thielmann on 3. Dezember 2013

Mitten in der schlimmsten Phase der Eurokrise 2012 trafen ausgerechnet die Fußballteams der beiden Krisenherde Spanien und Italien im Endspiel der Fußballeuropameisterschaft aufeinander. Das Ergebnis war eindeutig: Mit einer grandiosen Mischung aus Ballkunst und taktischer Disziplin demontierte die spanische Mannschaft die italienische. Deren traditionellen Tugenden wie Spielwitz und Kreativität versagten hilflos. Mit 4 Toren Vorsprung siegte die „Furia Roja“ und ließ der „Squadra Azzurra“ nicht einmal einen Ehrentreffer.

Doch wie lautet das Ergebnis für Spanien im ökonomischen Vergleich mit Italien nach 3 Jahren Eurokrise? Als das Drama anfing, wähnten sich beide Länder noch relativ sicher und sahen die Krise vor allem als Problem der europäischen Peripherie (Griechenland, Irland & Portugal). 2011 kam dann das böse Erwachen; die unter der Oberfläche brodelnden strukturellen Schwierigkeiten kochten hoch. Beide Länder wechselten gegen Ende des Jahres die Regierungen aus, wobei Mario Monti in Italien zunächst den besseren Start hatte, weil er schnell ein umfangreiches Notfallprogramm auf den Weg bringen konnte. In Spanien stolperte hingegen Manuel Rajoy von einem Fettnäpfchen ins nächste. Die Regionalregierungen schockten mit ausufernden Defiziten, nur sehr mühsam konnte die dringend notwendige Bankenrettung auf den Weg gebracht werden.

Gegenwärtig hat sich die politische Lage wieder gewandelt. Spanien zieht seine Reformen durch, während in Italien wieder Machtspiele die Politik dominieren und Probleme verdrängt werden.

Vergleicht man die Entwicklungen an den Aktienmärkten, sieht man, dass sich die Bluechip-Aktienindizes IBEX 35 sowie FTSE MIB beider Länder in den vergangenen Jahren fast identisch bewegt haben. Dies ist insofern erstaunlich, weil sich beide Länder in der Krise doch sehr unterschiedlich geschlagen haben.

Denn inzwischen kann man mit Fug und Recht sagen, dass Spanien wirtschaftlich gegenüber Italien deutliche Fortschritte erzielt hat. Hierbei hat sich das Land insbesondere in vier Bereichen Vorteile verschafft, sodass man inzwischen nicht nur beim Fußball, sondern auch beim ökonomischen Vergleich sagen kann, Spanien schlägt Italien 4:0. Warum die Iberer auch ökonomisch so klar punkten konnten, soll im Folgenden erläutert werden. 

Das 1:0 für Spanien fällt aufgrund der moderneren Industriestruktur

Italien hat nicht erst seit der Eurokrise ein Problem mit der Struktur seiner Wirtschaft, was sich u.a. darin zeigt, dass das Land schon vor der Krise nur unterdurchschnittlich gewachsen ist. Traditionell ist nur der Mittelstand (besonders derjenige in Norditalien) die Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung.

Viele Großunternehmen sind oder waren stark von Politikern oder undurchsichtigen Familienclans beherrscht. Das Bankensystem ist nach wie vor sehr zersplittert, politisiert und ineffizient. Die mit einer Unternehmensgründung verbundenen Kosten sind in Italien ungefähr dreimal so hoch wie in Deutschland oder Spanien und ca. zehnmal so hoch wie in den USA. So kann wenig Neues entstehen.

Spanien hingegen hat in den Jahren vor der Krise einen gewaltigen Boom gehabt. In diesem hat das Land zwar über seine Verhältnisse gelebt, aber auch viel Geld für sinnvolle Infrastrukturprojekte ausgegeben. Durchschnittlich 28,4% des BIP wurden zwischen 2000 und 2008 für Investitionen ausgegeben, in Italien nur 21,2%. Die meisten Großkonzerne sind im internationalen Wettbewerb sehr gut aufgestellt. Die Finanzgruppen Santander und BBVA, der Baukonzern ACS, Telefónica in der Telekommunikation oder Inditex bei Textilien gehören zu den weltweit führenden Unternehmen in ihren Branchen. Der marode Sparkassensektor wurde nach anfänglichem Zögern mit EU-Hilfe aufgeräumt. Allerdings sind insbesondere in Spanien die kleinen und mittleren Unternehmen in den vergangenen Jahren stark unter die Räder gekommen, u.a. auch, weil vielen im Zuge der anfangs dilettantischen Bankensanierung der Geldhahn zugedreht wurde. Wie schnell die spanische Erholung erfolgen kann, wird davon abhängen, ob die zügige Wiederbelebung dieses Sektors gelingt.

Das 2:0 für Spanien erfolgt aufgrund der besseren Anpassungen während der Eurokrise

In Spanien wurde die Euro-Krise als besonders heftig empfunden, weil es schnell starken Druck auf die Löhne gab und die Arbeitslosigkeit sich binnen kurzer Zeit mehr als verdoppelte. In Italien kam die Eurokrise als Anschluss an Jahre der Stagnation und wirkte eher wie eine Beschleunigung der Erosion.

Die heftige Reaktion am Arbeitsmarkt hat dazu geführt, dass Spanien in relativ wenigen Jahren den Rückstand bei der Arbeitsproduktivität zur übrigen Eurozone wieder aufholen konnte. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist somit in dieser Hinsicht fast wieder hergestellt. In Italien hingegen hat sich der Rückstand seit Ausbruch der Krise immer weiter vergrößert. Dies lässt den Schluss zu, dass notwendige Anpassungsmaßnahmen bisher noch nicht erfolgt sind.

