Medien – Von der kleinen Vielfalt zur großen Einfalt

by Gastbeitrag on 4. Februar 2014

Die Medien werden auch als Vierte Gewalt bezeichnet, die gesellschaftliche Entwicklungen kritisch begleiten und, wenn nötig, auch grundsätzlich infrage stellen soll. Heute verhindern jedoch gerade die Medien, dass sich die Menschen kritisch mit wichtigen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Wie konnte das passieren?

Gastbeitrag von Bernd Hamm*

 

„Die Bewusstseinsindustrie wird uns schon in der allernächsten Zukunft nötigen, von ihr als einer radikal neuen, mit den Maßen ihrer Anfänge nicht mehr zu bestimmenden, rapide zunehmenden Macht Notiz zu nehmen. Sie ist die eigentliche Schlüsselindustrie des zwanzigsten Jahrhunderts. (…) An die Stelle der materiellen tritt die immaterielle Verelendung, die sich am deutlichsten im Schwinden der politischen Möglichkeiten des einzelnen ausdrückt: einer Masse von politischen Habenichtsen, über deren Köpfe hinweg sogar der politische Selbstmord beschlossen werden kann, steht eine immer kleinere Anzahl von politisch Allmächtigen gegenüber. Dass dieser Zustand von der Majorität hingenommen und freiwillig ertragen wird, ist heute vielleicht die wichtigste Leistung der Bewusstseinsindustrie.“ (Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten I)

In seinem visionären Aufsatz von 1962 verweist Enzensberger auf die innere Logik dieses Prozesses: Die Bewusstseinsindustrie – damit meint er die Gesamtheit der Medien – muss ihren Konsumenten gerade das geben, was sie ihnen nimmt. Sie muss ihnen Informationen geben, um zu desinformieren; sie muss die Illusion selbstständigen Urteilens aufrechterhalten, um gerade dieses zu verhindern. Zu keiner Zeit war Information, gerade auch kritische, so breit zugänglich wie heute – und zu keiner Zeit war sie so wirkungslos.

Es waren einmal: unabhängige Medien

Die Analyse der ökonomischen Bedingungen, unter denen Print, Internet, Film, Funk und Fernsehen arbeiten, beginnt mit einer Trivialität: Die Medienindustrie ist fast ausnahmslos kapitalistisch verfasst. Dies alleine hat zur Folge, dass die Medien den Kapitalismus als System nicht infrage stellen – es sei denn in Form einer kurzfristigen Skandal- oder Katastrophengeschichte, wenn sich daran etwas verdienen lässt. Krisen dürfen schon aus diesem Grund nicht systembedingt sein. Medien sind Wirtschaftsunternehmen, die vor allem dazu da sind, Gewinne zu erwirtschaften. Die meisten kleinen Zeitungsverlage von einst haben nicht überlebt. Aus wenigen sind riesige, zuweilen weltweit agierende Konzerne geworden. Medien sind kapitalistische Unternehmen, und sie werden auch so an der Börse gehandelt. Wie andere Unternehmen, so sind auch sie im Visier der „Heuschrecken“: Im Dezember 2006 wollte Silvio Berlusconi Deutschlands größten Fernseh-Konzern ProSieben-Sat1 von Chaim Saban übernehmen. Aber zwei Private-Equity-Firmen, KKR (vorher als Käufer des Triebwerkeherstellers MTU und der Autowerkstattkette ATU in Erscheinung getreten) und Permira (hatte zuvor Debitel und den Brillenhersteller Rodenstock übernommen), sind ihm zuvorgekommen.

Die meisten Medien erwirtschaften ihren Umsatz und ihren Gewinn vor allem mit der Werbung. Das können sie jedoch nur, wenn sie ihre Auflage beziehungsweise Einschaltquote steigern. Es gibt keine TV-Sendung mehr, die nicht mithilfe der Programmforschung rigoros und sekundengenau auf ihre Attraktivität für verschiedene Zuschauergruppen und damit für die Werbekunden getestet wird – geht es doch um ein Fernseh-Werbebudget von immerhin rund vier Milliarden Euro jährlich alleine in Deutschland.

