James Bond und das Ende der Geschichte

by Gastbeitrag on 15. Januar 2014

Es muss sich etwas ändern. Darin stimmen alle überein, ob Wirtschaftsbosse, Politelite, linke Intellektuelle, Konservative, die Stammtischparolenschwinger. Allein, man weiß nicht, was – und auch nicht, wie das gehen sollte. Natürlich kann man an dieser Stelle den ewigen Klassiker Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von Immanuel Kant zur Hand nehmen, beantwortet er darin doch die Frage „Was soll man tun?“. Wem Kant zu kompliziert ist, der kann sich auch an Karl Stromberg oder Hugo Drax halten.

Gastbeitrag von Wolfram Bernhardt*

Denn Karl Stromberg oder Hugo Drax sind Männer, die kurzerhand das Ruder selbst in die Hand nehmen. Man könnte meinen, dass beide von der Studie Die Grenzen des Wachstums (1972) des Club of Rome inspiriert wurden, stimmten beide doch dahingehend mit der Studie überein, dass es so nicht weitergehen könne. Mit „so“ meinen beide den fatalen Umgang der Menschen mit dem Planeten Erde. Zu viele Menschen, zu viel Zerstörung, zu viel Raubbau, zu viel Feindschaft. Die Hoffnungen, die die Humanisten und die Befürworter der Aufklärung hatten, dass die Menschheit sich weiterentwickeln könne, dass ein verantwortlicher Umgang mit der Natur und ein friedliches Miteinander der Völker möglich sind, schienen sich 1977 in Luft aufgelöst zu haben. Denn zu dieser Zeit überlegte sich Karl Stromberg, die Menschheit durch ein paar Atombomben von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen und auf dem Meeresboden eine neue Zivilisation zu schaffen: Atlantis. Nicht nach unten, sondern nach oben zog es 1979 Hugo Drax, einen Milliardär aus Kalifornien, der einige auserwählte Menschen mit Spaceshuttles ins All beförderte, während er durch spezielle Bomben die Erdbevölkerung ausrotten wollte. Der Clou: Die Bomben waren gefüllt mit dem Gift einer seltenen Orchidee, das zwar die Menschen tötet, Flora und Fauna hingegen keinen Schaden zufügt und so das natürliche Gleichgewicht wiederherstellen soll.

Allerdings haben weder Karl Stromberg noch Hugo Drax ihre Vorhaben verwirklichen können. Beide Male vereitelte ein sturer britischer Geheimagent die Durchführung des Planes und sorgte somit dafür, dass die Menschheit weiter den Planeten zerstören kann, dass noch spektakulärerer und noch sinnloserer technischer Schnickschnack erfunden werden und sich das Rad des Kapitalismus immer schneller weiterdrehen konnte. Der Name des Agenten: James Bond. Sein Status: Ausdruck unserer Ideale, Bild des modernen Helden, der kompromisslos für das Gute kämpft. James Bond war großartiges Entertainment, war Ausdruck einer Gesellschaft, die auf schnelle Autos stand, auf Technik-Gadgets und auf ein reduziertes Frauenbild – einer Gesellschaft, welche ihre Elite nicht über Werte wie Weisheit und Besonnenheit definierte, sondern über ein vorpubertäres Machogehabe, das sich selbst nur über Fetische jedweder Art zu definieren wusste; einer Gesellschaft, in der alles sonnenklar war: die Rollenbilder waren klar, das Weltbild war klar, es gab den Osten und den Westen, es gab den technischen Fortschritt und die unendlichen Weiten des Kapitalismus.