Das 3:0 ist ein Eigentor von Italien wegen schlechter Corporate Governance und Korruption

Die südeuropäischen Länder haben traditionell einen schlechten Ruf in Hinblick auf die Grundsätze der guten Unternehmensführung und auf Korruption. In Spanien kann man allerdings zumindest bei den Großunternehmen davon ausgehen, dass die Top-Manager internationalen Standards entsprechen und teilweise schon als besser angesehen werden als ihre nordeuropäischen Wettbewerber. So holte sich beispielsweise die Lloyds Banking Group 2011 António Horta-Osório als Vorstandschef von Santander, um den britischen Finanzriesen zu sanieren. In Italien hingegen werden Managementposten in Großunternehmen vorzugsweise mit Kandidaten des Establishments besetzt. Wenn ein Unternehmensleiter versucht, modernere Methoden einzuführen, wird er oft wieder gestoppt, wie z. B. der ehemalige Allianz-Manager Enrico Cucciani. Er musste bei Intesa Sanpaolo im September 2013 nach 2 Jahren als Vorstandschef wieder gehen, weil er zu fortschrittlich war.

Korruption ist nach wie vor ein dunkles Kapitel in Italien. Das Land lag im weltweiten Korruptionsindex von Transparency International 2012 auf Platz 72 (42 Punkte) von 172 Ländern, knapp hinter Brasilien (Platz 69, 43 Punkte) und eindeutig hinter Ländern wie Polen (Platz 41, 58 Punkte) oder der Türkei (Platz 49, 48 Punkte). Dies ist für ein führendes westeuropäisches Industrieland inakzeptabel hoch. Spanien hingegen belegte mit 65 Punkten Platz 30. Damit erreicht das Land zwar immer noch nicht die Standards von Ländern wie Schweden (Platz 4, 88 Punkte) oder Deutschland (Platz 13, 79 Punkte) und kann sicherlich noch einiges verbessern, ist aber z. B. nicht weit von Österreich (Platz 25, 69 Punkte) entfernt.

Das 4:0 trifft Italien wegen der Demografie aus leicht abseitsverdächtiger Position

Auf den ersten Blick haben Spanien und Italien ähnliche demografische Probleme. Die Altersstruktur der Bevölkerung ist durch die starken Geburtenrückgänge seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geprägt. Die Geburtenrate (Kinder pro Frau) ist mit 1,47 (Spanien) und 1,41 (Italien) ähnlich schlecht und liegt unter dem europäischen Durchschnitt. Nur 25% der Bevölkerung sind in Spanien unter 25 Jahre alt; in Italien sind es 24%. Viele gut qualifizierte junge Menschen sind im Zuge der Eurokrise nach Nordeuropa abgewandert.

Beide Länder haben einen relativ hohen Ausländeranteil an der Bevölkerung. In Italien kommen die Einwanderer vor allem aus Südosteuropa und werden zumeist niedrigqualifiziert beschäftigt. Spanien zieht hingegen sehr verschieden Gruppen an. So ist das Land ein Anziehungspunkt für wohlhabende Rentner aus Nordeuropa. Dies verschlechtert zwar optisch die Altersstruktur. Andererseits belasten diese Personen nicht das Sozialsystem Im Gegenteil sind sie für Geldtransfers aus dem Ausland verantwortlich. Darüber hinaus ist Spanien zum Anziehungspunkt für Arbeitsimmigration aus Südamerika geworden. Durch die Migranten liegt in Spanien die Geburtenrate oberhalb der Sterberate, in Italien hingegen sterben jährlich mehr Menschen, als dass es Geburten gibt.

Trotz ähnlicher Ausgangslage wirkt sich also das das demografische Problem sehr unterschiedlich aus. Die Situation in Spanien ist unbefriedigend, wenn auch nicht wirklich dramatisch. In Italien hingegen hat sich ein Trend des Niedergangs herausgebildet, der dem Land langfristig noch sehr gefährlich werden kann.

Fazit:

Die Eurokrise ist noch nicht vorbei, vielleicht hat sie für Italien noch nicht einmal richtig angefangen. Spanien hat fürchterliche Jahre hinter sich, macht aber jetzt vieles besser als vor der Krise. Hier bieten sich meiner Ansicht nach vor allem Chancen. Italien versucht, sich irgendwie über die Zeit zu retten, ohne wirklich etwas zu ändern. Dies mag bei einem Fußballspiel manchmal funktionieren, in der Ökonomie aber nicht. Hier sind noch böse Überraschungen möglich. Welche Konsequenzen sich ergeben, liegt auf der Hand.

Nachtrag:

Die Veröffentlichung dieses Beitrags hat sich mit der Publikation des neusten Korruptionsrankings bei Transparency International überschnitten. Italien hat aktuell 43 Punkte und liegt auf Platz 69, jetzt knapp vor Brasilien. Spanien ist aufgrund von Korruptionsaffären im Königshaus sowie Parteispendenskandalen im Ranking auf Platz 40 (59 Punkte) abgerutscht. Dies ist nicht gut, aber nach wie vor bei weitem nicht so schlecht wie in Italien. Die grundsätzliche Aussage des Textes wird insofern auch durch die neuen Zahlen bestätigt.

Dieser Beitrag erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 20 vom 2. Dezember 2013.

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