Diese Abhängigkeit von Werbeeinnahmen gilt ebenso für Zeitungen und Zeitschriften. Zwar hat sich die Medienlandschaft diversifiziert – es gibt immer mehr, dafür aber auf immer kleinere Zielgruppen spezialisierte Zeitschriften und Sender –, allerdings gehören diese Medien immer weniger und folglich immer größeren Unternehmen. Der Pluralismus an Zeitschriften und Sendern täuscht: Da sie der Werbewirtschaft die geeignete Klientel liefern müssen, richten sich die Medien vor allem an die kaufkräftige Mittelschicht. Deren Weltbild, deren Gesellschaftsauffassung, deren Ideale, Interessen und Erfahrungen beherrschen die Medienbotschaften durch alle Sparten hindurch – und ganz besonders ausgeprägt die Werbung selbst.

Der Rückgang der Werbeeinnahmen und der zunehmende Kostendruck haben viele Medien schwer getroffen. Die Zahl der festen Mitarbeiter in den Redaktionen und in den Auslandsbüros wurde drastisch reduziert. Um dennoch einen redaktionellen Teil halten zu können, arbeiten sie im Inland vor allem mit schlecht bezahlten „freien“ Mitarbeitern, die aufgrund des Zeitdrucks ungeprüft und nicht selten ohne Quellenangaben Texte übernehmen, die ihnen von Regierungen, öffentlichen und privaten Propagandainstitutionen geliefert werden. Der Druck auf Journalisten steigt, sodass auch immer mehr bereit sind, auf Berichte zu verzichten, die ihren Herausgebern nicht ins politische Bild passen. Um dennoch die Auflage zu erhöhen, müssen sie – zumindest auf den Titelseiten – fortwährend Sensationen produzieren: Infotainment statt Hintergrund. Heraus kommt der Dreiklang von Entpolitisierung, Trivialisierung und Skandalisierung.

Mediale Gleichschaltung

Den Zusammenbruch der sozialistischen Systeme haben die Eliten der westlichen Länder sofort genutzt, um alle Ansätze marxistischen, linken oder dialektischen Denkens in den Schulen, den Universitäten und eben auch in den Medien als widerlegt abzutun und auszumerzen. Da somit die grundsätzliche Ausrichtung des Systems als alternativlos akzeptiert wird, werden die großen Fragen gesellschaftlicher Entwicklung nicht mehr aufgeworfen: die nach Gerechtigkeit, nach Frieden, selbst die nach der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. So bleibt nur das Mantra von der Selbstregulierung des „Marktes“ als uniforme Botschaft übrig. Sie behält die Oberhand trotz überwältigender Beweise dafür, dass sie die vollmundigen Versprechungen auf eine bessere Gesellschaft nicht erfüllt. So wird weiter für Riesterrente und Aktienkauf geworben, obgleich damit nur der globale Spekulationskreislauf weiter angeheizt wird.

Der US-amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky ist unermüdlich der Frage nachgegangen, auf welche Weise uns die Medien im Interesse der politischen Klasse manipulieren und über welche Mechanismen dies geschieht. Chomsky zufolge wird dafür das gesamte Arsenal an Einflussmöglichkeiten in Stellung gebracht: Zensur, Überwachung und Einschüchterung gehören zu den inzwischen üblichen Instrumenten im „Krieg gegen den Terror“. Public Opinion Management, auch Strategic Communication genannt, eine Mischung aus psychologischer Kriegsführung, Propaganda und Werbepsychologie, ist zu einer Industrie geworden.