Allerdings konnte sich der reflektierte Zuschauer noch nie ganz der Frage erwehren, ob das, wofür James Bond so leidenschaftlich eintrat, tatsächlich das Gute und Richtige ist. Ob am Ende in den Analysen der Bösewichte nicht genauso viel Wahrheit lag wie in den Überzeugungen, nach denen der Befehlsempfänger, die blinde Killermaschine Bond, handelte …

In den letzten drei James-Bond-Filmen – der Daniel-Craig-Trilogie – verschwimmen diese Grenzen noch mehr. Es sind keine politischen Gegner mehr, gegen die James Bond kämpft, es sind Gegner, die das System hervorgebracht hat: Hardcore-Kapitalisten, die Terroristen und Staatstreiche finanzieren, die per Mausklick riesige Mengen Geld von einem Land ins andere transferieren. Zuletzt war der Böse ein Hacker, für den Geldwäsche noch die einfachste aller Übungen darstellte, ein gefallener Ex-Geheimagent des britischen Geheimdienstes. Die letzte Kampfszene findet in einer kleinen Kapelle statt und spätestens hier drängt sich der Eindruck auf, dass James Bond, als Kind des Kapitalismus, mit seinem Glauben ringt. Er kämpft so verzweifelt wie nie zuvor für seine Sache, sogar gegen sich selbst – er wird vom britischen Geheimdienst gejagt, während er auf der Suche nach seiner Identität ist. Am Ende findet er sich wieder in dem Haus seiner Kindheit. Skyfall heißt das Anwesen in den schottischen Highlands, wo seine Eltern begraben liegen. Schwere Kost.

Vielleicht befinden sich James Bond und der Kapitalismus in einer viel traditionelleren Verbindung, als der herumscharwenzelnde Bond es wahrhaben will: bis dass der Tod euch scheidet. Beide verbindet aufs Innigste, dass sie nicht mehr wissen, wer sie sind und was das Ganze noch soll. Unabhängig von der Frage, wer eigentlich der Bösewicht ist, haben James Bond, der Kapitalismus sowie die eingangs genannten Bösewichte – Karl Stromberg aus dem Film The Spy who loved me und Hugo Drax aus dem Film Moonraker – etwas gemein: Alle spielen das Endspiel. Karl Stromberg und Hugo Drax spielen das Ende der Welt, wie man sie bis dahin kannte. Daniel Craig und der Kapitalismus spielen das Ende der Welt, wie wir sie heute kennen.

Was danach kommt, wissen wir nicht. Wir kennen weder die neuen Helden, noch wissen wir, wie die neue Gesellschaft aussehen wird. Und vielleicht ist es genau dieses Wissen – dass wir keine Ahnung haben, was danach kommen wird –, das uns dazu animieren sollte, für das zu kämpfen, was uns am Herzen liegt. Auch wir müssen die Zeit, in der wir leben, als Endspiel begreifen und sie auch so gestalten. Wir müssen so bewusst leben, wie noch nie zuvor. Da sowieso alles offen ist, müssen wir uns nicht mehr hinter Konventionen verstecken, hinter dem, was andere von uns wollen oder dem, was wir selbst glauben zu sein. Wir müssen begreifen, dass die heutige Zeit tatsächlich das „Ende der Geschichte“ ist – wie der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama die heutige Zeit charakterisiert.

Wenn wir das Spiel nicht den Bösewichten beziehungsweise dem in die Sinnkrise geratenen James-Bond-Kapitalismus überlassen wollen, stellt sich die Frage, wer das Drehbuch für die neue Geschichte schreiben soll. Die Antwort liegt auf der Hand: Das können nur jene sein, die nach dem Ende der Geschichte noch immer diesen Planeten bewohnen werden. Insofern kann man sich nur über die Dreistigkeit wundern, mit der die alte Geschichte weitererzählt und den jungen Leuten lediglich ein Platz in dieser Geschichte zugewiesen wird – aber man ihnen weder zutraut noch erlaubt, die Geschichte der neuen Welt zu schreiben.


* Wolfram Bernhardt ist Mitherausgeber der agora42, das philosophische Wirtschaftsmagazin. Der Beitrag ist in Ausgabe 1/2014 erschienen, die den Titel Veränderung trägt. Der Beitrag erscheint hier mit Genehmigung des Verlages und des Autors. 

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