Propaganda, Medienökonomie und neoliberale Offensive wirken zusammen und bewirken eine zunehmend einheitliche Meinung quer durch alle Medien. Dazu gehört das alte ideologische Muster, nach dem „wir“ gut sind, die „anderen“ aber schlecht. Die anderen, das waren vor 1990 die Kommunisten und Sozialisten. Da diese nur noch in der Vergangenheit vorkommen, werden sie jetzt ersetzt durch die „Islamisten“. Da es nicht ganz einfach ist, diese „Islamisten“ von anderen Muslimen oder von Arabern zu unterscheiden, wirft die Medienökonomie sie gleich alle in einen Topf. Das „Wir“ umschließt (ganz wie zu Zeiten des Kalten Krieges) auch unsere „amerikanischen Freunde“ sowie die gegenwärtige israelische Regierung – und nimmt sie damit von vornherein von jeder kritischen Überprüfung aus. Sie mögen massenhaft spionieren, morden, foltern, unterdrücken – aber dafür gibt es bei mäßiger Kritik immer auch Verständnis. Ein „Krieg gegen den Terrorismus“ kann nun mal nicht sauber sein, angesichts dieser Bedrohung muss man auch vereinzelte Überreaktionen in Kauf nehmen. Selbstverständlich dienen „unsere“ Angriffe auf andere dem Schutz und der Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten.

Die Medien tendieren im Rahmen dieses ideologischen Musters immer mehr dazu, zwei sehr unterschiedliche Gruppen zu bedienen: Auf der einen Seite stehen die „Massen“ (ein Ausdruck, der mir zuwider ist, der hier aber zutrifft), die zunehmend mit Belanglosigkeiten, Propaganda und Infotainment abgefüttert werden. Auf der anderen Seite steht echte Information für eine kleine Minderheit, die sich selbst als Elite (auch dieser Ausdruck ist mir zuwider) sieht und die spezialisierte Informationsquellen nutzt, um ihre eigenen Entscheidungen (zum meist eigenen Vorteil) zu treffen.

Die innere Logik der Medienindustrie führt zu einer Gleichschaltung, die ohne formale Zensur auskommt. Indem sie die Grundlagen demokratischer Auseinandersetzung um die „bessere“ Gesellschaft vernichtet, reduziert sie uns auf die Rolle von Stimmvieh und hirnlosen Konsumenten.


* Bernd Hamm war von 1977 bis 2008 Professor für Soziologie, Stadt- und Regionalforschung und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Trier. Letzte Buchpublikationen: Kulturimperialismus (Kai Homilius Verlag, Berlin 2011); Umweltkatastrophen (Metropolis Verlag, Marburg 2011). Der Beitrag ist in Ausgabe 1/2014 der  agora42, das philosophische Wirtschaftsmagazin erschienen, die den Titel Veränderung trägt. Der Beitrag erscheint hier mit Genehmigung des Verlages und des Autors.


Vom Autor empfohlen:

Sachbuch

Noam Chomsky: Media Control. Wie die Medien uns manipulieren (Europa Verlag, Hamburg 2003)

Noam Chomsky, Edward S. Herman: Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media (Pantheon Books, 1988)

Bernd Hamm: Die soziale Struktur der Globalisierung (Kai Homilius Verlag, Berlin 2006)

Internet

Alternative Welt-Nachrichten: http://www.transcend.org/tms/

Was die US-Medien verschweigen: http://www.projectcensored.org/

Roman

Nach wie vor: George Orwell: 1984 (verschiedene Ausgaben)

Film

Fahrenheit 451 von François Truffaut (1966)

marsman Februar 4, 2014 um 09:41 Uhr

Entschuldigung, nichts für ungut, aber ich kann auch nicht so recht ideologischer Kritik.
Bin selber Multi – Skeptiker, dh. kann ohne Links und Rechts, parteipolitische Standpunke,
derartige Grabenkämpfe, usw.. Ideologisch motivierte Kritik ist zudem in aller Regel auch noch
pseudo – moralisch. Nietzsche’s „Genealogie der Moral“ etwa liest sich immer noch, immer
wieder mal, gut. U.a. ging es der „Moral“ damals darum, das leben als etwas beständig
unmorlisch, sich ständig im Unrecht befindendes hinzustellen.

Dass die Medien, „kapitalistisch“ oder nicht, ein Problem sein können, lässt sich anhand
der Medien zur Zeit des 1. Weltkrieges nachvollziehen.
Die Österreichische Nationalbibliothek hat ein wirklich hervorrragendes Online – Archiv. Ich habe hier gleich mal vorgewählt auf den 1. Januar 1914. Anfang 1914 wurde der Friede für immer
als absolut sicher propephezeit, es wäre unmäglich dass es je wieder zu einem Krieg
kommen würde. … Ein paar Monate später agierten genau die selben Friedenspropheten
dann als Kriegshetzer, Kriegsintriganten, Kriegstreiber. Bis etwa 1916 wurde die Krieganleihen
gross propagiert, diese waren gleichsam Gottes Investment, danach wurden die Kriegsanleihen
totgeschwiegen.
Man kann, wenn mal will, immer wieder gössere Zeiträume überspringen, und sich selber
ein Bild der Presse damals machen. Karl Kraus, österr. Medienkritiker und Kriegskitiker
von Anfang an, wurde ganz zurecht wegen seiner scharfsinnigen Analysen und deutlichen
Kritik an den Medien bekannt.
http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?datum=19140101&zoom=33

Im Übrigen gibt es seit Jahren eine Krise der im Grunde genommen zurecht kritisierten
Unterhaltungsindustrie.
Bei Interesse empfiehlt sich ein etwas googeln mit den Suchworten:

„movie producer bankrupt“
„movie production crisis“

oder auch:
„Newspaper revenue“ , „newspaper layoffs“, usw..

Diese and andere Suchbegroffe liefern m.E. schon mal weitaus Interessanteres ab
als das was sonst so in den Medien über diesen Bereich zu lesen ist.

G Mueller Februar 4, 2014 um 07:59 Uhr

a) einerseits hat der Autor natürlich recht, wenn er die Selbstzerstörung der Medien durch einen Mechanismus von Angst vor verfallenden Werbeeinnahmen, Selbstzensur und Qualitätsverfall beklagt.
b) andererseits wird dann alles wieder auf die böse neoliberal-kapitalistische Weltverschwörung zurückgeführt. Mir war gar nicht klar, dass man ausserhalb von Nordkorea noch den längst abgenutzten Alt-68er Klischees nachhängt.
c) ist es natürlich zu einfach argumentiert, alle Medien wären kapitalistisch organisiert, Hinter dem Gurardian steht z. B. eine Stiftung. Ausserdem entwickelt sich zunehmend eine Parallelöffentlichkeit, z. B. durch diesen und viele andere Blogs. Und was wäre die Alternative zu „kapitalistischen“ Medien? Staatlich kontrolierte? Ist da die Qualität etwa besser?

Hirn0815plus Februar 13, 2014 um 00:41 Uhr

Wo erkennen Sie beim Autor die Bemühung einer Weltverschwörung? Ich sehe das Gegenteil:
„Die innere Logik der Medienindustrie führt zu einer Gleichschaltung, die ohne formale Zensur auskommt.“

Politische Korrektheit verhindert oft Ergebnissoffenheit für die Lösungssuche. Deshalb bitte jeder Theorie die Chance einer Prüfung geben. Auch Verschwörungstheorien, wie es hier Andreas Popp betont.

Stiftungen sind oft keine Lösung, sondern Teil und Verstärker unserer Probleme. Für die folgende Sucheingabe empfehle ich ixquick und Google:
((„die Stiftung“ OR „eine Stiftung“) (getarnt OR Tarnung OR verschleiern OR Verschleierung) (Kapital Steuern OR Kapitalsteuern OR Einfluss OR Einflussnahme OR Macht)) OR (Bertelsmann Stiftung Kritik))

Alle Medien – auch Stiftungen – können orientiert und engagiert sein wie sie wollen. Sie sind eingebettet in unser fehlerhaftes (Geld-)System und stoßen somit früher oder später an die Grenzen, die dieses uns allen durch die aktuellen Regeln und Abhängigkeiten setzt.

Zu Ihrer Frage nach einer Alternative hier ein Einstiegspunkt, den ich empfehle komplett von oben bis unten zu lesen, statt gleich zu „Gewaltenteilung zwischen Medien und Kapital“ zu springen.

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